Entscheidung über Kanzlerkandidatur Am Tag der gefallenen Würfel in der Union

Berlin/München · CSU-Chef Markus Söder proklamiert den CDU-Chef zum Kanzlerkandidaten der Union. Vorausgegangen war das Votum des CDU-Vorstands für den Ministerpräsidenten von NRW.

Zwölf Uhr mittags. High Noon. Stunde der Entscheidung. Es wird dann doch 12.03 Uhr. Und Markus Söder macht es kurz. „Die Würfel sind gefallen. Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.“ Söder hat Laschet angerufen. Gratulation vom CSU-Chef an den CDU-Vorsitzenden. Es gebe Tage der Diskussion, und es gebe Tage der Entscheidung, sagt Söder noch. Tag zehn im Machtkampf der beiden Parteichefs ist so ein Tag der Entscheidung. Sie haben sich alles abverlangt bei ihrem politischen Kräftemessen. Mal schien Laschet die Oberhand zu behalten, dann wieder Söder, dann wieder Laschet. Am Sonntagabend hatte ein CSU-Grande noch eine Kurznachricht verschickt. Ein kurzer Satz nur, aber mit Wirkung: „Der Baum fällt.“ Daraus sollte man wohl ableiten, dass Söder bei Laschet die Axt erfolgreich angelegt habe. Es kam dann doch anders. Vielleicht hatte mancher in der CSU auch Laschets Durchhaltevermögen unterschätzt.

Laschet hatte für sein Ziel der Kanzlerkandidatur, die Mitglieder des CDU-Vorstandes noch einmal in eine Nachtsitzung zwingen müssen. Sechseinhalb Stunden tagte das Spitzengremium in der Nacht zu Dienstag, in dem sich der Aachener eine deutliche Rückendeckung abholen wollte, die Söder letztlich zuvor eingefordert hatte. Wenn sich die CDU klar für Laschet ausspreche, werde er das akzeptieren, hatte Söder zuvor einen möglichen, wenn auch nicht freiwilligen Verzicht angedeutet. Der CSU-Chef zitierte sogar noch den Grünen-Co-Vorsitzenden Robert Habeck, der Annalena Baerbock in deren Kandidatenrennen den Vortritt überlassen hatte: „Wir wollen es beide, aber am Ende kann es nur einer machen. Diesen Satz eines Grünen kann ich voll unterschreiben.“ Vermutlich baute Söder da schon vor. Wenn die große Schwester es wirklich will, wenn sie auf Laschet setzt, hat die kleine Schwester zu wenig Gewicht. Der Nürnberger Söder muss am Ende einsehen, dass er dem Aachener Laschet die Kanzlerkandidatur doch nicht abtrotzen kann.

Doch Laschet musste dafür noch durch einen schwierigen Abend. Mehr als 60 Wortmeldungen soll es beim digitalen CDU-Vorstandstreffen gegeben haben, teilweise auch zwiespältige. CDU-Vize Julia Klöckner habe beispielsweise aus ihrem Landesverband Rheinland-Pfalz berichte, in dem es ein eindeutiges Meinungsbild für Söder als Kanzlerkandidat gebe. Zugleich hätten sich die CDU-Mitglieder aber deutlich Laschet als Parteichef ausgesprochen. Man könnte es auch so übersetzen: Laschet dürfe also ruhig Parteichef bleiben, wenn er nur Söder die Kanzlerkandidatur überlasse. In den Ost-Landesverbänden soll das Bild uneinheitlich gewesen sein, auch wenn Sachsen und Sachsen-Anhalt offen für Söder waren. Schließlich steht es im Duell Laschet gegen Söder 31:9 für den CDU-Chef im eigenen Vorstand -- bei sechs Enthaltungen. Die CDU meldet 77,5 Prozent für Laschet und 22,5 Prozent für Söder. Doch die CDU rechnet Enthaltungen schon beinahe traditionell nicht ins Ergebnis ein. Dann wären es noch rund zwei Drittel für Laschet. Das liest sich schon anders. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt macht am Dienstag jedenfalls keinen Hehl daraus, dass die Christsozialen von der Art des Entscheidungsprozesses in der CDU wenig halten. „Das Verfahren kann man – konziliant formuliert – als interessant bezeichnen“, sagt Dobrindt in Berlin. Ex-Grünen-Chef Trittin ätzt: „Armin Laschet zieht mit einer gespaltenen CDU/CSU maximal beschädigt in das Rennen Grün gegen Schwarz“. Und auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bescheinigt der Union, in einem desolaten Zustand zu sein. Die letzten Tage hätten deutlich gezeigt: „Die Union braucht eine Auszeit auf der Oppositionsbank“, sagte er. „Es geht CDU und CSU keineswegs um Inhalte oder Moral, sondern ausschließlich um Macht.“ Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) hingegen war sichtlich darum bemüht, einen Weg nach vorne aufzuzeigen und das angeknackste Bild in schöne Worte zu kleiden: „Es ist gut, dass die Entscheidung jetzt getroffen ist und wir uns voll auf Inhalte konzentrieren können: Der Klimaschutz ist die wichtigere K-Frage.“

Wie sehr die Ereignisse der Union als Ganzes, aber auch dem Vertrauen in politische Entscheidungsprozesse tatsächlich geschadet hatten, will derzeit in der Union niemand öffentlich beurteilen. Doch allein der Streit über das richtige Verfahren bei der Entscheidung für einen Kanzlerkandidaten hat tiefe Gräben offengelegt. Gegen den Vorwurf von CSU-Chef Söder, der die CDU-Spitzengremien mit „Hinterzimmern“ verglichen hatte, wehrte man sich in der CDU mit aller Kraft. „Der CDU-Bundesvorstand hat die entscheidende Legitimation“, ist am Dienstag aus Parteikreisen zu hören.

CSU-Generalsekretär Markus Blume erklärt Söder zum „Kandidat der Herzen“. Vize-Generalsekretär Florian Hahn glaubt gar, Söders Kandidatur habe die eigenen Reihen bei der CSU „noch mehr geschlossen“. Oder anders gesprochen: Söders Truppen stehen. Bei den Söder-Unterstützern unter den CDU-Bundestagsabgeordneten ist auch erheblicher Unmut aus Nordrhein-Westfalen über Laschet zu hören. Der CSU-Chef bedankt sich bei vielen „mutigen Abgeordneten, die entgegen normaler Parteisolidarität sehr offen gesagt haben, was sie schätzen“. Es gebe „Verantwortung für das Land – das wäre die Bereitschaft gewesen, zu kandidieren – aber es gibt auch Verantwortung für die Union“. Söder sichert Laschet seine Unterstützung in einem „außerordentlich schwierigen Wahlkampf“ zu – seinen Worten nach „ohne Groll“. Ob es so kommt? Söder ist an sich nicht der Typ, der Rivalen durch eigenes Zutun noch stärker macht als sie sind. Unions-Chefhaushälter Eckardt Rehberg plädiert dafür, dass sowohl Söder als auch Friedrich Merz Teil eines breiten Teams in Laschets Wahlkampf sein müssten.

Laschet sagt eine Stunde nach Söders erklärtem Rückzug von der Kanzlerkandidatur: „Wir haben es uns nicht leichtgemacht, weil es schließlich um etwas geht.“ Die CSU habe mit ihrer Entscheidung wiederum erst das Votum der CDU möglich gemacht. Laschet weiß, dass manche eine andere Entscheidung gewünscht hätten“. Laschet dankt Söder für den „Vertrauensbeweis“. Vertrauen ist nach diesen Tagen des zertrümmerten Porzellans ein schwieriges Wort: in Berlin und München, in Aachen und Nürnberg. Laschet verspricht: „Markus Söder wird eine Rolle dabei spielen für die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland.“ Im Team Laschet. Im Bundestagswahlkampf. Das muss das Team Söder erst noch verdauen.

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