AfD-Parteitag in Dresden Höcke führt seinen Einfluss vor

Bei früheren Parteitagen zog er die Fäden im Verborgenen, selten reichte es für Mehrheiten. Nun führt Thüringens AfD-Chef Björn Höcke beim Bundesparteitag in Dresden vor, dass er die AfD bereits in wichtigen Fragen zu treiben und inhaltliche Vorstöße durchzusetzen vermag.

Björn Höcke bei einem seiner Auftritte in der Dresdner Messehalle am Samstag beim AfD-Parteitag.

Björn Höcke bei einem seiner Auftritte in der Dresdner Messehalle am Samstag beim AfD-Parteitag.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Der Parteitag läuft noch keine Dreiviertelstunde, da wagt Björn Höcke in Dresden die erste Machtprobe. Er will, dass die Abberufung von Roland Hartwig als Vorsitzender einer Arbeitsgruppe zur Abwehr des Verfassungsschutzes Thema des Delegiertentreffens wird. Er will, dass Hartwig, der „aus machtpolitischen Gründen“ vom Vorstand abberufen worden sei, wieder ins Amt gebracht wird. Höcke-Kritiker warnen vor diesem Versuch, „undemokratische“ Parallelstrukturen zum Bundesvorstand aufzubauen, der Parteitag sei laut Satzung gar nicht berechtigt, Arbeitsgruppen des Vorstandes zu bestimmen. Es hilft nicht. Höcke hat die Mehrheit, setzt sich mit 52 gegen 48 Prozent durch.

Es bleibt nicht Höckes einzige Intervention, und in den folgenden Stunden wird wiederholt deutlich, wie stark er die Partei bereits im Griff hat. Er spricht sich dagegen aus, die Redezeiten in den ersten Auseinandersetzungen zu begrenzen – und hat damit Erfolg. Er spricht sich dafür aus, die Anzahl der Spitzenkandidaten auf dem Parteitag festzulegen, obwohl die Auswahl einem Mitgliederentscheid vorbehalten werden soll – und hat damit Erfolg. Und dann übernimmt er in der wichtigsten aktuellen Frage die Positionierung der AfD zur Corona-Politik – und bringt auch eine enorme Verschärfung durch.

Karsten Hilse, AfD-Abgeordneter mit einschlägigem Auftreten als Masken-Gegner, hat eine Resolution gegen die Corona-Maßnahmen eingebracht. AfD-Gesundheitsexperten halten sie in Teilen für falsch in anderen für „ideologisch aufgeladen“. Die Position der AfD zur Corona-Strategie sei doch schon im Bundestagswahlprogramm enthalten, das gleich im Anschluss ohnehin beraten werden solle. Doch Höcke geht in den Ring und wird zum ersten Mal kämpferisch. Es gehe um ein „politisches Zeichen“, das die AfD jetzt und zwar sofort setzen müsse.

Der AfD-Abgeordnete Götz Frömming versucht, der fachlichen Expertise einen Weg zu bahnen, indem er anregt, dass sich der Antragsteller mit den Gesundheitspolitikern von Partei und Fraktion zusammensetzen und den Antrag in geraffter Form überarbeiten möge, damit man ihn eine Stunde später dann beschließen könne. Doch das Höcke-Lager befürchtet offenbar, dass über diesen Umweg etwas weichgespült werden könnte – und macht Druck. Nach einer Unterbrechung wegen technischer Probleme werden noch ein paar Änderungsanträge abgelehnt, dann folgt der Parteitag mit Mehrheit dem Hilse-Höcke-Vorstoß und beschließt die Resolution.

Damit stellt die AfD nun offiziell die Notwendigkeit von Maßnahmen grundsätzlich in Frage, fordert das sofortige Ende jeglichen Lockdowns und will stattdessen Maßnahmen empfehlen, „die das Immunsystem stärken“. Zudem wendet sie sich gegen jeden „Zwang“ zur Durchführung von Tests oder Impfungen und will, dass die Bevölkerung sich „keinerlei Risiken“ durch Impfstoffe aussetze. Es ist die Positionierung, die ideal zu Höckes Interpretation der Corona-Gefahren als „herbeigetestete Pandemie“ passt, nachdem er die Pandemie bereits im Sommer letzten Jahres für beendet und nicht wiederkommend erklärt hatte.

Diesem Erfolg fügt Höcke wenig später einen weiteren inhaltlichen Sieg im neuen Bundestagswahlprogramm hinzu. Auf seine Intervention kommt auch eine Passage über den Verfassungsschutz hinzu. Und wieder legt er sich am Mikrofon stark ins Zeug und greift den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, persönlich an, indem er ihn als „willigen Vollstrecker“ bezeichnet, seine Behörde als „Spitzeltruppe“. Aber er kann es noch kräftiger und wirft dem Bundesamt vor, „kriegsrechtlich“ aktiv zu sein, weil durch den Verfassungsschutz „die Opposition“ durch „die Regierung“ „verfolgt“ werde. Der Verfassungsschutz sei so verfassungsfeindlich unterwegs, dass er sich eigentlich ständig selbst überwachen müsse. Und dann plädiert er für die Abschaffung der Behörde für den Fall, dass sie nicht reformierbar sei. Dann sei „kein Verfassungsschutz besser als dieser Verfassungsschutz“.

Lebhafter Beifall bezeugt, dass Höcke mit solchen scharfen Attacken die AfD zu begeistern gelernt hat. Im Netz wird er im Live-Chat parallel von vielen Anhängern gefeiert, die ihn an der Stelle von Parteichef Jörg Meuthen sehen wollen. Doch noch folgt ihm die Partei nicht bei jeder Idee. Die Attacke auf den Verfassungsschutz und die Forderung nach dessen Umbau kommt zwar mit großer Mehrheit ins Wahlprogramm, doch die Abschaffung bleibt draußen. Hier zeigt sich eine Mehrheit offenbar dem Hinweis zugänglich, dass man den Verfassungsschutz durchaus noch brauchen könne, um Linksextremisten beobachten zu können.

Und doch wirkt die von Höcke gewollte Zuspitzung im Programm wie ein emotionales Signal auch für die folgenden Debatten des Parteitages. Das Europa-Kapitel etwa ist zwar bereits mit gehöriger EU-Skepsis und der Aussicht versehen, die EU zu verlassen, wenn sie sich nicht im Sinne der AfD zu einem Staatenbund souveräner Staaten ohne gemeinsame Währung reformieren lasse. Doch das reicht der Mehrheit nun nicht mehr. Obwohl Meuthen und auch AfD-Ehrenvorsitzender Alexander Gauland davor warnen, den Austritt Deutschlands aus der EU explizit als Wahlziel der AfD ins Programm zu schreiben, setzen sich die EU-Hasser in langer, aufgewühlter Debatte am Ende durch. Nach dem Brexit will die AfD in Deutschland nun für den Dexit gewählt werden. „Wir wollen nicht mehr taktieren, wir brauchen den Austritt“, ruft ein Delegierter. Dieser sei „notwendig“, steht nun im Wahlprogramm.

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