So lief die „Schlussrunde“ Alle Spitzenkandidaten im TV-Wettstreit - Die größte Überraschung, der peinlichste Moment

Analyse | Berlin · Drei Tage vor der Wahl konnten unentschlossene Wähler noch einmal alle Spitzenkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien direkt vergleichen. In der „Schlussrunde“ von ARD und ZDF traten die sieben Kontrahenten gegeneinander an. Wer hat sich am besten geschlagen? Welche Überraschungen gab es? Unsere Analyse des Schlagabtauschs.

 Die Teilnehmer der TV-Debatte „Schlussrunde“ am Donnerstagabend.

Die Teilnehmer der TV-Debatte „Schlussrunde“ am Donnerstagabend.

Foto: dpa/Tobias Schwarz

Die Atmosphäre vor der Schlussrunde war... angespannt. Denn noch immer sind Umfragen zufolge ein Viertel der Wähler unentschlossen. Und: Der Vorsprung der SPD vor der Union schmolz zuletzt wieder etwas. Im aktuellen ZDF-Politikbarometer gewinnen CDU/CSU einen Prozentpunkt auf 23 Prozent. Die SPD erreicht wie in der Vorwoche 25 Prozent. Die Grünen legen 0,5 Punkte zu auf 16,5 Prozent. Die AfD büßt einen Punkt ein auf 10 Prozent. Die FDP bleibt bei 11 Prozent, die Linke bei 6 Prozent. Die Freien Wähler kommen auf 3 Prozent und die anderen Parteien zusammen auf 5,5 Prozent.

Die Sendung war für die Spitzenkandidaten die letzte Möglichkeit, noch einmal vor Millionenpublikum um Unterstützung für sich und die eigene Partei zu werben. 90 Minuten dauerte das Spiel, live und natürlich ohne vorherige Absprache der Fragen.

Gewonnen hat... die Sehnsucht nach einem neuen Zweierbündnis. Weder Scholz noch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet noch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock strahlten Lust auf eine Dreierkonstellation aus. Im Gegenteil: Scholz und Baerbock sagten am Ende, dass es vielleicht oder hoffentlich ja für ein Zweierbündnis reichen könnte. Und war da ein nicht sogar ein kleiner Flirt von Scholz in Baerbocks Richtung?

Als Verlierer des Abends... machten die unentschlossenen Wähler den Fernseher aus, die sich von der Runde klare Ansagen für oder gegen eine Ampelkoalition oder ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linken erhofften. FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner sagte, die inhaltlich größten Schnittmengen gebe es mit Jamaika, auch wenn er der Union attestierte, ihre „innere Mitte“ nicht gefunden zu haben und deswegen grüne Interessen nicht ausreichend begrenzen zu können. CSU-Chef Markus Söder nannte diese Konstellation aus Union, Grünen und FDP „eine Option“. Und als Lindner gegen SPD und Grüne austeilte, klang das gar nicht nach Ampel-Ambitionen. Er beklagte, dass SPD-Vize Kevin Kühnert, der Lindner im Interview mit unserer Redaktion als „Luftikus“ bezeichnet hatte, sich wieder in Debatten einschalte. Lindner schloss eine Ampel jedoch auch nicht aus und lag etwa in der Außenpolitik klar auf Kurs von Olaf Scholz.

Einzig Janine Wissler von den Linken machte klare Ambitionen auf ein Linksbündnis deutlich, was Scholz jedoch mehrfach mit einem Stirnrunzeln oder gar Kopfschütteln quittierte. Scholz grenzte sich auch indirekt von der Linken ab. „Ich sage das mal sehr klar: Wir brauchen einen Verfassungsschutz, den wir auch in Deutschland weiter stärken müssen", sagte Scholz. „Wir brauchen die Zusammenarbeit in der Nato. Wir brauchen ein gutes Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika." Mit dem Geld müsse ordentlich umgegangen werden, die Wirtschaft müsse wachsen, die Sicherheit im Inneren müsse funktionieren. Es müsse dafür gesorgt werden, dass es eine starke und souveräne Europäische Union gebe und dass die Bundeswehr „wie in den letzten Jahren weiter ausreichend ausgestattet wird", sagte Scholz weiter. „All das gehört zu den Dingen, die zum Regieren in Deutschland dazugehören."

CDU-Kanzlerkandidat Laschet warnte gar vor einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken und zitierte Kühnert aus unserem Interview, worin der einen SPD-Mitgliederentscheid forderte, um eine Koalitionsvertrag von der Basis absegnen zu lassen. Was Laschet nicht sagte: Kühnert äußerte sich in dem Interview auch sehr kritisch gegenüber der Linkspartei.

Peinlichster Moment…. war der Versuch fast aller Spitzenkandidaten, sich als große Klimaschützer darzustellen. Bei der Frage nach dem persönlichen Verzicht spuckte so manch einer große Töne. „Ich bin persönlich klimaneutral“, prahlte etwa Christian Lindner. Denn er kompensiere seinen eigenen CO2-Ausstoß über den europäischen Zertifikatehandel. Markus Söder war an diesem Tag „mit der Bahn statt mit dem Auto“ nach Berlin gereist und reduziere seinen Fleischkonsum, auch wenn das „einem Bayern gar nicht so leicht“ falle. Und Laschet stimmte voller Überzeugung ein: „Fleisch ja, aber nicht jeden Tag“. Doch er teile dieses „Verzichtsgefühl“ nicht. Er fahre ein E-Auto – „und das macht Spaß, das ist schöner als das Fahrzeug, das ich vorher hatte“. Dass sich nicht jeder Bürger ein E-Auto leisten kann oder den CO2-Ausstoß kompensieren kann, kommt bei den Herren nicht zur Sprache.

Für den ehrlichsten Moment… sorgte Olaf Scholz mit seiner Antwort auf die Verzichtsfrage. Es gehöre zur Ehrlichkeit dazu, „dass man als Politiker, der mit sicherheitsgeschützten Fahrzeugen unterwegs ist, mit vielen Flugzeugen fliegt, nicht den Eindruck erweckt, als sei man der Beste beim Reduzieren des CO2-Abdrucks“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Er nannte diese Darstellung sogar „zynisch“. Nicht nur ein ehrliches, sondern auch ein geschicktes Manöver. Denn Scholz zeigte damit, dass er die eigenen Privilegien noch kritisch reflektieren kann. Laschet und Linder lächelten, als fühlten sie sich ertappt.

Der beste Spruch des Abends... kam von Annalena Baerbock, wobei nicht die abgedroschene Phrase „Eine Regierung ohne Grüne ist wie Klima ohne Schutz“ gemeint ist. Baerbock freute sich an all den Verzichtserklärungen ihrer Kontrahenten und sagte spöttisch: „Wenn hier alle solche Ökos sind, ist es ja schön, wenn die nächste Bundesregierung auch endlich klimaneutral wird.“

Die gemeinste Spitze kam... von Christian Lindner gegen Annalena Baerbock, als die vom Grundgesetz und der Möglichkeit der Enteignungen als letztes Mittel erzählte. „Ist sie jetzt auch noch Staatsrechtlerin?“, zischte Lindner und spielte damit auf Baerbocks nachgebesserten Lebenslauf und ihre häufigen Verweise auf die eigene Expertise im Völkerrecht an. 

Diese Themen dominierten die Runde… Die Moderatoren waren sichtlich darum bemüht, Themen zur Sprache zu bekommen, die in den vorangegangenen TV-Dreikämpfen mit Baerbock, Laschet und Scholz wenig Beachtung fanden. Bei der Außenpolitik ging es etwa um die Nato, die Wissler für „völlig überkommen“ hält, um das Verhältnis zu China und die Stärkung Europas. Zu Beginn der Diskussion stand die innere Sicherheit und der Umgang mit Hass und Hetze im Netz im Fokus, bei dem vor allem Laschet eine harte Linie vertrat. Bei den politischen Konsequenzen nach dem tödlichen Angriff von Idar-Oberstein, wo ein Maskenverweigerer einen jungen Tankstellenverkäufer erschoss, landete Baerbock einen Treffer, in dem sie eine Verschärfung des Waffenrechts forderte. Viel Beachtung fand auch der soziale Wohnungsbau, bei dem klare Differenzen zwischen der Union auf der einen Seite („Bauen, bauen, bauen“) und Linken (Bauen allein ist nicht die Lösung) wie Grünen (Enteignungen von Wohnungsunternehmen als Ultima Ratio) auf der anderen Seite deutlich wurden.

Den größten Streit... hatten ZDF-Mann Theo Koll und AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel. Immer wieder beklagte sie, dass er sie nicht ausreden lasse. Immer wieder leistete sie damit dem Bild vieler AfD-Anhänger Vorschub, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk tendenziös sei. Weidel dürfte aus diesem Scharmützel mehr Profit schlagen können in den AfD-Echokammern als Moderator Koll.

Größtes Geheimnis blieb... was der neue Atomreaktor in China kann. Alice Weidel wollte unbedingt erklären, wie der funktioniert, wurde von ZDF-Moderator Theo Koll jedoch daran gehindert. Das sei nicht seine Frage gewesen, moderierte er die Antwort ab.

(jd/jw)
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