Unionsstreit Nervenkrieg im Adenauerhaus

Berlin/München · Beim Kräftemessen von Merkel und Seehofer geht es um nichts Geringeres als die Zukunft der Regierung. Die Rücktrittsankündigung des Innenministers macht alles noch komplizierter.

Nervenkrieg im Adenauerhaus
Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

(dpa) - Nach Horst Seehofers Rücktrittsankündigung überwiegt nicht nur in der CSU die Ernüchterung. "Ist das wirklich passiert, oder war das nur ein böser Traum", fragt sich am Montag ein hochrangiges CSU-Mitglied. Es scheint, als habe der CSU-Chef, Bundesinnenminister Horst Seehofer, im Asylstreit mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) endgültig aufgegeben. Und damit nicht genug: Das Bild, das andere Teilnehmer von Seehofer und der Partei zeichnen, ist niederschmetternd: "zermürbt", "erschöpft", "müde". Der Schaden, den Seehofer sich und der CSU zugefügt habe, sei verheerend.

So hätte sich Seehofer sein Karriereende nicht vorgestellt. Trotzdem muss es weitergehen, irgendwie, Hauptsache schnell. Überraschend kommen Merkel und Seehofer am Nachmittag für etwa eine Stunde im Büro des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) zusammen. Über Inhalte des Gesprächs wird zunächst nichts bekannt. Aber es dürfte zweifellos einer der letzten Mediationsversuche gewesen sein, die es vor den anstehenden Entscheidungen zur Lösung der Regierungskrise gegeben hat. Oder ob sie sich doch schon darüber unterhalten haben, wie es weitergehen könnte, wenn die CSU doch noch aus der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aussteigen sollte?

Der CSU-Chef war direkt aus München zum Treffen mit Schäuble und Merkel gekommen - an der Fraktionssitzung hatte er bereits zum zweiten Mal hintereinander nicht teilgenommen. Als Grund war von einem Stau auf der Fahrt nach Berlin die Rede. Aber es könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass Seehofer seine Zukunft kurz vor seinem 69. Geburtstag an diesem Mittwoch tatsächlich nicht mehr in der Hauptstadt und am Kabinettstisch von Merkel sieht.

Als Merkel zu dieser ganz besonderen Fraktionssitzung am möglichen Entscheidungstag des festgefahrenen Streits kommt, gibt sie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zwar die Hand, beide lächeln wie üblich. Doch als sich Merkel wie gewohnt rechts neben Fraktionschef Volker Kauder (CDU) vor die Kameraleute setzt, würdigt sie ihn keines Blickes mehr. Von rechts versucht Dobrindt, Blickkontakt aufzunehmen. Doch er wendet sich rasch ab - sehr schnell dürfte er gemerkt haben, dass Merkel heute beschlossen hat, ihn vor den laufenden Kameras eher zu ignorieren. Dobrindt gilt manchen in der CDU im Streit der Unionsschwestern als Scharfmacher - der Kanzlerin kann so etwas in der aufgeheizten Lage nicht gefallen.

Merkel sagt nach Angaben von Sitzungsteilnehmern, der Wille zur Lösung des Streits mit der CSU sei da. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hatte zuvor gesagt, es sei deutlich geworden, dass die Fraktion erwarte, dass es an diesem Montagabend zu einer Lösung komme und CDU und CSU als Fraktionsgemeinschaft beieinander blieben. Der lange und kräftige Beifall im Anschluss wurde als Signal der Fraktion an die Parteispitzen gewertet, sich endlich zu einigen.

Aus der CDU sind viele versöhnliche Töne zu hören. CDU-Vize und Agrarministerin Julia Klöckner etwa äußert ein gewisses Verständnis für das "Ansinnen" der CSU. Ist das nur Mitleid oder doch das erhoffte Friedensangebot für eine Rettung in letzter Sekunde? Wohl kaum, heißt es aus der CSU. "Die Töne aus der CDU richten sich nicht mehr an Seehofer, sondern sind Signale für seinen Nachfolger", sagt man in der Partei. Das mag überzeichnet sein, Fakt ist aber, dass sich kein Unterstützer findet, der sich für Seehofer ins Zeug wirft.

Weder Durchhalteparolen noch Zuspruch sind zu hören. Stattdessen spricht Ex-Parteichef Erwin Huber zunächst als einziger das aus, was viele denken: Seehofers Rücktritt sei "unausweichlich", sagt er dem Bayerischen Rundfunk. Entwicklungsminister Gerd Müller spricht davon, dass die CSU auch nach einem Rücktritt Seehofers in der Regierung bleiben werde. Andere führende Köpfe umschiffen öffentliche Aussagen zu Seehofers Zukunft und widmen sich lieber der Zukunft der Union. "Die Stabilität der Regierung steht für uns nicht infrage, auch ein Aufkündigen einer Fraktionsgemeinschaft ist nicht der richtige Weg", sagt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Dobrindt beschwört in der Fraktionssitzung die "Schicksalsgemeinschaft" von CDU und CSU, die sich bewähre, wenn sie herausgefordert werde.

Von der in der Vorstandssitzung noch geforderten Jobgarantie für Seehofer ist längst keine Rede mehr. Nach der Notbremse des Vorsitzenden und dem Dauerstreit soll nur noch weiterer Schaden von der Union ferngehalten werden, sofern dies noch möglich ist.

Kurz vor dem Spitzentreffen von CDU und CSU richtet Seehofer noch einmal persönlich schwere Vorwürfe an Merkel. "Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Er befinde sich in einer Situation, die für ihn "unvorstellbar" sei: "Die Person, der ich in den Sattel verholfen habe, wirft mich raus."

Gegen 17.40 Uhr schreitet der CSU-Chef dann in das Adenauerhaus. "Ich hoffe, dass es noch hell ist, wenn ich wiederkomm", sagt er zu den wartenden Journalisten. Bei diesem Treffen hat der 68-Jährige tatsächlich noch einmal die Fäden in der Hand. Und nicht nur Söder, der die CSU am 14. Oktober als Spitzenkandidat in die Landtagswahl führen soll, dürfte die Luft anhalten.

Denn sollte Seehofer etwa vor einem Rücktritt noch die umstrittenen Zurückweisungen von bereits in anderen EU-Ländern registrierten Flüchtlingen anweisen, würde dies die Neuordnung der Union massiv erschweren. Umgekehrt würde eine Absage an die bislang hoch gehaltene Überzeugung in der laut CSU "bedeutendsten Frage" die Glaubwürdigkeit der Partei noch mehr beschädigen. Bleibt also die Hoffnung auf einen Kompromiss, der schon in den vergangenen Wochen nicht gefunden werden konnte.

Trotzdem machen in beiden Parteien schon viele findige Varianten die Runde. Etwa in der Art, wie Seehofer es Merkel bei einem Krisentreffen im Kanzleramt am Samstag vorgeschlagen haben soll: dass nicht alle Migranten zurückgewiesen werden, die in anderen EU-Ländern registriert sind, sondern nur solche, bei denen das Asylverfahren bereits läuft. Eine andere Idee aus CDU-Kreisen sieht eine Lösung in einem erneuten Zeitfenster, bei dem Seehoferselbst mit dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ein bilaterales Abkommen zum Umgang mit Flüchtlingen aushandeln könnte.

In der CSU sind Kompromisse in der Sache herzlich willkommen, gleichwohl fehlt die Fantasie zur realistischen Umsetzung - egal ob mit oder ohne Seehofer. Denn ungeachtet aller Entwicklungen hat der Beschluss des CSU-Vorstands zur Umsetzung von Seehofers "Masterplan Migration" Bestand. Die Umsetzung - inklusive Zurückweisungen - ist weiterhin bindend. Damit würde der ungelöste Streit mit der CDU aber wieder neu entfacht. "Was wäre die Konsequenz? Würde Merkel dann auch Seehofers Nachfolger entlassen?" Oder stellt Merkel das Kabinett um, holt das Innenministerium zurück zur CDU? Das dürfte die CSU auch in ihrer aktuellen Not kaum ertragen können.

Apropos mögliche Nachfolger Seehofers: Für den Posten als Parteichef scheinen nur noch zwei Männer infrage zu kommen - Söder und Dobrindt. Söder hat zwar erst vor wenigen Wochen erklärt, er strebe das Amt nicht an. Dass sich die Ausgangslage inzwischen aber dramatisch verändert hat, dürften auch seine Kritiker nicht bestreiten. "Wenn er den Posten will, wird er ihn auch bekommen", sagt ein CSU-Vorstand.

Dessen sei sich auch Dobrindt bewusst. Sollte Seehofer an seinem Rücktritt festhalten, dürfte sich die Machtfrage in der CSU schnell klären. Für die Neuwahl wäre ein Parteitag notwendig. "In der aktuellen Lage wäre das eine Chance für den Neuanfang auf großer Bühne", heißt es. Zumindest wenn Merkel nicht eingeladen werde.

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