Vom Traumurlaub zum rechtlichen Alptraum

Endlich Urlaub. Mit dem Auto oder Motorrad kreuz und quer durch Europa reisen. Ein Traum mit viel Horrorpotenzial, wenn man sich die Bußgeldkataloge etlicher EU-Länder genauer anschaut. Und zum Alptraum können sich die juristischen Finessen auswachsen, die ab 1. Oktober mit der europäischen Vollstreckungsregelung für Bußgelder auf Verkehrssünder zukommen.

Trier. Der Grundsatzbeschluss der Europäischen Union (EU), dass die Mitgliedsländer Geldbußen und Geldstrafen gegenseitig anerkennen und auch vollstrecken, ist fünf Jahre alt. Zum 1. Oktober wird nun die Absicht Gesetz - und bleibt dennoch eine unvollkommene Regelung mit Haken und Ösen.

Nach den Vorstellungen der EU-Bürokratie sollen Bußgelder für Gesetzesverstöße ab einer Summe von 70 Euro aufwärts im Heimatland des Beschuldigten vollstreckt werden können. Was sich so einfach anhört, zieht einen Rattenschwanz verwaltungstechnischer und juristischer Folgen nach sich. Ein Beispiel: Angenommen, ein deutscher Autofahrer wird in Frankreich "geblitzt", weil er eine zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h überschritten hat. Dafür sind im Nachbarland 1500 Euro fällig. Der Fahrer hat zunächst Glück und trifft keine Polizeikontrolle an, die gleich bar kassiert. Die Franzosen stellen anhand des Kennzeichens den Halter des Fahrzeugs fest und schicken ihm ganz korrekt per Post einen Bußgeldbescheid mit Anhörungsbogen zu. Der soll laut EU-Verordnung in der Landessprache des Beschuldigten ausgefertigt sein. Allerdings bezweifeln Verkehrsclubs und Fachjuristen, dass das immer so sein wird.

Besser auf den Bescheid aus dem Ausland reagieren



Man kann sich mit dieser EU-Vorschrift als Betroffener auch nicht herausreden und die polizeiliche Post aus dem Ausland gleich in den Müll werfen, weil man den Inhalt nicht verstanden hat. "Denn unabhängig davon gibt es im Ursprungsland ein Bußgeldverfahren, das sich nicht von allein erledigt", warnt Herbert Engelmohr, Jurist beim Automobilclub von Deutschland (AvD). Im eigenen Interesse sollte man deshalb umgehend Kontakt mit dem Absender aufnehmen und um eine deutsche Version bitten. In manchen Ländern etwa verdoppeln sich die Bußgeldsummen, wenn man nicht innerhalb einer festgesetzten Frist Stellung zu den Vorwürfen bezieht.

Im gewählten Beispiel wird es aber noch komplizierter, wenn der Beschuldigte die Zahlung verweigert und das Bußgeld eingetrieben werden soll. Dafür ist in Deutschland das Bundesamt für Justiz in Bonn zuständig, das wegen der neuen Aufgabe mit 100 Stellen zusätzlich ausgestattet wurde.

Diesem Amt wird möglicherweise ein französisches Beweisfoto vorliegen, das die Rückansicht eines Fahrzeugs mit dessen Kennzeichen zeigt. Für französische Verhältnisse kein Problem, weil dort bei Verkehrsdelikten die "verschuldensunabhängige Halterhaftung" besteht. Im Klartext: Der Halter eines Fahrzeugs ist der Delinquent, unabhängig davon, wer am Steuer saß. Aber die Halterhaftung gibt es in Deutschland nicht, weshalb bei Radarkontrollen immer Fotos von vorne angefertigt werden, die auch deutlich das Gesicht des Fahrers zeigen.

Deshalb wird das Bundesamt als Vollstreckungsbehörde ein Problem haben, denn die Geldeintreibung würde in Deutschland einer gesetzlichen Grundlage entbehren.

Wie ein solcher Musterfall ausgehen würde, wissen selbst Juristen derzeit nicht einzuschätzen. Deshalb rät Herbert Engelmohr allen künftig von derartigen Bescheiden Betroffenen: "Man muss sich mit dem Verfahren ausein andersetzen!"

Völlig offen ist noch, wie sich die einzelnen EU-Länder bei der Eintreibung von Bußgeldern verhalten werden. Denn nach dem Willen der EU-Bürokratie bleiben die eingenommenen Summen im Vollstreckerland. In unserem Beispiel würde das bedeuten, dass eine französische Polizeidienststelle und in der Folge möglicherweise auch die Justiz des Landes großen Aufwand betreiben, um ein erkleckliches Sümmchen in den deutschen Bundeshaushalt fließen zu lassen.Harte Tatsachen Einige Beispiele für den Umgang mit Verkehrssündern: In Griechenland können sich die ohnehin hohen Bußgelder verdoppeln, wenn sie nicht innerhalb von zehn Tagen bezahlt werden. So kann laut ADAC ein Überholverstoß schnell mit 700 Euro zu Buche schlagen. In Italien hat die Polizei das Recht, Fahrzeuge von alkoholisierten Fahrern mit mindestens 1,5 Promille Blutalkoholkonzentration zu enteignen, sofern Fahrer und Besitzer identisch sind. Die Fahrzeuge werden anschließend zwangsversteigert. Und wer in Spanien 60 Kilometer zu schnell oder mit 1,2 Promille fährt, riskiert eine Haftstrafe von mindestens drei Monaten. (ek)extra Die Rechtsabteilungen aller großen deutschen Automobilclubs fordern die Umsetzung einer europäischen Regelung, wonach Bußgeldbescheide und Mahnschreiben in der Landessprache des Empfängers abzufassen sind. Sie berufen sich dabei auf eine Vorschrift im Europäischen Rechtshilfeübereinkommen. Beim Polizeipräsidium Trier ist von einer derartigen Verordnung nichts bekannt. Monika Peters, Pressesprecherin des Präsidiums, dazu: "Wir versenden Anhörungsbögen im Bußgeldverfahren auch ins Ausland ausschließlich in deutscher Sprache." (ek)

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