Individuell, aber nicht mehr ganz so rebellisch

Trier · Subkulturen - noch nie hat es so viele gegeben wie heute. Die Mitglieder dieser Gruppen teilen die gleichen Interessen und Ansichten. Allerdings sind sie im Vergleich zu früheren Generationen nicht mehr so rebellisch. Wo einst junge Menschen für freie Liebe oder gegen das Bildungssystem kämpften, stehen nun Spaß, Konsum und Aussehen im Mittelpunkt.

Trier. Angelina Jolie hat mehrere. Fußballstar Lionel Messi auch. Genauso wie jeder vierte Deutsche. Die Rede ist von Tattoos. In den 70er und 80er Jahren von Rockern und Punks getragen, galten sie als provokativ, unanständig und dem kriminellen Milieu zugehörig. Doch die Einstellung der Gesellschaft gegenüber Tätowierungen änderte sich. Was einst als Symbol für Widerstand und Individualität galt, wurde in den 90er Jahren zum Massenphänomen. Plötzlich hatte jeder eins: Musiker, Filmstars, Sportler und die breite Masse, die sich auf einmal die Frage stellte, ob sie sich Schmetterlinge oder Sternschnuppen stechen lassen wollte.
Phillipp Ikrath, Vorsitzender und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Jugendforschung in Hamburg, hat dafür eine Erklärung: "Es liegt in der Natur der Sache, dass der Mainstream irgendeinen Aspekt einer Subkultur für sich entdeckt und ihn übernimmt." Tattoos, Piercings, Minirock: Was früher schockierte, sei im Laufe der Zeit gesellschaftsfähig geworden. Allerdings verwische der Mainstream die Botschaft, für die eine Subkultur stehe, entkräfte sie und mache sie in vielen Fällen zu etwas Oberflächlichem, erklärt der Jugendforscher.
Die Swing-Kids, die Halbstarken, die Rock \'n\'Roller, die Hippies oder 68er - sie alle setzten sich für ein neues liberales Lebensgefühl ein. Oder für die Natur. Die Umstrukturierung der Gesellschaft, den Frieden oder mehr Demokratie. Innerhalb dieser Gruppen waren Ziele klar definiert. "In den heutigen Subkulturen geht es aber eher um den Spaß, als um den Protest oder Widerstand gegen die breite Masse", sagt Ikrath. Mode, Videospiele, Musik, das äußere Erscheinungsbild und Konsum stünden im Vordergrund. Hier spricht der Jugendforscher von der sogenannten Freizeitszene, in der sich Mitglieder einer bestimmten Subkultur eher oberflächlich mit ihrer Szene identifizierten. "Sie finden einen bestimmten Aspekt geil, stecken aber nicht wirklich tief drin", erklärt er. Das könnten Klamotten oder Musik sein. "Das gibt es aber in jeder Szene." Trotz der generationsübergreifenden Unterschiede hat die Jugend aber eines gemein: Sie sucht Ablenkung von persönlichen Problemen, dem Terror in der Welt, den unzähligen Praktika, befristeten Verträgen und vergeblichen Bewerbungen. Hierzu trifft man sich mit Gleichgesinnten auf der Straße, in Jugendzentren oder auf Messen und tauscht sich über gemeinsame Ansichten, Interessen und Leidenschaften aus.
In Trier ist das Exzellenzhaus (Exhaus) seit 1972 die erste Anlaufstelle für verschiedene Subkulturen. "Wir bieten hier Jugendlichen eine Plattform zum Austausch an", sagt Martin Schümmelfeder, Leiter des Kulturbüros im Exhaus. Punks, Goths, Gamer, Ultras, Skater, Streetart-Künstler - sie alle würden sich im Exhaus die "Türklinke in die Hand" geben, sagt er.
Obwohl jede Subkultur ihre eigenen Ansichten und Erkennungsmerkmale habe, seien alle im Exhaus gleich. Es gebe keine Rivalitäten, erklärt Schümmelfeder. Jeder werde so akzeptiert, wie er ist - ein neutraler Ort an dem man ohne Vorurteile und schiefe Blicke seine Individualität ausleben könne.
Mit Teil 13 endet unsere Serie. Unter www.volksfreund.de/geny gibt es alle Serienteile noch einmal zum Durchstöbern.Extra

Bereits in den 50er Jahren entdecken Musikindustrie und Modebranche die Subkultur der rebellischen Rock\\' n\\' Roll-Generation für sich. Teenager reißen sich um die Musik von Elvis Presley oder Bill Haley. Und kaufen von ihrem Taschengeld die Plattenläden leer. Einen Hauch von Freiheit und Rebellion vermitteln die Kleider der jungen Wilden - Jeanshosen, karierte Hemden, Lederjacken. Selbst, wer nicht wie die Rock\\' n\\' Roller gegen die traditionellen Normen der Gesellschaft rebelliert, bekommt durch das Tragen der Kleidung das Gefühl dazuzugehören. Die Suche der Industrie nach neuen Trends kann eine Subkultur derart verändern, dass sie verschwindet. In den meisten Fällen zersplittert sie aber in viele verschiedene Untergruppierungen, so dass sich eine neue Szene bildet. Als Beispiel nennt Phillipp Ikrath, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Jugendforschung in Hamburg, die Straight Edger, die dem Umfeld des Hardcore-Punks entsprungen sind und sich durch ihre Ideale und Lebensweise von der harten Punkszene unterscheiden. Ihre Devise lautet: Kein Sex, kein Alkohol, keine Drogen, keine Zigaretten, kein Fleisch. "Jede Subkultur hat ihre eigenen Interessen und Regeln", erklärt Ikrath. "Sie dienen dazu, sich von der Gesamtkultur oder anderen Subkulturen abzugrenzen." mmpExtra

Etwa 80 Prozent der jungen Deutschen fühlen sich einer Subkultur zugehörig. Aber warum gehört man einer Subkultur überhaupt an? Vier "Ypsiloner" verraten ihre Motive.

Sabine (22), Cosplayerin: Ich interessiere mich für Cosplay (Wortkombination der englischen Wörter "costume" (Kostüm) und "play" (Spiel)) und mache das seit etwa sechs Jahren - aber nur ab und an. Cosplay stammt aus Japan und ist Teil der Manga- und Animeszene (japanische Comics und Zeichentrickfilme). Cosplayer verkleiden sich als Figuren, die aus einem Spiel oder einer Serie stammen. Ich habe damit angefangen, weil ich Cosplayer auf dem Japantag in Düsseldorf gesehen habe. Ich wollte es mal ausprobieren. Es macht viel Spaß. Vor allem, weil man auf diesen Treffen mit Gleichgesinnten ins Gespräch kommt und nicht komisch angeschaut wird.

Raphael (30), Gamer: Strategie und Rollenspiele - die zocke ich am liebsten. Angefangen habe ich vor 14 Jahren. Bei Strategiespielen reizt mich die lange Planung. Rollenspiele hingegen lassen einen in neue Welten eintauchen. Die meisten Spiele sind größtenteils auf Einzelspieler ausgelegt, es gibt aber auch welche, die man mit mehreren zocken kann. Dazu treffe ich mich auch gerne mit Freunden. Früher war das aber schwierig, da ich in der Eifel aufgewachsen bin. Dort gab es wenig Kinder in meinem Alter. Das hat sich aber mittlerweile geändert - dem Internet sei Dank.

Thorsten (30), Anime- und Manga-Fan: Fantasievoll und bunt. So ist die Welt der japanischen Zeichentrickfilme und Comics. Ich habe mich bereits als Kind dafür interessiert. Irgendwann habe ich eine Fan-Magazin sowie einen Dragon Ball Manga in die Hände bekommen. Ab diesem Zeitpunkt war ich regelmäßig im Comicladen, um mir die aktuellsten Ausgaben zu kaufen. Anime- und Manga-Fans sind ziemlich tolerant. Das sehe ich immer auf den Treffen, die ich regelmäßig besuche. Man versteht sich auf Anhieb und wird direkt akzeptiert.

Andreas (Name von der Redaktion geändert), Ultra: Warum ich Ultra geworden bin, lässt sich nicht so leicht beantworten. Angefangen hat es 2001 mit einem Spiel von Eintracht Trier. Danach bin ich regelmäßig zu den Spielen gegangen. 2004 hat man in Trier dann angefangen sich "Ultra" auf die Fahne zu schreiben. Ein Jahr später wurde ich von Älteren angesprochen, die fragten, ob ich mitmachen möchte. Wenn beispielsweise in einem Fanblock Pyrotechnik abgebrannt wird, dann ist jeder Jugendliche davon fasziniert und möchte dazugehören. So war das damals auch bei mir. mmp

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