EU Löst das neue Datenschutzrecht eine Welle von Abmahnungen aus?

Brüssel · Anwälte, Konkurrenten und Verbraucherschutzverbände können Verstöße monieren und dafür Gebühren kassieren. Experten: Schwarze Schafe werden die Unsicherheit ausnutzen.

 Die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) tritt mit einer Fülle neuer Vorschriften in Kraft. 

Die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) tritt mit einer Fülle neuer Vorschriften in Kraft. 

Foto: dpa/Patrick Pleul

Unternehmen und Betreiber von Internetseiten müssen sich auf Abmahnungen gefasst machen, wenn am 25. Mai die EU-Datenschutzverordnung scharf gestellt wird. Rebekka Weiß vom Branchenverband der IT-Wirtschaft Bitkom warnt: „Wir sehen die Gefahr einer erneuten Abmahnwelle.“ Da einige Datenschutzverstöße auch wettbewerbsrechtlich abgemahnt werden könnten, werde es ab dem Stichtag, ab dem alle EU-Mitgliedstaaten das neue Recht umgesetzt haben müssen, neue Abmahnungen geben. Nicht nur schwarze Schafe unter den Anwälten würden die Rechtsunsicherheit ausnutzen und versuchen, mit Abmahnschreiben Unterlassungserklärungen zu verlangen und Geld einzutreiben. Auch Unternehmen könnten Verstöße ihrer Konkurrenten zum Anlass nehmen, Abmahnungen zu schicken. Das neue Datenschutzrecht sieht etwa strengere Informationspflichten für Unternehmen und Behörden vor, wenn sie die Daten von Verbrauchern und Bürgern speichern, verarbeiten oder an Dritte etwa außerhalb der EU weitergeben.

Datenschutzexperte Jan Albrecht (Grüne), der federführend für das Europaparlament die neue Gesetzgebung mit den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten verhandelt hat, sagte unserer Zeitung: „Jedes Mal, wenn ein kompliziertes Gesetz geändert wird, kommt es naturgemäß zu Rechtsunsicherheit. Die Situation wird regelmäßig von der Abmahnindustrie ausgenutzt. Eine neue Klagewelle ist daher auch im Zusammenhang mit der Datenschutzgrundverordnung nicht auszuschließen.“ Albrecht weist aber darauf hin, dass das Abmahn-Unwesen direkt nichts mit dem neuen Datenschutzrecht zu tun habe. Er fordert den deutschen Gesetzgeber vielmehr auf, die Verbraucher und Unternehmen besser gegen unseriöse Abmahnungen zu schützen.  Betroffenen Unternehmen rät er: „Auf keinen Fall sollte aus dem Gefühl, etwas nicht richtig verstanden zu haben, einfach gezahlt werden. Vielmehr sollte das Schreiben von einem juristischen Profi in Ruhe auf rechtliche Stichhaltigkeit geprüft werden.“

Auch Verbraucherschutzverbände können aktiv werden. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums teilte unserer Zeitung mit: „Es ist vorgesehen, dass anerkannte Verbraucherschutzverbände bei Datenschutzverstößen Unternehmen abmahnen und auf Unterlassung klagen können.“ Falls es im Nachgang zu einem gerichtlichen Verfahren komme, höre das Gericht die jeweils zuständige unabhängige Datenschutzbehörde an.  Bundesweit gibt es derzeit 78 Organisationen, die bei Rechtsverstößen abmahnberechtigt sind. Dazu zählen neben dem ADAC auch Verbraucherschutzverbände, Mieterbünde sowie die Deutsche Umwelthilfe (DUH).

Die DUH hat in der Vergangenheit wiederholt Rechtsverstöße von Unternehmen abgemahnt, etwa wenn Autohäuser oder Makler gegen die Pflicht zur Kennzeichnung des Energieverbrauchs verstoßen haben. Die DUH hat laut eigenen Angaben allein 2016 mit Abmahnungen 2,46 Millionen Euro eingenommen. Auf Anfrage unserer Zeitung teilt die Organisation mit, dass sie in der Vergangenheit keine Datenschutzverstöße von Unternehmen abgemahnt habe. Laut einer Sprecherin von DUH-Chef Jürgen Resch verfolge die Organisation bislang auch keine Pläne, im Zusammenhang mit dem neuen Datenschutzrecht in das Abmahngeschäft einzusteigen.

Neben diesen bestehenden Möglichkeiten zur Abmahnung schafft das neue Datenschutzrecht auch neue Klagerechte. So wird laut Auskunft des Bundesjustizministeriums ein Verbandsklagerecht neu eingeführt. Verbände können künftig Beschwerden einlegen und die Rechte von Betroffenen einklagen. Um von diesem Klagerecht Gebrauch zu machen, müssen sie nicht einmal die Zustimmung des von dem Datenschutzverstoß Betroffenen einholen.

Viele Verbraucher sind in der Vergangenheit Opfer von unseriösen Abmahnungen im Bereich des Urheberrechts geworden, etwa wenn sie im Internet Dateien mit Musik, Filmen oder Computerprogrammen mit speziellen Computerprogrammen und aus Onlinetauschbörsen bezogen haben. Im Fachjargon wird dies Filesharing genannt. Juristisch handelt es sich bei der Abmahnung um ein Instrument des Zivilrechts, mit dem Bürger untereinander Streitfälle ausfechten können und das dazu beitragen soll, die Gerichte zu entlasten. Wenn sich ein Betroffener bei einem Rechtsverstoß und einer rechtlich formalen Abmahnung weigert, das Verhalten abzustellen und eine Unterlassungserklärung abzugeben, kann die Gegenseite auf Unterlassung klagen.

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