Bundestagswahlkampf au „Ich wollte nochmal Arrivederci sagen“

Analyse | Berlin · Es ist die letzte Woche vor der Bundestagswahl - und somit auch eine Art Abschiedswoche für Angela Merkel - auch wenn sie solange im Amt bleibt, bis ein neuer Kanzler gewählt wird. Umgibt Merkel ein Hauch von Wehmut?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (r, CDU) lässt sich vor der Bundestagswahl in ihrem ehemaligen Wahlkreis in Greifswald auf dem Wochenmarkt mit einer Besucherin fotografieren. Foto: Stefan Sauer/dpa.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (r, CDU) lässt sich vor der Bundestagswahl in ihrem ehemaligen Wahlkreis in Greifswald auf dem Wochenmarkt mit einer Besucherin fotografieren. Foto: Stefan Sauer/dpa.

Foto: dpa/Stefan Sauer

Abschiedsschmerz? Wen man Angela Merkel in diesen Tagen begegnet, ist davon nur wenig zu spüren. Im Gegenteil - so viel im Land unterwegs wie gerade jetzt, war die Regierungschefin selten. „Ich wollte nochmal Arrivederci sagen“, sagt die Kanzlerin am Donnerstag auf dem Wochenmarkt in Greifswald zu einer Blumenverkäuferin. Die Frau  weiß gar nicht so recht, wie ihr geschieht. Die scheidende Bundeskanzlerin ist überraschend nach Greifswald gereist. Für einen Gang durch die Fußgängerzone mit  ihrem Nachfolger als CDU-Direktkandidat für den Bundestag, Georg Günther, und dem CDU-Spitzenkandidaten zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, Michael Sack.Eine Abschiedstour. Selfies mit der Regierungschefin inbegriffen.

Merkel nutzt die Gelegenheit, die Menschen auf ihren Nachfolger Günther hinzuweisen. Sie kandidiert bei den Wahlen am Sonntag nicht mehr für den Bundestag. Seit 1990 hatte sie stets das Direktmandat in ihrem Wahlkreis im Nordosten gewonnen. Parallel zur Bundestagswahl wählt Mecklenburg-Vorpommern am Sonntag einen neuen Landtag. Nach letzten Umfragen liegt die CDU in MV deutlich hinter der SPD und auch hinter der AfD auf dem dritten Platz.

Auch bundesweit rangiert die Union derzeit laut Umfragen auf Platz zwei hinter der SPD. Merkel wurmt das. Sie ist die erste Bundeskanzlerin, die selbstbestimmt aufhört. Ihr politisches Vermächtnis wöge schwerer, wenn nach ihr wieder die Union in das Kanzleramt einziehen würde. Diese Rechnung ist nicht schwer. Die Kanzlerin hat sich öffentlich nie dazu verhalten, ob ihr CSU-Chef Markus Söder oder der CDU-Vorsitzende Armin Laschet  als Kanzlerkandidat lieber gewesen wäre. Es gibt Stimmen, wonach sie Söder die besseren Chancen eingeräumt hätte, auch ein späteres Einwechseln politisch für nicht völlig absurd gehalten hätte. Ob etwas dran ist? Nicht mehr zu klären.

Um so mehr Gas gibt Merkel auf den letzten Metern im Wahlkampf für Armin Laschet. Nach ihrem sehr deutlichen Bekenntnis im Bundestag zu einem neuen Kanzler Laschet, tritt sie in der letzten Woche nun dreimal mit ihm auf. Am Dienstagabend im Regen in Stralsund, am Freitag zum Wahlkampfabschluss der Union in München und am Samstag besucht sie ihn quasi daheim - in Aachen-Burtscheid.

Stralsund am Dienstag ist nicht ganz einfach: Bei strömendem Regen, begleitet von Pfiffen und Buhrufen standen Laschet und Merkel auf der Bühne, es gab viele Pfiffe und „Merkel muss weg“-Rufe. Der gemeinsame Auftritt der Kanzlerin und des Kanzler-Aspiranten zeigten damit sowohl die Chancen als auch das Risiko der Einbindung Merkels in den CDU-Bundestagswahlkampf.  Nach 16 Jahren Kanzlerschaft soll die 67-Jährige vor allem die bisherigen Merkel-Wählerinnen und -Wähler davon überzeugen, dass sie nun ihre Stimme dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten geben sollen. Immerhin glauben Demoskopen, dass ein erheblicher Teil die Union in den vergangenen Jahren nur wegen der Person Merkel wählte. Also wirbt sie für Laschet, preist ihn als Garanten der Stabilität und Kämpfer für Arbeitsplätze auch im Osten - und ihren politischen Erben. „Ich weiß, ein Bundeskanzler Armin Laschet würde den Kurs fortsetzen“, ruft sie in die Menge. Ob sich ihr Wahlkampfengagement auszahlen wird? Das wird die Kanzlerin ebenso wie alle anderen am Sonntag um kurz nach 18 Uhr erfahren.

Aufregung gibt  es in ihrer letzten Woche vor der Bundestagswahl noch um ein Interview von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, mit dem Merkel eine, nun, wechselvolle Geschichte verbindet. Schäuble vertrat die Auffassung, Merkel sei durch ihre Aufgabe des Parteivorsitzes, verbunden mit dem Festhalten am Kanzleramt nicht unschuldig am Zustand der Union. Die hohe Zustimmung während der Corona-Krise sei da wohl nicht einberechnet, heißt es kühl aus Merkels Umfeld. Und es wird auch darauf hingewiesen, welche Gründe ihr Rückzug damals hatte. Dazu gehörten auch Ränkespiele um eine Rückkehr von Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz  - Schäuble war damals daran nicht unbeteiligt.

Ob Merkel noch die nächste Neujahrsansprache halten wird? Oder den Rekord der Amtszeit von Altkanzler Helmut Kohl einstellt am 17.Dezember? Die Kanzlerin werde bis zum letzten Tag ihrer Arbeit nachgehen heißt es mantraartig aus dem Kanzleramt. Es gebe da auch keine Wünsche. Natürlich nicht.

Ein Foto am Wahltag wird es jedenfalls von ihr nicht geben, sie zieht diesmal die Briefwahl vor. Wann sie dem Land dann endgültig Arrivederci sagt? Auch sie wird mit Spannung darauf warten.

(mün)
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