Stress, lass nach!
Weihnachten steht vor der Tür — und die Verwandtschaft auch. Das Festmenü dagegen ist noch ungekocht, für den Christbaum fehlt der Schmuck. Und dann ist da noch die Sache mit den Geschenken. Klingt bekannt, oder?
"Nun schlägt die Stunde der Last-Minute-Geschenke", frohlockt der Handelsverband Deutschland HDE unmittelbar vor Weihnachten auf seiner Homepage. Doch des einen Freud ist des anderen Leid, wie der Kölner Psychologe Peter Groß berichtet. Das "Fest der Feste" ist für viele zu einem echten Stressfaktor geworden. Und das hängt nicht nur mit der Jagd nach passenden Präsenten für Eltern, Partner oder den Nachwuchs zusammen.
Was hilft, außer Stoßgebete gen Himmel zu schicken? Groß, selbst Familienvater, hat mit Blick auf die Geschenke einen ersten, simpel klingenden Tipp parat: Verzicht üben — oder, wenn die liebe Verwandtschaft mosert, eine Obergrenze vereinbaren — "sagen wir mal, 20 Euro". Anstatt "wie ein Idiot suchend durch Kaufhäuser zu rennen" könnten alte Rituale wiederbelebt werden. Etwa gemeinsam und mit Ruhe den Baum schmücken.
Familienkonferenz abhalten
Die Faustregel von Groß: Entdecke die Möglichkeiten, baue nur keinen neuen Druck auf. Würden die Kinder unterm Christbaum gern Gedichte aufsagen, sei das in Ordnung. "Aber wenn die Hausmusik-Nummer mit Flöte und Violine quält, sollte man sie streichen."
Quälend für viele Familien scheinen auch die Debatten rund um die Nahrungsaufnahme zu sein, folgt man Experten wie Werner Tiki Küstenmacher. Mit seiner "simplify your life"-Methode ist der Autor zum ungekrönten König der Lebensratgeber geworden.
Einer seiner Tipps für die letzten Meter vor der Krippe trägt die Überschrift "Familienkonferenz" und stellt die Fragen aller Fragen: "Wie soll Heiligabend ablaufen? Was hat letztes Jahr genervt, was hat gefehlt?" Oft zeige sich da: "Mutti denkt, dass alle ein Riesenmenü erwarten, aber eigentlich sind alle viel zu satt."
Der gelernte evangelische Pastor erinnert aber auch an den Ursprung des Festes und rät zu mehr Dankbarkeit. "Weihnachten feiern wir, dass Gott Mensch geworden ist und wir von ihm beschenkt wurden. Schalten Sie daher von Geschenkstress auf Dankbarkeit. Statt: ,Hilfe, der schenkt mir was und ich hab nichts für ihn!' also: ,Danke, dass ich etwas bekomme!'"
Doch schon das Gedrängel in den Fußgängerzonen der Republik zeigt: wirklich Ruhe finden — das ist schwerer als gedacht. Maria Anna Leenen weiß, wie das geht. Rund 40 Kilometer nördlich von Osnabrück lebt die 59-Jährige: zurückgezogen als katholische Eremitin in der Klause St. Anna. Familien rät Leenen, sich weniger um die äußere Gestaltung zu kümmern, und miteinander ins Gespräch zu kommen, "was für mich und mein Gegenüber Weihnachten bedeutet und die verschiedenen Sichtweisen zu akzeptieren".
Sie selbst hat die Adventszeit genutzt als "Zeit der Erinnerung, dass meine irdische Zeit einmal zu Ende gehen und es danach einen spektakulären Neuanfang geben wird". Dafür braucht es, sagt Leenen, Phasen, in denen nichts passiert, "in denen ich mich nur öffne für das, was in mir und um mich herum ist". Wer sich darauf nicht einlassen mag und mit wachsender Hast bei zunehmender Verzweiflung die Suche nach Last-Minute-Geschenken und Fünf-Gänge-Menüs fortsetzt, erhält von Autor Küstenmacher frei Haus den Hinweis auf ein weiteres Naturgesetz: "Entspannen Sie sich. Weihnachten findet auf jeden Fall statt, ob Sie sich stressen oder nicht."