"Es gibt neue Formen des Protests" - TV-Serie "Generation Y" (Teil 8.2)

Die Bindung zu Parteien löst sich immer stärker, dafür gibt es neue Formen des Widerstands wie etwa den Konsumverzicht. Martina Gille vom Deutschen Jugendinstitut erklärt im Interview mit TV-Redaktionsmitglied Florian Schlecht, wie die Generation Y Politik versteht - und warum sie fehlende Beteiligung für gefährlich hält.

Früher haben Menschen auf der Straße für Frieden und gegen Atomwaffen demonstriert.

Warum ist die Generation Y im Gegensatz zu ihren Eltern so unpolitisch?
Martina Gille: Da würde ich widersprechen. Ich sehe es anders: Die junge Generation interessiert sich durchaus für politische Themen und war zuletzt an vielen Protestaktionen beteiligt.

Welche Beispiele fallen Ihnen ein?
Gille: Die Anti-Pegida-Demonstrationen haben viele jüngere Menschen mobilisiert, auf die Straße zu gehen. Das gilt auch für die Occupy-Bewegung, die sich nach der Wirtschaftskrise gegründet und gegen die Finanzmärkte gestellt hat.

Gibt es beim politischen Interesse überhaupt einen Unterschied zwischen jüngeren Menschen und ihrer Elterngeneration?
Gille: Die Bindungen an Parteien sind nicht mehr so stark wie früher. Das hängt damit zusammen, dass sich soziopolitische Milieus aufgelöst haben. Nehmen wir die klassische Arbeiterfamilie. Dort wählten die Eltern die SPD, und die Kinder wählten die SPD. Das gibt es kaum mehr.

Was hat sich für die Parteien ansonsten verändert?
Gille: Die Zahl der Wechselwähler hat zugenommen. Die großen Parteien unterscheiden sich kaum mehr voneinander. Das liegt auch daran, dass es strikte Aufteilungen in konservativ, grün, liberal oder sozialdemokratisch nicht mehr gibt. Kleinere Parteien haben es leichter, mit neuen Meinungen zu mobilisieren und in der Gunst der jungen Wähler aufzusteigen.

Wenn sich Jüngere seltener in Parteien engagieren, wo sind sie dann noch politisch?
Gilles: Es gibt viele Menschen, die sich als Globalisierungskritiker oder Umweltaktivisten einbringen. Es gibt dabei auch neue Formen des Protests - wie den "Buycott".

Was ist das?
Gille: Es geht darum, aus Prinzip bestimmte Waren nicht zu kaufen. Die Gründe können darin liegen, dass man sich der Konsumgesellschaft verweigert oder auf Missstände aufmerksam machen möchte. Solche Aktionen sind nicht langfristig bindend, sondern meist auf eine kurze Zeit angelegt. Das ist bei einem Engagement in einer Partei natürlich anders.

Die Wahlbeteiligung sinkt zunehmend. Ist das nicht ein Beleg für politisches Desinteresse junger Menschen?
Gille: Das Verständnis von Politik hat sich tatsächlich verändert. In den 1950er Jahren galt es noch als oberste Bürgerpflicht, wählen zu gehen. Nun ist die Wahlbeteiligung geringer. Aber: Das gilt nicht nur für die Generation Y, das gilt für die gesamte Bevölkerung.

Früher hat die Tagesschau in der ARD den Gesprächsstoff des Tages aufbereitet. Hat die Generation Y überhaupt noch gemeinsame Themen?
Gille: Das ist in der Tat komplizierter geworden. Die Menschen können inzwischen über viele Kanäle politische Informationen erhalten und leichter auswählen, was sie interessiert und was nicht. Auch die Mobilisierung ist einfacher, weil sich Meinungen in sozialen Netzwerken stärker bündeln lassen.

Täuscht der Eindruck, dass vor allem diejenigen jungen Menschen politisch interessiert sind, die einen hohen Bildungsgrad haben?
Gille: Die Forschung zeigt, dass sich politisch vor allem diejenigen engagieren, die ganz gut da stehen. Das Problem, das sich in der heutigen Zeit verdeutlicht: Wer gesellschaftlich abgehängt ist, ist auch politisch abgehängt. Da sehe ich die Gefahr einer Spaltung - und Handlungsbedarf für die Politik. florExtra

 Steigendes Interesse: Laut einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts begeistern sich junge Menschen heute wieder mehr für Politik als beispielsweise 1992. Das Interesse variiert je nach Alter. 27 813 Teilnehmer wurden befragt.

Steigendes Interesse: Laut einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts begeistern sich junge Menschen heute wieder mehr für Politik als beispielsweise 1992. Das Interesse variiert je nach Alter. 27 813 Teilnehmer wurden befragt.

Foto: (g_pol3 )

Martina Gille (Foto: privat) ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Deutsche Jugendinstitut in München tätig. Über das politische Interesse junger Menschen hat sie schon verschiedene Studien verfasst und Aufsätze für Fachmagazine geschrieben. flor

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