Experten befürchten Lohn-Preis-Spirale Maikundgebungen: Inflation treibt Lohnforderungen nach oben

Berlin · Die hohe Inflation ist dabei sich zu verfestigen, je länger der Ukraine-Krieg andauert. Die Gewerkschaften werden die Maikundgebungen am 1. Mai nutzen, um deutlich höhere Löhne zu fordern. So kann eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen, warnen Ökonomen.

 DGB-Chef Reiner Hoffmann kann sich nur Lohnabschlüsse oberhalb der erwarteten jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von sechs Prozent vorstellen.

DGB-Chef Reiner Hoffmann kann sich nur Lohnabschlüsse oberhalb der erwarteten jahresdurchschnittlichen Inflationsrate von sechs Prozent vorstellen.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Um 7,3 Prozent sind die Verbraucherpreise im März gestiegen, und für den Monat April erwarten Ökonomen am Freitag eine ähnlich hohe Inflationsrate. Die Bundesbank rechnet im Jahresdurchschnitt mit sechs Prozent Inflation – und die Bundesregierung schließt sich dieser Prognose an. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) legt die neue Vorhersage an diesem Mittwoch dem Kabinett vor. Habeck erwartet darin nur noch 2,2 Prozent Wachstum und eine historisch hohe Inflationsrate von 6,1 Prozent.

Immer deutlicher wird, dass die starke Teuerung kein vorübergehendes Phänomen ist, wie die Europäische Zentralbank (EZB) lange Zeit angenommen hatte. Sie hat sich wegen des Ukraine-Kriegs, anhaltender Lieferprobleme und hoher Energiepreise verfestigt – und das schürt auch die weiteren Inflationserwartungen. Auch die Gewerkschaften, die am kommenden Sonntag, dem Tag der Arbeit, überall in Deutschland ihre Maikundgebungen veranstalten, treibt die Inflation um. Sie wollen in den kommenden Tarifrunden mindestens einen Inflationsausgleich erreichen, um die Kaufkraftverluste von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu begrenzen. Der Deutsche Bankangestellten-Verband etwa fordert in der aktuellen Tarifrunde für die Bankenbranche für gut 135.000 Beschäftigte 6,1 Prozent mehr Geld pro Jahr – und das mit zwei Jahren Laufzeit.

Zu hohe Lohnforderungen können eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale auslösen, weil Unternehmen versuchen werden, ihre höheren Personalkosten durch Preissteigerungen an die Verbraucher weiterzugeben. Überwälzen nennt man das im Fachjargon. Das wissen auch führende Gewerkschafter wie Jörg Hofmann, der Chef der mächtigen Metallgewerkschaft IG Metall. Die Inflationsraten könnten bald zu hoch sein, um sie in der nächsten Lohnrunde komplett ausgleichen zu können, warnte er unlängst. Nicht wenige Betriebe leiden enorm unter den hohen Energiepreisen. Die Gewerkschaften müssen auch um den Erhalt mancher Arbeitsplätze fürchten.

Andererseits stehen die Gewerkschaften unter enormem Druck, möglichst hohe Lohnzuwächse zu erreichen. Für die Chemiebranche hatte die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) unlängst wegen des Ukraine-Kriegs zwar nur einem bis Herbst laufenden Brücken-Tarifvertrag zugestimmt. Im Oktober wird die Branche abermals verhandeln, dann mit Blick auch auf das kommende Jahr, in dem die Inflation nachlassen soll. Allerdings hatte sich der Verhandlungsführer der IG BCE-Vize, Ralf Sikorski, kämpferisch gezeigt. Es stehe „außer Frage, dass am Ende dieser Tarifrunde bei Entgelten und Ausbildungsvergütungen ein Plus oberhalb der Teuerungsrate stehen muss“.

Auch Reiner Hoffmann, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), lehnte es ab, die Gewerkschaften in die Defensive zu drängen. „Dass es durch faire Löhne zu einer Spirale bei der Inflation komme, ist Angstmacherei. Es sollte lieber in den Blick genommen werden, inwieweit Unternehmen die unübersichtliche Situation für unbegründete Preissteigerungen ausnutzen, um Extragewinne einzufahren“, sagte der DGB-Chef unserer Redaktion. Klar sei aber auch: „Der Kampf gegen die Auswirkungen der Inflation kann nicht allein der Tarifpolitik aufgebürdet werden. Die Politik muss mehr unternehmen, um die durch Sonderfaktoren getriebene Inflation zu bremsen.“ Dafür ist das Entlastungspaket der Bundesregierung nun ein erster Schritt.

„Ein Inflationsausgleich, eine Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an den Produktivitätsgewinnen und eine gerechtere Verteilung bleiben die Hauptziele unserer Tarifpolitik“, sagte Hoffmann. „Wir sehen doch, dass es an etlichen Stellen Verteilungsspielraum gibt, das zeigen Meldungen über Rekordgewinne und hohe Dividendenzahlungen. Die meisten Unternehmen können Lohnsteigerungen zahlen, ohne weiter die Preise zu erhöhen. Außerdem machen die Löhne nur einen – in manchen Branchen durchaus geringen – Teil der Gesamtkosten aus“, so Hoffmann.

Zu hohe Lohnforderungen werden die Teuerung aus Expertensicht allerdings tatsächlich beschleunigen. „Die Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale ist sehr hoch. Daher halte ich es für wünschenswert, dass die Tarifabschlüsse nicht durch dauerhafte Tariflohnerhöhungen zur Kompensation der Teuerung bestimmt sind. Dies würde die Inflation nur noch zusätzlich anheizen“, warnt etwa der Freiburger Top-Ökonom und Ex-Chef der Wirtschaftsweisen Lars Feld, heute persönlicher Wirtschaftsberater von Finanzminister Christian Lindner (FDP). „Letztlich ist keine vollständige Kompensation der aktuellen Teuerung durch die Lohnpolitik ohne zusätzliche negative Auswirkungen auf die Wirtschaftslage möglich“, sagte Feld.

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