Antrittsbesuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Italien Im Auge der Pandemie

Rom · Italien ist ein krisenerprobtes Land. Das Corona-Virus hat es hart getroffen. Außenministerin Annalena Baerbock beschwört beim Antrittsbesuch in Rom Solidarität in der Pandemie und ein humanes europäisches Asylsystem.

Wollen für ein humanes Asylsystem und eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen in Europa eintreten: Außenministerin Annalena Baerbock und ihr Amtskollege Luigi Di Maio

Wollen für ein humanes Asylsystem und eine solidarische Verteilung von Flüchtlingen in Europa eintreten: Außenministerin Annalena Baerbock und ihr Amtskollege Luigi Di Maio

Foto: dpa/Alessandra Tarantino

Von Holger Möhle

Also auf nach Rom. Das nächste Fähnchen für Annalena Baerbock auf der europäischen Landkarte. In Paris, Brüssel und Warschau hat die deutsche Außenministerin ihre Visitenkarte schon abgegeben. Nun ihr Antrittsbesuch in Italien in Woche sechs ihrer Amtszeit, wobei Baerbock ihren Amtskollegen Luigi Di Maio in den vergangenen vier Wochen schon drei Mal getroffen hat: bei G7, Nato und EU. In der ewigen Stadt gilt vor allem eine Gewissheit: Regierungen halten nicht ewig. Und: Glauben hat in Italien noch immer geholfen. Der Papst ist auch nicht weit. Wenn ein Land in Europa von Wechsel und Regierungskrise Ahnung hat, dann Italien. Das Kabinett von Ministerpräsident Mario Draghi ist die mittlerweile 67. Regierung der Nachkriegszeit. Sollte Baerbock nach einer jüngsten Provokation von Bundeskanzler Olaf Scholz gegen die Grünen zur Nachhaltigkeit von Atomstrom und (russischem) Gas ahnen, dass Regieren auch in einer Ampel-Koalition komplizierter werden könnte als gedacht, dann ist sie bei ihrem Amtskollegen Luigi Di Maio genau richtig. Di Maio, bis vor zwei Jahren Vorsitzender der Fünf-Sterne-Bewegung, ist Teil einer All-Parteien-Koalition inklusive der rechtspopulistischen Lega.

Während Scholz schon laut über die Fortsetzung der Ampel-Koalition nach der nächsten Bundestagswahl nachgedacht hat, beschäftigt Italien die Frage, ob Ex-EZB-Chef Draghi für so viel politische Stabilität sorgen kann, dass diese Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2023 zusammenhält, denn Draghi hat auch Ambitionen für das Präsidentenamt. Im Kampf gegen Corona hat es Draghi mit einer landesweiten 3G-Pflicht am Arbeitsplatz geschafft, die Impfquote auf 90 Prozent hochzutreiben. Wer nicht geimpft, genesen oder getestet ist, darf nicht zur Arbeit kommen und bekommt auch kein Geld. Als der deutsche Regierungsflieger mit Baerbock an Bord am Vormittag den Golf von Triest überfliegt, ist die Außenministerin über jenem Ort, wo Hafenmitarbeiter besonders lautstark gegen Draghi und die 3G-Pflicht demonstriert haben. Jetzt herrscht auch noch eine Impfpflicht für über 50-Jährige in Italien. Deutschland kommt derweil bei seiner Impfquote seit Monaten kaum voran und dümpelt bei derzeit knapp 72 Prozent und debattiert weiter über eine allgemeine Impfpflicht, wobei unklar ist, wann diese kommen könnte.

Zuerst fährt Baerbock in die Villa Madama, Gästehaus der italienischen Regierung. Ein Meinungsaustausch unter Partnern, wo Italien und Deutschland sich mit einem bilateralen Aktionsplan doch vorgenommen haben, die traditionell ohnehin engen Beziehungen zwischen ihren Ländern weiter zu vertiefen. Es geht neben der Pandemie auch um Flüchtlinge. Wegen des regelmäßigen Anlegens von Booten mit Flüchtlingen an seinen Küsten hat Italien wiederholt den Beistand der anderen EU-Staaten eingefordert.

Mit Baerbock an seiner Seite fordert Di Maio nun „neue Impulse bei der Migrationssteuerung“ an, ohne genauer zu sagen, was er damit meint. Allerdings sollte „Deutschland eine angemessene Rolle“ dabei übernehmen. Angemessen? Soll Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen? Es folgt keine Auflösung. Weder von Baerbock noch von Di Maio. Baerbock sagt dann aber an Di Maio gerichtet: „Wir sind beide nicht bereit, uns mit dem Sterben auf dem Mittelmeer abzufinden.“ Sie verweist auf den Koalitionsvertrag, wonach die Ampel-Regierung in Deutschland mit wesentlichen Herkunftsländern praxistaugliche Vereinbarungen unter Wahrung menschenrechtlicher Standards schließen wolle. Ziel sei eine faire Verteilung bei der Aufnahme zwischen den EU-Staaten. Eine Reform des Asylrechts sei „schwierig“. Aber jetzt wollen Italien und Deutschland nach den Worten ihrer Außenminister bei Verteilung wie Rückführung von Flüchtlingen vorangehen – mit anderen Staaten, die ebenfalls dabei sein wollen. „Das ist ein ganz dickes Brett, aber der Status Quo ist nicht tragbar“, betont die Grünen-Politikerin mit Blick auf das Drama auf dem Mittelmeer.

Am Nachmittag stoppen Baerbock und Di Maio dann in einem Stadtteil-Impfzentrum in Rom. Mal sehen, was die Italiener anders machen als die Deutschen. Di Maio äußert sich dankbar darüber, dass seine deutsche Amtskollegin sich die Zeit dafür nimmt. Baerbock lobt das „niedrigschwellige Impfangebot“. Sie spricht über „Solidarität in der Pandemie“, wo die leidgeprüften Italiener bis heute Bilder von Militärkonvois mit den Särgen von Corona-Toten vor allem in der Lombardei verfolgen. Die Pandemie habe Staaten und ihren Menschen wieder den Wert grenzüberschreitender Zusammenarbeit vor Augen geführt. Corona-Intensivpatienten seien von Bergamo nach Leipzig geflogen worden, weil es dort freie Betten gegeben habe – und später auch in umgekehrter Richtung von Freising nach Bozen in Südtirol. Baerbock betont in Rom nochmals die Bedeutung einer Impfpflicht auch in Deutschland. „Ich glaube, dass die Impfpflicht sinnvoll ist, damit wir wieder so leben können, wie wir leben wollen.“ Im Impfzentrum hätten sie beim Besuch beider Minister nichts dagegen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort