Schlafmangel führt zu unbändigem Heißhunger

Wer zu wenig oder schlecht schläft, hat am nächsten Tag nicht nur einen Bärenhunger, sondern muss auch mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen rechnen. "Die Leistungsfähigkeit des Organismus nimmt bei Schlafmangel noch schneller ab als bei Durst", sagt Professor Dr.

Nicolai Worm von der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement in Saarbrücken.
Wenn wir schlafen, laufen im Körper wichtige Reparatur- und Regenerationsprozesse ab. Zwar ist noch keineswegs umfassend geklärt, welche Stoffwechselprozesse im Schlaf in Gang gesetzt werden, doch man weiß zum Beispiel, dass unser Immunsystem im Tiefschlaf vermehrt Wachstumshormone ausschüttet. Diese kurbeln den Fettabbau im Bauchraum an und unterstützen die Neubildung von Proteinen. Die sind für Aufbau und Reparatur von Muskeln, Knochen und anderen Geweben erforderlich.
Aus dem DAK-Gesundheitsreport 2010 geht hervor, dass in Deutschland rund 20 Millionen berufstätige Menschen unter Schlafproblemen leiden. Vier Millionen Erwerbstätige sind von schweren Schlafstörungen betroffen. Am folgenden Tag klagen sie oft über Erschöpfung, innere Unruhe, Reizbarkeit, Angst, depressive Verstimmungen und sogar Depressionen. Wer andauernd zu kurz oder schlecht schläft, muss mit einschneidenden gesundheitlichen Problemen rechnen.
"Wer in der Nacht nicht gut oder viel zu kurz geschlafen hat, verspürt am nächsten Tag mehr Hunger als sonst und isst auch mehr und öfter", sagt der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm. "Hält der Schlafmangel über zwei, drei Nächte an, entwickelt sich ein Bärenhunger oder sogar eine ungezügelte Fresslust." Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen nächtlicher Schlafdauer und dem Risiko zu Übergewicht hinweisen. Ein Experiment mit 30 normalgewichtigen Frauen und Männern mittleren Alters an der Columbia-Universität in New York zeigte, dass bei nur vier Stunden Schlaf pro Nacht die Lust auf fettreiches Essen wie Fast Food und Eiscreme steigt. Frauen nahmen dann im Schnitt pro Tag 329 Kilokalorien mehr als normal auf, Männer 263 Kilokalorien.
Wissenschaftler der Universität Chicago berichteten, dass zwölf junge gesunde Männer nach zwei Nächten mit nur vier Stunden Bettruhe im Schnitt 24 Prozent mehr Hunger und 23 Prozent mehr Appetit hatten. Vor allem entwickelten sie eine unbändige Lust auf süße sowie salzige kohlenhydratreiche Lebensmittel. Der Appetit auf solche "Leckereien" stieg aufgrund des Schlafmangels um bis zu 45 Prozent an. Keinen Appetit hatten die Kurzschläfer hingegen auf Gemüse, Obst und proteinhaltige Lebensmittel wie Fisch und Fleisch.
Die Schlafforscherin und Leiterin der Studie, Professor Eve Van Cauter, erläuterte: "Das Gehirn lechzt bei Schlafmangel nach Kohlenhydraten. Das erklärt den Heißhunger auf Brot, Nudeln und Süßigkeiten." Die Forscher untersuchten auch das Blut der Studienteilnehmer. Es stellte sich heraus, dass die Konzentration des Sättigungshormons Leptin, das in den Fettzellen produziert wird, um 18 Prozent gesunken war. Hingegen war die Konzentration des appetitanregenden Hormons Ghrelin, das in der Magenwand produziert wird, um 28 Prozent gestiegen.
In Deutschland gelten derzeit 52 Prozent der Erwachsenen als übergewichtig, 16 Prozent der Gesamtbevölkerung sogar als fettsüchtig (adipös). Nicolai Worm weist darauf hin, dass die Nervenzellen im Sättigungszentrum des Gehirns übergewichtiger Menschen nicht mehr angemessen auf eine höhere Leptinkonzentration, die Sättigung signalisiert, reagieren. Die Nervenzellen sind gegenüber den Signalhormonen resistent geworden. "Möglicherweise führt der ständige hohe Leptinausstoß übergroßer Fettspeicher zu einem Dauerreiz, auf den die Leptinrezeptoren im Gehirn nicht mehr reagieren", erläutert der Experte. "Ob eine dauerhafte Reduktion des Körperfetts wieder zum Normalzustand führt, ist noch nicht geklärt."
In einer weiteren Studie konnten Wissenschaftler der Stanford-Universität in Kalifornien ebenfalls zeigen, dass bei Schlafmangel der Leptinspiegel im Blut deutlich sinkt. Acht junge Männer durften eine Woche lang pro Nacht nur vier Stunden schlafen. Ihr Leptinspiegel fiel so stark ab, als hätten sie eine Woche lang gar nichts gegessen. Forscher der Universität in Lübeck berichteten, dass nach einer durchwachten Nacht die Konzentration des Appetitanregers Ghrelin im Körper deutlich erhöht ist. Die Wahrscheinlichkeit, Übergewicht zu entwickeln, ist bei zu kurzem und schlechtem Schlaf nahezu doppelt so hoch wie bei ausreichendem Schlaf. Dieses Ergebnis vermittelt eine norwegische Studie mit 8860 Frauen und Männern im Alter zwischen 40 und 45 Jahren. Dieses Problem tritt sogar schon in frühen Jahren zutage. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund hat vermeldet, dass Kleinkinder mit beständig kurzem Schlaf bis zum siebten Lebensjahr eine höhere Fettmasse als andere Kinder entwickeln.
"Alle diese Untersuchungen belegen, dass das Risiko, dick zu werden, umso größer ist, je kürzer man schläft", betont Worm.
Bei negativem Stress, ausgelöst durch emotionale Belastungen, Angst um den Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit und die Überflutung mit Sinnesreizen, sowie bei Schlafmangel schüttet der Körper vermehrt das Stresshormon Cortisol aus. Zudem wird es im Blut sechsmal langsamer abgebaut als nach erholsamer Nachtruhe. Nach durchwachter Nacht ist es um fast 50 Prozent erhöht. "Eine hohe Konzentration des Hormons Cortisol steigert den Appetit gewaltig und unterstützt das Wachstum der Fettzellen", sagt Worm. Kritisch ist das innere Bauchfett, das die inneren Organe ummantelt und als Eingeweidefett bezeichnet wird. Es reagiert sehr empfindlich auf Stress und Hektik. In solchen Situationen wird es vermehrt ins Blut geschwemmt. Diese Fettzellen schütten übermäßig Gewebshormone aus. "Diese verengen die Gefäße, mindern die Wirkung des Insulins, fördern Entzündungen und können Störungen der Blutgerinnung auslösen. Solche Stoffwechselstörungen münden bei chronischem Schlafmangel in erkennbare Erkrankungen", sagt Nicolai Worm.

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