KArriere Berater

Wer den Arbeitsplatz verliert, hat vor allem ein Geldproblem, lautet ein gängiges Urteil. In Marienthal, einem Provinznest in Österreich, brach 1929 die Welt zusammen: Die örtliche Textilfabrik wurde geschlossen, die Menschen stürzten in die Arbeitslosigkeit.

Forscher nutzten die Gelegenheit, um zu sehen: Was macht die Arbeitslosigkeit mit den Menschen? Das Ergebnis war erschütternd: Der Park verwilderte. Die Ausleihen in der kostenlosen Bibliothek schwanden um die Hälfte. Die Arbeiterzeitung verlor reihenweise Abos. Sogar die Gehgeschwindigkeit sank: Die arbeitlosen Marienthaler schlichen mit drei Stundenkilometern durch den Ort, die Hälfte der durchschnittlichen Gehgeschwindigkeit. Menschen definieren sich über ihre Arbeit. Nicht umsonst leiten sich die häufigsten Familiennamen in Deutschland, ob Müller oder Fischer, ob Meier oder Bauer, von Berufen ab. Wer seinen Job verliert, verliert nicht in erster Linie eine Geldquelle, sondern Identität, Lebensfreude und Gesundheit. Nach internationalen Studien fühlt sich fast die Hälfte aller Arbeitslosen krank, die Sorgen rauben ihnen Appetit und Schlaf, die Wahrscheinlichkeit einer Depression verzehnfacht sich. Von 100 Arbeitslosen geben bis zu 15 an, schon über einen Selbstmord nachgedacht zu haben. Forscher können den Rückgang des Glücksempfindens sogar in Punkten angeben. Auf einer Skala von 10 bis 100 sinkt das Glücksgefühl bei einem Verlust der Arbeit um 6 Punkte - zwei Punkte mehr als bei einer Verwitwung und vier Punkte mehr, als wenn sich das Familieneinkommen um ein Drittel verringert. Weniger Geld reduziert den Lebensstandard; das tut weh. Arbeitslosigkeit reduziert unser Ego; das kann unerträglich sein: Marienthal. Jammertal. Hölle! Unser Kolumnist Martin Wehrle (geboren 1970) gehört zu den erfolgreichsten Karriereberatern in Deutschland. Sein aktuelles Buch: der Bestseller "Ich arbeite in einem Irrenhaus" (Econ, 14,99 Euro). Diese und weitere TV-Kolumnen finden Sie auch im Internet auf www.volksfreund.de/kolumne

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