Knigge in Corona-Zeiten Kommt der Handschlag nochmal zurück? Wie sich gutes Benehmen in der Pandemie verändert hat

Interview | Berlin · Keine Umarmung, kein Küsschen zur Begrüßung, dafür mehr Abstand: Corona wirkt sich auch auf das gute Benehmen aus, sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Knigge-Gesellschaft, Clemens Graf von Hoyos. Was sich im täglichen Umgang geändert hat, warum es noch Hoffnung für den Handschlag gibt und welche Regeln man auch in Zeiten der Pandemie berücksichtigen sollte.

Der Handschlag ist derzeit wegen Corona out. Doch verschwinden wird er nicht, glaubt die Knigge-Gesellschaft.

Der Handschlag ist derzeit wegen Corona out. Doch verschwinden wird er nicht, glaubt die Knigge-Gesellschaft.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Herr Hoyos, ist nach zwei Jahren Pandemie der Handschlag so gut wie tot?

Hoyos Der Handschlag wird wiederkommen. Das hat sich auch schon in den letzten Sommermonaten gezeigt, als die Corona-Sensibilität geringer gewesen ist. Und auch im Sommer 2022 dürfte das nicht anders sein. Außerdem werden wir wieder Küsschen links, Küsschen rechts sehen, die sogenannte Akkolade.

Viele begrüßen sich aber inzwischen mit der Faust. Das wird nicht so bleiben?

Hoyos Diese kleine Geste hat ja der ehemalige US-Präsident Barack Obama salonfähig gemacht. Vor dem Hintergrund der Pandemie ist sie aber aus meiner Sicht absolut sinnlos. Hand aufs Herz, eine leichte Verbeugung andeuten oder ein Kopfnicken reicht, um dem Gegenüber zu signalisieren, ich grüße dich, ich sehe dich.

Welche Umgangsformen haben sich durch Corona noch geändert?

Hoyos Insgesamt sind wir natürlich dünnhäutiger geworden. Es fehlt uns die Abwechslung und der soziale Austausch. Andere Menschen wirken auf uns auch wie ein Regulativ. Weil dem vielfach nicht mehr so ist, ist die Zündschnur bei vielen Leuten sehr kurz geworden; zu Beginn von Corona gab es den Kampf ums Klopapier, jetzt geht es um die Deutungshoheit der Corona-Maßnahmen. Das sind schon markante Veränderungen.

Könnte man auch sagen, Corona hat den Umgang entspannter gemacht, weil auf Etikette oder gar besondere Höflichkeit nicht mehr so geachtet werden muss?

Hoyos Das ist eine ganz schön starke Aussage. Höflichkeit kommt nicht von höfischem Benehmen. Sondern es geht um umsichtiges Verhalten. Aber klar, man ist entspannter in Sachen Dresscode geworden, etwas lockerer in der Sprache. Was aber auch daran liegt, dass Corona für Distanz gesorgt hat.

Vieles läuft ja auch inzwischen digital ab.

Hoyos Richtig. Wir versuchen, wann immer möglich, auf Videokonferenzen oder andere digitale Formate auszuweichen. Auch da sehe ich in meiner täglichen Arbeit, dass man Leuten nach wie vor von unten in die Nase schauen kann, oder sie schlecht ausgeleuchtet sind. Auch das hat was mit Benehmen zu tun. Und wenn man sich im Ton vergreift, ist zwar immer noch der Bildschirm dazwischen. Das bedeutet aber nicht, dass wir weniger respektvoll oder höflich miteinander umgehen sollten. Es gilt immer zu definieren: Wo befinde ich mich gerade, handelt es ich um eine berufliche, private oder eine Mischsituation? Habe ich es mit einer anderen Kultur zu tun, wie werde ich meiner eigenen Rolle gerecht, welche Erwartungshaltung habe ich an mich selbst, haben aber auch andere an mich? Wertschätzung und Rücksichtnahme bleiben. Auch in der Corona-Pandemie.

Was geht denn überhaupt nicht?

Hoyos Die größten Todfeinde, wenn man es so sagen möchte, des guten Benehmens sind mangelnde Empathie und Bequemlichkeit. Auch bei digitalen Begegnungen ist das Zurücklehnen eine Bequemlichkeit, die jeder Umgangsform im Wege steht. Es fehlt das Korrektiv der direkten Begegnung, die äußeren Umstände. Mangelnde Empathie ist sicherlich auch ein Charakterzug, aber wenn man sich nur noch mit sich selbst beschäftigt, schlägt sich das beim eigenen Benehmen nieder. Aufrecht sein, freundlich lächeln und höflich Bitte und Danke sagen, sich bewusst sein, dass jeder Mensch gesehen und verstanden werden will, das hilft.

Aber der alte Grundsatz, das macht man nicht, scheint nicht mehr viel zu gelten.

Hoyos Das stimmt. Man darf aber nicht nur unterscheiden zwischen richtig und falsch, gut oder schlecht. Sondern zwischen anschlussfähig, geschickt und angemessen. Deshalb sind die Nuancen in der täglichen Kommunikation und auch der Meinungsbildung, die es gerade gibt, so wichtig. Man kann ruhig Mut zu mehr Individualität haben.

Doch wie weit darf gerade in Corona-Zeiten die Individualität gehen?

Hoyos Ob Pandemie oder nicht, man sollte sich immer fragen, was sind meine Ideale, was ist das Bild, das ich bei einer Interaktion transportieren möchte. Darauf kommt es an. Ich glaube, dass viele Leute da zu nachlässig sind. Auf der anderen Seite haben gerade Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, damit Erfolg, wenn sie laut und vulgär sind. Das mag begrenzt unterhaltsam sein, kann aber nicht für die Masse funktionieren.

 Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Knigge-Gesellschaft

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Knigge-Gesellschaft

Foto: Hoyos/Lazic, Rosa

Wenn Knigge noch leben und einen Blick auf die Gesellschaft werfen würde, was würde er dann sagen?

Hoyos Dazu gibt es ein treffendes Zitat von ihm: „Die Erde ist so groß, dass eine Menge Narren nebeneinander darauf Platz hat.“

(has)
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