Amtsärztechefin im Interview „Die Kontaktverfolgung ist in vielen Ämtern ausgesetzt“

Exklusiv | Düsseldorf · Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, hat ein dramtisches Bild von der Lage in Behörden gezeichnet. Sie fordert zudem eine Reaktivierung der Impfzentren.

 Mitarbeiter eines Gesundheitsamtes bei der Kontaktnachverfolgung.

Mitarbeiter eines Gesundheitsamtes bei der Kontaktnachverfolgung.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Wie realistisch ist das Ziel, bis Weihnachten 30 Millionen Menschen zu impfen?

Teichert Wenn wir das Ziel so stecken, müssten wir mehr als doppelt so viele Menschen am Tag impfen wie zuletzt. Dafür sind enorme Anstrengungen nötig.

 Amtsärztechefin Ute Teichert. 

Amtsärztechefin Ute Teichert. 

Foto: dpa/Martin Schutt

Wie bewerten Sie die Ausweitung auf Apotheker und Zahnärzte?

Teichert Ich glaube, wir haben im Augenblick weniger ein personelles, als vielmehr ein logistisches Problem. Wir brauchen vor allem genügend Impfstoff. Biontech hat zwar zugesagt, mehr Vakzin zu liefern, und auch der Kinderimpfstoff soll früher kommen. Das wäre sehr gut. Aber ob das reicht, um 30 Millionen Impfdosen zu verabreichen, ist unklar. Zudem müsste die Logistik längst stehen: Wer wird wann wo von wem geimpft? Das hätte man viel früher in den Blick nehmen müssen. Die wechselnden Zusagen der Politik haben im Übrigen für eine starke Verunsicherung gesorgt. Da brauchen wir insgesamt mehr Verlässlichkeit.

Wäre eine Reaktivierung der Impfzentren nötig?

Teichert Auf jeden Fall. Es war ein Fehler, sie zu schließen. Die Impfzentren müssen nun schnell wieder hochgezogen werden, denn dort kann man schnell viele Menschen in kürzester Zeit  impfen.

Welche Rolle könnten die Amtsärzte spielen?

Teichert Die Gesundheitsämter sind absolut am Limit. Die Kontaktpersonennachverfolgung ist in vielen Ämtern aufgrund der schieren Masse ausgesetzt, auch die tagesaktuelle Eingabe der Fallzahlen wird teils nicht mehr bewältigt. Es gibt vereinzelt Gesundheitsämter, die noch Kapazitäten haben und auch wieder in den Impfbereich hineingehen.

War es für Sie eine gute Nachricht, dass ein General an die Spitze des Krisenstabs berufen wurde? Mit der Bundeswehr hat es ja bei der Kontaktnachverfolgung schon mal besser geklappt.

Teichert Alle, die jetzt in die Gesundheitsämter hineingehen können, müssen wir wieder an Bord holen. Das heißt eben auch die Bundeswehr. Das hat ja schon einmal gut geklappt. Wir brauchen zusätzlich Containment-Scouts, Studierende, Beschäftigte aus den anderen Verwaltungsbereichen – wie in den ersten drei Wellen.

Wie steht es derzeit um die Vorbereitung der Kinderimpfung?

Teichert Die ersten Praxen planen das schon mit Blick auf den ursprünglichen Liefertermin am 20. Dezember. Ob ein früherer Start möglich ist, kann ich nicht sagen.

Im Raum stehen ja mehrere Vorschläge, wie die vierte Welle gebrochen werden kann. Wie bewerten Sie die von den SPD-geführten Ländern vorgeschlagene 2G-Regelung für den Einzelhandel?

Teichert Das wird nicht funktionieren, wenn es um den Grundbedarf geht. Aber grundsätzlich ist es richtig, Kontakte zu reduzieren. Dazu gehört auch, Zugänge zu Einrichtungen und zu Veranstaltungen einzuschränken.

NRW will anders als andere Länder daran festhalten, dass Zuschauer – wenn auch stark reduziert – in die Stadien dürfen.

Teichert Das halte ich für falsch. Die Politik sollte auch hier Kontaktbeschränkungen durchsetzen.

Wie bewerten Sie Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte?

Teichert Wir müssen die Kontakte insgesamt herunterfahren. Wir sind lange über den Punkt hinaus, wo wir das differenzieren könnten. Das Virus verbreitet sich unkontrolliert in der Bevölkerung und wir haben keinen Durchblick mehr, wo die Erkrankungen am meisten weiterverbreitet werden.

Die Politik ist da zögerlich, weil es nach einer Bestrafung der Geimpften und Genesenen klingt und das möglicherweise die Impfkampagne bremsen könnte.

Teichert Diese Argumentation ist vom Prinzip her grundfalsch. Es geht nicht um Bestrafung oder eine Belohnung. Eine Impfung ist eine präventive Maßnahme im medizinischen Bereich. Es geht jetzt darum, die Welle konsequent zu brechen.

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