Energie Hohe Benzinpreise und keiner will schuld sein

Trier · Warum der Massenprotest in Frankreich gegen steigende Spritpreise wohl nicht auf Deutschland übergreifen wird. Trierer Experten analysieren die Lage.

 Frust beim Tanken: Viele Autofahrer ärgern sich über die Treibstoffpreise.

Frust beim Tanken: Viele Autofahrer ärgern sich über die Treibstoffpreise.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Wer in diesen Tagen an hiesigen Tankstellen seinen Autotank füllt und dafür schon mal über 80 Euro zahlen muss, der wird wohl bewundernd nach Frankreich schauen. Dort, wie auch gestern in Belgien, blockieren seit dem Wochenende wütende Autofahrer in gelben Warnwesten Straßen und Autobahnen. Aus Protest gegen die wegen einer im nächsten Jahr geplanten CO2-Steuer steigenden Spritpreise. „Die Franzosen machen es richtig. Die lassen sich die steigenden Preise nicht mehr gefallen“, ist in den sozialen Netzwerken von dem ein oder anderen wütenden deutschen Autofahrer zu lesen. Doch würden die Deutschen ebenso wie einige französische Wutbürger Straßen mit brennenden Reifen und Sitzblockaden dicht machen?

„Derartige breite Massenproteste sind in Deutschland eher nicht vorstellbar. Die Menschen hierzulande gehen zwar auch rege demonstrieren, die Streik- und Protestkultur ist jedoch insgesamt durch eine größere Ordnung geprägt“, sagt der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden. Formen des zivilen Ungehorsams, wie etwa Sitzblockaden, blieben in der Regel auf eine bestimmte Klientel beschränkt. „Auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer reagierten die Wähler an den Wahlurnen, nicht auf der Straße.“ Frankreich habe demgegenüber eine „revolutionäre Widerstandstradition“. In Frankreich sei ein solch breiter Protest, an dem sich Links- und Rechtsaußen beteiligen, außerdem darauf zurückzuführen, dass viele Wähler von Präsident Emmanuel Macron enttäuscht seien, weil er etwa „den expansiven französischen Sozialstaat einschränken“ wolle.

Den Ansehensverlust von Macron sieht auch der Trierer Politikwissenschaftler Joachim Schild als Auslöser der Proteste in Frankreich. Neben den Steuererhöhungen auf Benzin und vor allem Diesel trügen auch andere Kaufkraftminderungen zum „gesellschaftlichen Unmut“ bei. So hat die Regierung eine steuerähnliche Sozialabgabe deutlich erhöht, bevor eine Kompensation in Form einer Arbeitnehmerentlastung bei Lohnnebenkosten griff, die zu einer Netto-Entlastung führt. Aber temporär mussten Millionen von Franzosen Kaufkraftverluste hinnehmen. Falls in Deutschland Pläne für eine CO2-Steuer realisiert würden, seien auch Proteste möglich, sagt Schild. „Hierzulande wäre eine breite Mobilisierung seitens des ADAC vorstellbar, wie wir sie Ende der 1990er Jahre gegen die Einführung der Ökosteuer durch die rot-grüne Bundesregierung erlebt haben.“

Bemerkenswert an der Gelbe-Westen-Bewegung in Frankreich sei, dass bei Protestaktionen nicht mehr zwingend eine offizielle Organisation oder Institution notwendig sei, sondern die Koordinierung ausschließlich über soziale Medien erfolge, sagt der Trierer Soziologe Waldemar Vogelgesang. Zwar finde der Prostest nach wie vor auf der Straße statt, aber durch die Aufrufe im Internet sei es für die Polizei fast unmöglich, die Orte einzelner Aktionen vorher zu kennen. „Ob die Bewegung auch das Potenzial hat, nach Deutschland überzuspringen, bleibt abzuwarten“, sagt Vogelgesang.

Die Wut vieler Autofahrer in Deutschland richtet sich auch gegen den Staat. Dem werfen sie vor, die Spritpreise bewusst in die Höhe getrieben zu haben, um so mehr Steuern einnehmen zu können. Den Mineralölkonzernen unterstellen sie, dass die Lieferprobleme durch das Niedrigwasser vorgeschoben seien und sie die Lage ausnutzten, um die Autofahrer durch überhöhte Preise abzuzocken. Dem widerspricht nicht nur der Mineralölwirtschaftsverband, der die Interessen der Konzerne vertritt. Auch der Tankstelleninteressenverband sieht den Grund für die ansteigenden Spritpreise in den „völlig aus dem Ruder gelaufenen Lieferketten“. Die Mineralölkonzerne hielten sich zwar „schadlos“ und seien keine „karitativen Unternehmen“, aber ein „übermäßiges Hinlangen“ sei nicht zu erkennen, sagt Verbandssprecher Herbert W. Rabl. Wenn den Konzernen etwas vorzuwerfen sei, sei es dass das gesamte Transportsystem „auf Kante“ genäht sei und schon kleinere Erschütterungen wie das Niedrigwasser und ein Raffineriebrand im September in Bayern den Krisenmodus auslösten. Die hohen Preise seien auch schädlich für die Tankstellenpächter. Die Einnahmen durch die Zusatzgeschäfte, von denen diese überwiegend lebten, würden durch die hohen Spritpreise schmaler.

Unverständlich für viele Autofahrer ist auch, warum – falls sie daran glauben – die Lieferengpässe durch das Niedrigwasser nicht einfach durch mehr Transporte auf Straße und Schiene ausgeglichen werden. Laut Mineralölwirtschaftsverband transportiert ein Tankschiff normalerweise rund 2000 Tonnen Kraftstoff oder Öl. Um diese Menge auf die Straße zu bringen, seien 80 Tankwagen der größten Kategorie notwendig, heißt es beim Energiehandel Südwest. Eine solche Kapazität stehe nicht kurzfristig zur Verfügung. Um trotzdem mehr Kraftstoff zu den Tankstellen zu transportieren, sollen Tanklaster auch sonntags fahren dürfen. Das Bundesverkehrsministerium hat die Länder gebeten, von Kontrollen der Sonn- und Feiertagsfahrverbote für diese LKW abzusehen. Im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium zeigt man sich darüber überrascht. Praktisch könnten auch jetzt schon Tanklaster „völlig legal“ an Sonntagen fahren, sagt eine Sprecherin. Die Straßenverkehrsordnung, die ein Bundesgesetz sei, lasse Ausnahmen zu: Eine Ausnahmegenehmigung erteile die Straßenverkehrsbehörde, in deren Zuständigkeit die Ladung aufgenommen werde oder der Antragsteller seinen Wohnort, seinen Sitz oder eine Zweigniederlassung habe. Diese Ausnahmegenehmigung gelte dann für die Fahrt durch ganz Deutschland.

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