Brüssel Biden lässt in Brüssel das Bild der Trump-Jahre schnell verblassen

Brüssel · Der Nato-Gipfel in Brüssel ist nicht nur ein Neuanfang für das transatlantische Bündnis selbst, sondern auch für die zahlreichen neuen Aufgaben und Herausforderungen. Die Staats- und Regierungschefs fühlen sich wie am ersten Tag zurück in der Schule.

Wieder mittendrin: US-Präsident Joe Biden beim Gruppenfoto des Nato-Gipfels in Brüssel.

Wieder mittendrin: US-Präsident Joe Biden beim Gruppenfoto des Nato-Gipfels in Brüssel.

Foto: AP/Jacques Witt

Der lange blaue Teppich vor dem Nato-Hauptquartier ist eine Herausforderung für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Langsam nur kommt er an diesem Montag auf dem Stoff voran, geht schließlich an den wartenden Journalisten ohne Antworten vorbei. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die Strecke zuvor viel schneller genommen und ist rasch vorbeigehuscht. Nun sitzt er mit Erdogan zusammen und versucht, neue Lösungen für die Syrien- und die Libyen-Krise zu finden. Wegen Erdogans Alleingängen hatte Macron schon an der Nato gezweifelt. Jetzt ist der Nato-Gipfel Anlass für einen neuen Anlauf. Vielleicht ist das mindestens so wichtig wie der Gipfel selbst: Nach langen, pandemiebedingten Monaten der Videoschalten im persönlichen Gespräch Probleme besser angehen zu können.

„Wie am ersten Tag zurück in der Schule, wenn man alle Freunde wiedersieht“, sagt der britische Premier Boris Johnson. Viele verstehen das nicht nur bezogen auf die Corona-Unterbrechung. Sondern als ein Wiederanknüpfen an alte Zeiten, in denen die USA als Führungsmacht fest zur Nato stand. Die größte Aufmerksamkeit gehört deshalb US-Präsident Joe Biden, der die USA zurück im Club meldet. Sein Vorgänger Donald Trump hatte es am selben Ort vier Jahre zuvor selbst auf wiederholte Nachfrage nicht fertig gebracht, die Beistandsgarantie als zentrales Element der Allianz zu erneuern. Biden kommt nach der Begrüßung durch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schon von sich aus im dritten Satz darauf zu sprechen. Und auf Stoltenbergs Hinweis, die Nato sei für Europa und für Amerika „gut“, fügt Biden ein „besonders gut für die USA“ hinzu. Die Bilder von Trumps Jahren verblassen in Brüssel bei diesem Gipfel binnen Sekunden.

Es sind also im Innern des Nato-Hauptquartiers bemerkenswerte neue Töne zu registrieren. Aber die neuen Herausforderungen um die Nato herum sind noch größer geworden. Auch Angela Merkel spult die Themen schon auf dem blauen Teppich mit gewohnter Klarheit ab. Sie freut sich als große Transatlantikerin und Anker der Allianz in stürmischen Trump-Zeiten auf die Zusammenarbeit mit Biden, sie freut sich, bei ihrem letzten Nato-Gipfel im Amt persönlich dabei zu sein. Und sie freut sich auch, dass die auf dem Tisch liegenden Konzepte für eine neue Nato-Strategie auch mit Hilfe ihres früheren Verteidigungsministers Thomas de Maizière zustande gekommen sind.

Mit jedem neu eintreffenden Staats- und Regierungschefs werden die Erwartungen weiter gedreht. Der Gipfel wird zum Sammelbecken der Botschaften, die Biden namens des Westens am Mittwoch beim Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin übermitteln soll. Wahlweise soll er „klare“, wenn nicht „starke“ Antworten auf das Muster aggressiven russischen Verhaltens geben. Die osteuropäischen Nato-Staaten stellen das an die erste Stelle. Estlands Premierministerin Kaja Kallas verbindet das Anliegen mit eigenen Eindrücken: Ihre Mutter sei mit sechs Monaten von Russen nach Sibirien deportiert worden. „Die Leute haben das nicht vergessen“, sagt sie zu der neuerlichen Bedrohung aus Russland und dem militarisierten St. Petersburg in unmittelbarer Nachbarschaft.

Auch Merkel spricht die Bedrohungen Russlands und Weißrusslands an, wo die „Menschenrechte mit Füßen getreten“ würden. Die hybriden Herausforderungen mit Cyberattacken würden immer größer, auch Deutschland sei von russischen Desinformationskampagnen betroffen. Aber da ist auch China, das immer mehr aufrüste, bald die größte Marine der Welt habe und dessen Einfluss, wie Stoltenberg warnt, immer näher an die Türen der Nato heranreiche. „Gigantisch“ nennt Johnson die Herausforderung. Peking teile definitiv nicht die westlichen Werte, lautet die übereinstimmende Nato-Beurteilung. Deshalb kommt in die Abschlusserklärung die Feststellung, es bei China mit einer „systemischen Herausforderung“ zu tun zu haben, durch die sich für das Bündnis politische, wirtschaftliche und militärische Fragen stellten. Die 30 Staats- und Regierungschefs kommen überein, Russland und China gemeinsam in Schach zu halten, zugleich aber auch den Dialog zu suchen. Niemand wolle einen neuen Kalten Krieg, sagt Johnson – auch wenn die Beziehungen zu Russland „auf dem tiefsten Punkt seit dem Kalten Krieg angekommen“ seien, wie Stoltenberg unterstreicht.

Schnell weiter in den Themen. Der Klimawandel soll auch in die künftige Nato-Strategie, schließlich werde er zu mehr Migration und wachsenden Konflikten führen. Klima-Auswirkungen militärischer Aktivitäten eingeschlossen. Und auch dem Afghanistan-Abzug und seinen Folgen wird eine Perspektive hinzugestellt: Die finanzielle und zivile Hilfe werde weitergehen. Merkel schildert, was gelungen ist – und was alles zu lernen war in den letzten 20 Jahren am Hindukusch.

Die Nato-Agenda 2030 soll nicht nur die Absprachen untereinander intensiver und besser machen, sie soll auch die Finanzierung von Missionen im Nato-Interesse neu regeln. Beschließen will die Nato die neue Strategie beim nächstjährigen Gipfel. Bedenken kommen von den Ländern, die schon das 2014 ausgerufene Ziel erfüllen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu stecken. Litauens Präsident Gitanas Nauseda meldet Litauen als neues Mitglied im Club der Zwei-Prozent-Staaten. Deutschland ist noch weit davon entfernt.

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