Familie Wann die Kinderpsyche leidet

Luxemburg · Eine Studie der Uni Luxemburg untersucht die familiäre Situation von Jugendlichen in der Großregion.

Wie wichtig intakte Beziehungen zu Eltern sind, zeigt sich nicht zuletzt darin, wie sich Konflikte und Trennungen im Kindesalter auf Psyche und Gesundheit auswirken. Gibt es solche Untersuchungen für kleine Kinder bereits, so sind diese für Jugendliche in der Pubertät noch Mangelware. Eine Studie an der Universität Luxemburg in Kooperation mit dem Fonds Nationale de la Recherche geht dem nun auf den Grund.

Unter der Leitung von Claus Vögele, Professor für Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie, sollen vor allem in den deutschsprachigen Gebieten der Großregion, also in der Region Trier und im Saarland, Jugendliche zwischen elf und 17 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern befragt und untersucht werden. „Es gibt derzeit keine empirischen Daten aus der Großregion darüber, wie Jugendliche ihre Familiensituation erleben, und wie diese die Psyche, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Jugendlichen in der Familie beeinflussen“, beschreibt Vögele den Ansatz. Parallel dazu gibt es seit 2009 in mehreren Ländern wie Kanada, Chile, Rumänien oder Spanien ähnliche Untersuchungen.

Bislang zeige sich anhand vorliegender Ergebnisse, so Vögele, dass Konflikte innerhalb einer Familie zu einer unsicheren Bindung führten, dass die Erfahrung einer Trennung im Kindesalter zu erhöhter Unsicherheit, Ängstlichkeit, Aggression und sozialem Rückzug führen könne. Dies gilt verstärkt einerseits für Kinder, deren Eltern sich scheiden ließen, aber auch für adoptierte Kinder. Auch wenn die Zahl der möglicherweise gefährdeten Kinder nicht im Detail ermittelt werden kann, so gibt es in Rheinland-Pfalz 50 internationale und 30 nationale Adoptionen jährlich, in Luxemburg 40 internationale und 2 nationale; und in beiden Regionen liegen die Scheidungsquoten zwischen 40 und 55 Prozent.

„Gerade junge Erwachsene, die sich in der Pubertät einerseits von der Bindung der Eltern lösen wollen und andererseits neue Beziehungen aufbauen, haben ein viel höheres Risiko, unter Depression, Selbstverletzung, Angst- oder Essstörungen zu leiden“, sagt Vögele. „Was macht also das Trennungserlebnis als Kind mit den Jugendlichen in der aktuellen Familienkonstellation“, formuliert Alessandro Decarli sein Promotionsprojekt unter Vögele. Dabei gehe es in mehreren Gesprächen mit den Jugendlichen und ihren Eltern um einen spielerischen Charakter. „Wie belastend kann eine Gesprächssituation, ein Konflikt mit den Eltern etwa über die Handynutzung, sein? Dabei messen wir die Herzfrequenz und die Stressbelastung durch Speichelproben“, sagt er. Ziel sei es, dass sich Kinder wie Eltern wohlfühlten, dass es allein auf die Reaktion auf den Stress ankomme. Denn daraus können die Wissenschaftler schließen, wie sich die Trennung von den leiblichen Eltern durch Adoption oder durch Scheidung auf die Stressverarbeitung und persönliche Entwicklung auswirkt. Die Trennung von den Eltern als ersten Bezugspersonen führen häufig zu Belastungen in neuen Beziehungen.

Unabhängig davon, ob es dem Kind nach der Trennung oder Adoption de facto besser gehe, weil sich Streit, wirtschaftliche Not oder Vernachlässigung verringere: „Das Trennungserlebnis muss bewältigt werden. Und darin liegt ein höheres Risiko zu Persönlichkeitsstörungen“, sagt Vögele. Die Ergebnisse wiesen derzeit darauf hin, dass Adoptierte im Vergleich zu gleichaltrigen Nichtadoptierten ein höheres Risiko hätten, unter Depressionen zu leiden und mehr Stress im Alltag zu erleben. Im Erwachsenenalter häuften sich narzistische Persönlichkeitsstörungen, Angstzustände, aber auch eine Suizid-Gefährdung.

27 Familien haben die Forscher bislang untersucht, Eltern mit leiblichen und adoptierten Kindern, aber auch Scheidungsfamilien, werden noch gesucht. „Wir können am Ende zwar keine Rezepte liefern, geben aber am Ende auf Wunsch gern eine Rückmeldung“, sagt Decarli. Und Vögele ergänzt: „Wichtig sei, wie eine Trennung der Eltern gestaltet werde: Wenn das Familienleben vorher nur durch Konflikte geprägt war, kann eine Scheidung auch eine Erleichterung für das Kind sein.“ Um Kindern in Konflikten Sicherheit zu geben, sei es deshalb immer wichtig, die Tür zum Gespräch offen zu halten, auch und gerade in der Pubertät. 

Familien ohne Trennungshintergrund, mit adoptierten Kindern oder die geschieden sind, und die an der Studie teilnehmen möchten, wenden sich an Alessandro Decarli unter Telefon 00352-466644-9381 oder per Mail an alessandro.decarli@uni.lu. Die Kinder sollten zwischen 11 und 17 Jahre alt, adoptierte Kinder sollten im Alter bis acht Jahre adoptiert worden sein. Alle Daten unterliegen der Schweigepflicht und werden anonymisiert gespeichert.

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