Haushaltswoche im Bundestag Härtetest für Christian Lindner

Analyse | Berlin · Auf Bundesfinanzminister Christian Lindner kommen harte Zeiten zu: Der FDP-Vorsitzende muss jetzt liefern und zeigen, dass er es mit der Rückkehr zu soliden Finanzen wirklich ernst meint. Die an diesem Dienstag beginnende Haushaltswoche des Bundestags bietet Redetalent Lindner eine ideale Bühne.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Montag in Berlin.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Montag in Berlin.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Christian Lindner wirkt auch an diesem Sonntagabend beherrscht und routiniert wie immer. Gerade hat seine FDP bei der dritten Landtagswahl in Folge ein miserables Ergebnis eingefahren. Ausgerechnet in Lindners Heimatland Nordrhein-Westfalen, im größten Landesverband, muss die FDP für kurze Zeit sogar um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. Erst als klar ist, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde sicher genommen hat, tritt der Parteivorsitzende vor die Presse. Seine Miene verrät nichts darüber, was sich in seinem Innern in den Stunden zuvor abgespielt haben muss. Seine Worte tun es dann aber doch, wenigstens ein bisschen: „Wir haben eine, man muss es so sagen, desaströse Niederlage heute Abend zu verzeichnen.“

Erst zwei Wochen Wochen ist das her. In denen drehte sich Lindners Welt rasend schnell weiter. Der Bundesfinanzminister eilte zum G7-Finanzministertreffen nach Königswinter bei Bonn, verständigte sich mit den sieben mächtigsten Industrienationen über Reaktionen auf Ukraine-Krieg und weltweite Inflation. Zurück in Berlin warteten auf ihn Etat-Gespräche und Verhandlungen mit der Union über das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr. Für Lindner blieb kaum Zeit zum Verdauen der Wahlniederlage, geschweige denn zur Analyse der Ursachen.

Dabei ist klar, dass nach dieser für ihn auch persönlich so schmerzlichen Landtagswahl eigentlich nichts so weitergehen kann wie bisher. Bürgerliche Wähler haben Lindner und die FDP auch dafür abgestraft, dass sie ihnen zum Amtsantritt der Ampel-Koalition viel versprochen hat, aber bisher nicht halten konnte. Dies gilt vor allem für die Rückkehr zu soliden Finanzen nach der Corona-Pandemie. Lindner kam der Ukraine-Krieg dazwischen, jetzt nähert er sich eher einem Schuldenrekord als der Rückkehr zur Schuldenbremse. Sein erster Bundeshaushalt, den der Bundestag am Freitag beschließen soll, sieht 140 Milliarden Euro neue Schulden in diesem Jahr vor. Darüber hinaus pumpt er sich weitere 100 Milliarden Euro für das Bundeswehr-Sondervermögen. 240 Milliarden Euro neue Schulden hatte nicht mal sein Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) im Corona-Jahr 2021 aufgenommen. Bei ihm waren es 25 Milliarden Euro weniger.

An diesem Dienstag, wenn Lindner die Haushaltswoche des Bundestags eröffnet, muss er erklären, warum er trotzdem kein Schuldenkönig werden wird, warum man den Bundeswehr-Sondertopf zur Neuverschuldung nicht einfach dazu rechnen darf. Wie er das Wunder vollbringen will, das Defizit in kürzester Zeit trotz des fortdauernden Ukraine-Kriegs auf fast Null zu drücken, damit 2023 die Schuldenbremse wieder eingehalten wird. Wie er sich vom „Ermöglichungsminister“ zum „Sparkommissar“ wandelt. Es ist ein Härtetest für Lindner. Verliert er ihn, wird die FDP auch bei kommenden Wahlen Probleme haben.

Im Management seiner Partei hat Lindner schon bewiesen, dass er solche Krisen durchstehen kann. Fast im Alleingang führte der Lehrersohn aus Wermelskirchen die Liberalen zurück in den Bundestag, nachdem sie 2013 herausgeflogen waren. Der Reserveoffizier leistete Trümmerarbet als Fraktionsvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, brachte es bei der Landtagswahl 2017 auf 12,6 Prozent und führte die FDP in die nun abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung. Danach wechselte der 43-Jährige in die Bundespolitik, wurde auch dort Fraktionsvorsitzender. Im Bundestag erwarb er sich Ansehen als bester Redner, das kann er einfach gut. Nach dem Wahldebakel der Union organisierte er flink den spektakulären Seitenwechsel der FDP hin zu den Wahlsiegern. In den Koalitionsverhandlungen konnte er mehr herausholen als SPD und Grüne, die Lindner umgarnen mussten.

Aber jetzt muss sich Lindner erstmals im harten Regierungsalltag beweisen. Ihm macht das auch sichtlich Spaß, denn er erfährt viel, hört viel zu, die Mitarbeiter im Ministerium sind angetan von seiner Zugewandtheit. In Königswinter bei der G7-Tagung ist ihm die Freude über seine Rolle als Gastgeber mächtiger Leute wie Christine Lagarde, der Chefin der Europäischen Zentralbank, oder US-Finanzministerin Jane Yellen anzumerken. „So glad to meet you“, begrüßte er Yellen überschwänglich. Für Lagarde gab es Küsschen auf die Wangen.

Im Sommer wird Lindner auf Sylt die 33-jährige TV-Journalistin Franca Lehfeldt heiraten. Gefeiert wird mit prominenten Gästen in der „Sansibar“ direkt am Strand. Viel Show und Inszenierung – etwas, das Lindner nahezu perfekt beherrscht. Doch in Kürze muss er zeigen, dass er mehr als ein guter Politik-Darsteller ist.

Um das zu unterstreichen, hat er sich den früheren Chef der Wirtschaftsweisen Lars Feld an die Seite geholt. Feld hat maßgeblich mitgeschrieben an einem Papier, in dem Lindner seine finanzpolitische Strategie skizziert: Keine nachfrageorientierte, sondern angebotsorientierte Politik sei jetzt gefragt. Planungsverfahren müssten beschleunigt, Steuern für Firmen gesenkt, die Schuldenbremse wieder eingehalten werden.

Lindners Wirklichkeit sieht bisher aber ganz anders aus. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) – der Lindner im Fernduell der Ampel-Männer bisher die Show stiehlt – brachte es auf den Punkt, als er den Beschäftigten bei einem Besuch der Öl-Raffinerie in Schwedt sagte, für die Folgen eines möglichen Ölembargos werde „quasi Lindner“ bezahlen. In der Koalition scheinen es viele genau so zu sehen: „Ermöglichungsminister“ Lindner hat bisher noch alles ermöglicht, warum nicht weiter so? Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) etwa plant neuerdings ein soziales Klimageld und eine höhere Grundsicherung, die die Ampel ab 2023 Bürgergeld nennen will. Es geht Heil um einen zusätzlichen zweistelligen Milliardenbetrag für Einkommensschwache und Bedürftige aus Lindners Etat.

Das sei mit ihm nicht zu machen, reagiert der Finanzminister prompt am Montag. Er hält nun schärfer dagegen, wenn SPD und Grüne Blütenträume umtreiben. Denn da lauert noch mehr Ungemach: Die hohe Inflation lasten viele Bürger dem Finanzminister an, dabei kann er nichts dafür. „Wir haben vielfach bewiesen, dass wir starke Nerven haben“, sagt Lindner am Abend der NRW-Niederlage. Er wird sie brauchen.

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