Interview Heike Troue Anwalt für 4,1 Millionen Rheinland-Pfälzer

Trier · Die Verbraucherzentrale im Land betreibt seit vier Jahrzehnten Lobbyarbeit für alle Bürgerinnen und Bürger.

 Unzufrieden und hereingelegt? Die Verbraucherzentralen helfen seit 40 Jahren.

Unzufrieden und hereingelegt? Die Verbraucherzentralen helfen seit 40 Jahren.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Panuwat Dangsungnoen

Der Weltverbrauchertag geht auf eine Rede von US-Präsident John F. Kennedy zurück, der am 15. März 1962 erstmals Grundrechte der Verbraucher deklarierte. Seit 1983 erinnert der Weltverbraucherverband jährlich an die Schutzinteressen der Verbraucher. Mit Blick darauf hat TV-Redakteurin Sabine Schwadorf mit Heike Troue, Vorständin der Verbraucherberatung Rheinland-Pfalz, über Verbraucherschutz gesprochen.

40 Jahre Weltverbrauchertag: Warum ist Verbraucherschutz heute wichtiger denn je?

Heike Troue: Unser Leben ist digitaler, komplexer und unübersichtlicher geworden. Das hat Auswirkungen auf Produkte und Verträge und somit auf den Alltag der Menschen. Hinzu kommen immer neue Herausforderungen, wie die Finanzmarktkrise, die Corona-Krise oder die Energiepreiskrise, die die Menschen zusätzlich belasten und verunsichern. In solchen Zeiten bietet ein starker Verbraucherschutz Sicherheit und Orientierung. Da ist es wichtig, unabhängige Expertinnen und Experten an der Seite zu haben, die erklären, informieren und unterstützen.

Von der Haushaltsführung hin zum Rechtsschutz: Verbraucherschutz hat in den vergangenen Jahren einen wahnsinnigen Boom erlebt: Inwiefern wird Ihre Arbeit stärker wertgeschätzt und ernst genommen?

Troue: Die Verbraucherzentrale ist die Interessenvertretung von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Damit setzen wir uns in Rheinland-Pfalz für 4,1 Millionen Menschen ein. Die Verbraucherzentrale prangert Missstände öffentlich an und geht durch Abmahnungen dagegen vor. Gemeinsam mit anderen Verbraucherschutzverbänden setzen wir uns bei der Politik immer wieder für einen verbesserten Verbraucherschutz und starke Verbraucherrechte ein. Die Verbraucherzentrale hat bei den Krisen der vergangenen Jahre immer sehr schnell reagiert und schnell passende Angebote geschaffen. Nach der Hochwasserkatastrophe an der Ahr haben wir beispielsweise unsere telefonischen Beratungsangebote verstärkt, aktuelle Informationen zu Bauschäden und Versicherungen auf der Homepage zur Verfügung gestellt und mit Vorträgen informiert. Das haben sowohl die Öffentlichkeit als auch die Politik wahrgenommen.

Was sind aktuell die brennendsten Fragen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Rheinland-Pfalz?

Troue: Anfragen zum Energiesparen, zur Energieversorgung und zu den Energiekosten haben massiv zugenommen. Die Top-Themen dabei sind Preiserhöhungen sowie zu hohe Abschläge bei Strom- und Gasverträgen. Gleichzeitig gibt es eine verstärkte Nachfrage zu Wärmepumpen, Photovoltaikanlangen etc. Zudem erhalten wir vermehrt Beschwerden über Handwerker, die zusätzliche Entgelte wie einen Benzinzuschlag, Service- oder Bearbeitungsgebühren berechnen oder die hohe Abschlagszahlungen verlangen und dann nicht zum vereinbarten Termin erscheinen. Dauerbrenner in unseren Beratungsstellen sind Anfragen zu unlauteren Angeboten. Viele Kriminelle und unseriöse Geschäftemacher haben keine Skrupel, in Fake-Shops gegen Vorkasse Produkte wie billiges Brennholz anzubieten und nicht zu liefern. Ein weiterer Klassiker ist unerlaubte Telefonwerbung, mit der Verbraucherinnen und Verbrauchern Energie- oder Telefonverträge untergeschoben werden. Die Maschen sind vielfältig: Einmal wird behauptet, es solle ein Stromtarifvergleich durchgeführt werden, um die Stromrechnung zu optimieren. Ein andermal heißt es, der Vertrag laufe in Kürze aus und es gäbe billigere Angebote. Um einen günstigeren Vertrag anbieten zu können, sollen die Angerufenen ihren Namen nennen und laut „Ja, ich will das“ sagen. So werden geschickt persönliche Daten wie Name, Anschrift und Stromzählernummer erfragt.

Das Thema Inflation ist derzeit allgegenwärtig: Welche Tipps können Sie den Menschen in einer solchen Phase mit auf den Weg geben?

Troue: Die Energiepreiskrise hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, besonders für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen. Neben den massiv gestiegenen Energiepreisen sind die hohen Lebensmittelpreise für viele Haushalte ein großes Problem. Unter dem Motto „Gemeinsam durch die Krise“ bieten wir auf unserer Internetseite ein großes Paket mit zahlreichen Informationen und Tipps für den Verbraucheralltag bereit. Interessierte finden dort unter anderem eine Checkliste zur Überprüfung und Optimierung der eigenen Finanzen und der regelmäßigen Ausgaben. Auf der Seite www.verbraucherzentrale-rlp.de/gemeinsam-durch-die-krise zeigen wir zahlreiche Einsparmöglichkeiten auf und wie diese Schritt für Schritt umgesetzt werden können. In digitalen Veranstaltungen geben wir außerdem Spartipps für den Alltag, zu Energiethemen und zu einer preiswerten Ernährung.

Wo bieten die Verbraucherzentralen konkrete Hilfe in schwierigen Lebenslagen?

Troue: In unseren Beratungsstellen gibt es persönliche Beratungs- und Unterstützungsangebote beispielsweise zu Energiekosten, untergeschobenen Verträgen, Versicherungen oder in finanziellen Fragen. Dort ist auch ein kostenloses Haushaltsbuch erhältlich. Vor allem unsere Energiekostenberatung ist derzeit enorm gefragt. Die Beraterinnen und Berater prüfen Abrechnungen und Verträge. Sie suchen gemeinsam mit den Ratsuchenden, den Versorgern und anderen Institutionen nach Lösungen, wenn es Zahlungsprobleme gibt oder eine Energiesperre droht. Außerdem ermitteln sie, welche Einsparmöglichkeiten in der Wohnung vorhanden sind . Sie vermitteln auch an weitere Beratungsstellen, beispielsweise wenn eine Verschuldung droht. Am 15. März, dem Weltverbrauchertag, sind unsere Beraterinnen und Berater auch vor der Beratungsstelle in der Fleischstraße mit einem Aktionsstand vertreten und informieren.

So wie Gauner und Betrüger immer neue Wege finden, Verbraucherinnen und Verbraucher auszutricksen, wird auch Ihre Arbeit nicht ausgehen: Wo wollen Sie künftig noch stärker aktiv werden oder den Daumen in die Wunde legen und auf Missstände aufmerksam machen?

Troue: Wir schauen den Anbietern genau auf die Finger und mahnen Unternehmen ab, die aus unserer Sicht Rechtsverstöße begehen. So haben wir bereits einige Unternehmen erfolgreich wegen irreführender Werbung mit Nachhaltigkeitsversprechen abgemahnt oder verklagt. Bei der Klage der Verbraucherzentrale gegen die Bekleidungsfirma Hunkemöller wegen irreführender Nachhaltigkeitswerbung entschied das Landgericht Bochum, dass Werbeaussagen wie „Sustainable“ bzw. „nachhaltig“ irreführend sein können. Dieses „Greenwashing“ werden wir auch in Zukunft genau beobachten und wenn nötig abmahnen. Bundesweit beobachten die Verbraucherzentralen und der Verbraucherzentrale Bundesverband den Markt. Die Erkenntnisse aus dieser Marktbeobachtung können wir als Frühwarnsystem nutzen, um Missstände anzuprangern, uns auf politischer Ebene für Verbraucherinnen und Verbraucher einzusetzen und für die Behebung der Missstände zu werben. Insbesondere Abzocken und Verstöße im Zusammenhang mit der Energiepreiskrise werden wir genau im Blick behalten. Aktuell deuten bereits etliche Beschwerden darauf hin, dass einige Anbieter die Regelungen der Energiepreisbremsen ausnutzen und von ihren Kunden völlig überhöhte Kosten-Abschläge verlangen. Für die Zukunft hoffen wir auf die Einführung der EU-Verbandsklage, die weitergehender ist als die Musterfeststellungsklage.

Trotz allen Erfolgs sind ja auch nicht alle Unternehmen oder Behörden immer begeistert, wenn Missstände aufgezeigt werden: Was hindert Sie womöglich auch daran, im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher aktiv zu werden? Wo werden Ihnen vielleicht Steine in den Weg gelegt?

 Diplom-Volkswirtin Heike Troue  hat die Leitung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz übernommen.

Diplom-Volkswirtin Heike Troue  hat die Leitung der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz übernommen.

Foto: TV/VBZ RLP

Troue: Unternehmen und Anbieterverbände haben eine starke Lobby und eine große finanzielle Ausstattung. Das erschwert Verhandlungen auf Augenhöhe. Oft ist es für Verbraucherverbände in politischen Lobbyprozessen nicht einfach, den Fokus auf Verbraucherinteressen zu lenken, ihnen Gehör zu verschaffen und sie durchzusetzen. Daher ist es wichtig, dass Rechtsmittel, wie die EU-Verbandsklage, in Kraft treten und ihre Wirkung entfalten können. Schlimm wäre es, wenn übermäßige gesetzliche Hürden die Klage zu einem zahnlosen Papiertiger werden ließen. Befürchtungen, dass sich die Verbraucherzentralen bei zu laschen Regeln als „ausgerastete Abmahnvereine“ gebärden würden, sind substanzlos. Wir sind uns unserer Verantwortung und des Vertrauens, das Verbraucherinnen und Verbraucher in uns setzen, bewusst und werden diese nicht verspielen. Um diesem Treiben Herr zu werden, setzen wir stark auf eine präventive Aufklärung. Gemeinsam mit dem Landeskriminalamt und der örtlichen Polizei informieren wir regelmäßig über neue kriminelle Maschen, um die Menschen frühzeitig zu sensibilisieren und vor Schaden zu bewahren.

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