Stadt muss für Kita-Kinder haften

Bitburg/Koblenz · Weil Erzieher einer Bitburger Kindertagesstätte nicht bemerkt haben, dass Kinder Steine auf ein Auto geworfen und dieses beschädigt haben, muss die Stadt nun den Schaden bezahlen. Das entschied das Oberlandesgericht in Koblenz.

Bitburg/Koblenz. Die Kinder haben sich wahrscheinlich nichts dabei gedacht: Sie bewarfen vor zwei Jahren über den Zaun einer Bitburger Kindertagesstätte ein davor stehendes Auto mit Kieselsteinen. Eine Erzieherin beaufsichtigte die acht Kinder, die im Außenbereich spielten. Offenbar bemerkte sie aber nicht, dass sich drei Kinder davonmachten, zu dem Außenzaun gingen und mit den Steinen warfen. Auch andere Erzieherinnen, die sich draußen aufhielten, bekamen angeblich davon nichts mit.
Landgericht weist Klage ab


21 kleine Dellen entstanden an der Karosserie des Autos, Schaden: 1125 Euro. Der Besitzer des Wagens, ein Handwerker, der im Auftrag der Stadt in einer neben der Kita liegenden Schule arbeitete, wollte von der Stadt Bitburg als Träger des Kindergartens den Schaden ersetzt haben. Als diese sich weigerte, verklagte der Mann die Stadt. Begründung: Die Erzieherin hätte ihre Aufsichtspflicht verletzt.
Das Trierer Landgericht wies in erster Instanz die Klage des Handwerkers ab. Es sei für die Erzieherinnen gar nicht möglich gewesen, jedes einzelne Kind jederzeit beim Spielen zu beobachten. Der Handwerker legte vor dem Koblenzer Oberlandesgericht gegen das Trierer Urteil Berufung ein.
Mit Erfolg. Gestern verkündeten die Richter ihr Urteil: Die Stadt Bitburg muss dem Handwerker Schadenersatz zahlen, die Erzieherinnen hätten ihre Aufsichtspflicht verletzt (Az.: 1 U 1086/11). Zwar sei eine permanente und lückenlose Überwachung von Kindern "auf Schritt und Tritt" in einer Kita nicht zu gewährleisten und sei auch nicht geboten, sagte der Vorsitzende Richter des 1. Zivilsenats. Auch müsse die Frage der Aufsichtspflichtverletzung immer vom Einzelfall abhängig gemacht werden, etwa von der Eigenheit der jeweiligen Kinder, der örtlichen Gegebenheiten und auch von der Aufsichtssituation. Im Bitburger Fall aber habe die Beschaffenheit des Freigeländes der Bitburger Kita mit lockeren großen Kieselsteinen, einem durchlässigen Zaun mit einem Parkplatz davor ein "konkretes Gefahrenpotenzial für fremdes Eigentum" entstehen lassen, so der Richter in seiner Begründung. Unter solchen Umständen dürften sich aus der Gruppe entfernende Kinder nicht länger unbeobachtet bleiben. Und obwohl ein Zeuge sagte, die Steine seien "wie bei einem Maschinengewehr" auf das Auto geprallt, hatten die Erzieherinnen gesagt, von alledem nichts mitbekommen zu haben. Daher sei die Kommune in der Pflicht zu beweisen, dass die Erzieherinnen ihre Aufsichtspflicht erfüllt haben, so der Richter.
In ähnlichen Fällen hatten andere Oberlandesgerichte zuvor zugunsten der Erzieher geurteilt. So sah das Karlsruher Oberlandesgericht vor sechs Jahren keine Aufsichtspflichtverletzung, nachdem ein Fünfjähriger von dem Kletterbaum eines Kindergartens aus Steine auf das Plastikdach eines Nachbarhauses geworfen und dieses beschädigt hatte. Das Gericht entschied: Aufsichtspersonen können Kinder nicht ständig im Auge behalten, sie müssten erst dann einschreiten, wenn sie das Steinewerfen bemerken. Daher musste im Karlsruher Fall der Nachbar des Kindergartens sein Dach aus eigener Tasche bezahlen.
Ähnliche Fälle


Auch der Bundesgerichtshof musste sich bereits mit solchen Fällen beschäftigen. Doch ein klares Urteil lässt dieser auch vermissen: "Das Maß der gebotenen Aufsicht richtet sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, sowie danach, was dem Aufsichtspflichtigen in der konkreten Situation zugemutet werden kann." Die Unfallkasse Rheinland-Pfalz, die in Schadenersatzfällen für Kita- oder Schulträger einspringt, weist darauf hin, dass eine ständige Überwachung "auf Schritt und Tritt" für Kinder im Kindergartenalter nicht erforderlich "und oft nicht möglich" sei. "Dahin zielende Maßnahmen wären unzumutbar."
Kurz vor der gestrigen Urteilsverkündung hatte das Koblenzer Oberlandesgericht einen ähnlichen Fall verhandelt. Eine Frau verklagte eine Ortsgemeinde im Kreis Birkenfeld, weil im Mai 2010 ein vierjähriges Kind der dortigen Kita ihr davor abgestelltes Auto mit Steinen bewarf und beschädigte. Sie behauptet, die Erzieherinnen hätten ihre Aufsichtspflicht verletzt und verlangt daher von der Gemeinde Schadenersatz.Extra

Eltern und Erzieher haben Kindern gegenüber das Recht und auch die Pflicht, sie zu erziehen und zu beaufsichtigen. Das heißt, sie müssen versuchen, das Kind vor Gefahren zu bewahren. Und das gilt gerade dann, wenn Kinder noch zu klein sind, um selbst Gefahrenquellen zu erkennen. Aufsichtspflicht heißt aber auch, dass Eltern oder Erzieher dafür sorgen müssen, dass Kinder keine anderen Personen oder deren Besitz schädigen. Dabei beginnt die Aufsichtspflicht des Erziehers, wenn das Kind im Kindergarten übergeben wird, und sie endet, wenn es von den Eltern oder anderen verlässlichen Erwachsenen abgeholt wird. red

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort