Am Wochenende in Dresden AfD-Parteitag mit Spaltungs-Potenzial

Analyse | Berlin · Beim Delegiertentreffen der AfD an diesem Wochenende in Dresden geht es nicht nur um das Bundestagswahlprogramm. Dutzende wollen Parteichef Jörg Meuthen feuern. Es ist die Revanche für den Versuch Meuthens, die radikalen „Flügel“-Anhänger aus der Partei zu treiben.

 Jörg Meuthen beim turbulenten Bundesparteitag der AfD Ende November in Kalkar.

Jörg Meuthen beim turbulenten Bundesparteitag der AfD Ende November in Kalkar.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Wie bei einem Heimspiel werden sich die Delegierten des AfD-Bundesparteitages am Wochenende in der Dresdner Messe fühlen. Der gastgebende sächsische Landesverband hat kurz vor dem Treffen die Nachricht erhalten, dass er in der Sonntagsfrage im Land an der CDU vorbei gezogen ist: CDU minus 2,9 auf 27,3 Prozent, AfD plus 3,2 auf 29,6 Prozent. Das dürfte die Stimmung mit beeinflussen, nachdem der AfD-Kurs sich in der Pandemie über viele Wochen bundesweit in sinkenden Werten niedergeschlagen hatte. Doch über dem Parteitag liegt ein Schatten: die drohende Spaltung der AfD.

Parteichef Jörg Meuthen hatte Ende November beim Sozialparteitag der AfD in Kalkar den Konflikt mit dem formal aufgelösten, von Rechtsextremisten beherrschten „Flügel“ der Partei gesucht und sich von Anhängern des „Flügel“-Frontmannes, des Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, daraufhin „spalterisches Gebahren“ vorhalten lassen müssen. Zuvor war Meuthen mit dem Versuch gescheitert, die rechtsradikale Strömung aus der Partei zu treiben und ihr die Gründung einer eigenen Partei nahezulegen.

Meuthen zog damit die Lehren aus dem Scheitern von zwei Vorgängern. Parteigründer Bernd Lucke hatte nach seiner Abwahl eine eigene Partei gegründet, die außerhalb wahrnehmbarer Chancen dahindümpelt, auch wenn ihr ein größeres Potenzial zugetraut wird. Auch dessen Nachfolgerin Frauke Petry hatte ihren Kurs der Mäßigung nicht durchsetzen können, war ausgetreten und blieb mit der Gründung einer eigenen Partei ohne Erfolg. Meuthen wollte die Neugründung nun den Gegnern überlassen und dann selbst eine Extremismus-arme Partei steuern.

Vehementen Widerstand fand er nicht nur bei den Sympathisanten des „Flügels“ und all jenen, die dessen Unterstützung ihre Karriere verdanken, sondern auch beim Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. Er hatte mit bürgerlicher Attitüde und grenzverletzenden Äußerungen über Jahre an dem Konglomerat aus Euro-Gegnern, heimatlosen Konservativen und völkisch-nationalistischen Extremisten gearbeitet, die zusammen der AfD zweistellige Werte bescheren. Das äußerliche Zusammengehen hat die  die innerliche Zweiteilung der Partei zur Folge.

War es in Kalkar zum spontanen und vergeblichen Versuch gekommen, Meuthen zu stürzen, wird dies nun geplant angegangen. Dutzende von Delegierten verlangen, die Abwahl des Parteichefs auf die Tagesordnung zu setzen und ihn für Strafzahlungen aufgrund dubioser Parteispenden in sechsstelliger Höhe in Regress zu nehmen. In Kalkar wurde sein Sturz mit knapper Mehrheit abgeblasen, und ähnlich knapp waren die Mehrheiten für das Meuthen-Lager bei folgenden Abstimmungen. Die Sollbruchstelle befindet sich derzeit also mitten in der Partei. Das macht sie so unberechenbar. Eine spektakuläre Meuterei mit dem Absingen schmutzigster Lieder ist damit genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wie eine zweitägige konzentrierte Arbeit am Bundestagswahlprogramm.

Doch eine Partei, zu deren DNA die Lust an der Bekämpfung innerparteilicher Gegner zu gehören scheint, hat für alle Fälle einen Stellvertreterkrieg vorbereitet. Er läuft unter der Überschrift Spitzenkandidatur. Dem Parteitag liegen mehrere Anträge vor, das auf die Tagesordnung zu nehmen. Vorsorglich hat Meuthen die Kompetenz in Frage gestellt und stattdessen eine Mitgliederbefragung angeregt. Denn es geht nicht nur um den relativ sicher gesetzten Vorsitzenden Tino Chrupalla aus Sachsen, sondern um die Ko-Kandidatin.

Fraktionschefin Alice Weidel will wieder, wie 2017, das Aushängeschild der Partei werden. Sie aber ist zugleich „Flügel“-Vertraute und Meuthen-Gegnerin. Aus dessen Lager hat die hessische AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar die Hand gehoben. Sie war in Kalkar bei den Vorstandswahlen erfolgreich und sichert Meuthen seitdem eine Mehrheit im Führungsgremium.

Parteivize Stephan Brandner stellt vorsichtshalber klar, dass der Parteitag das „höchste Gremium unserer Partei“ sei. „Weise und bedacht“ würden die Delegierten darüber entscheiden, welche Anträge auf die Tagesordnung kommen und welche nicht. „Alle wissen, dass gerade und vor allem angesichts des Superwahljahres 2021 die Einheit der Partei sehr wichtig ist und bei allen Entscheidungen mitgedacht werden muss“, sagte Brandner unserer Redaktion.

Der Niederrhein-AfD-Abgeordnete Kay Gottschalk, der in Kalkar eine Entscheidung für oder gegen Meuthen verhinderte, greift mit Blick auf Dresden zum Fußballvergleich. „Dort würde man einen Trainer auch nicht zwölf Stunden vor dem Endspurt feuern.“ Samstag wird sich zeigen, wie viel von diesem Fußballgeist in der AfD steckt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort