Probleme der Generation Twitter Der Fall @xsarahleee

Analyse | Berlin · Das Netz schlägt hohe Wellen, weil kurz nach der Wahl von Sarah-Lee Heinrich zur neuen Chefin der Grünen Jugend eine Fülle von Tweets aus ihrem Teenager-Alter auftauchte. Nun streitet das Netz, was als Jugendsünde verzeihlich ist. Aber es entlarvt auch aktuelle Gesellschaftsprobleme.

Sarah-Lee Heinrich beim Bundeskongress der Grünen Jugend am Samstag in Erfurt.

Sarah-Lee Heinrich beim Bundeskongress der Grünen Jugend am Samstag in Erfurt.

Foto: dpa/Bodo Schackow

Es gibt obszöne Bemerkungen, die schnell vergessen sind, wenn sie von Pubertierenden auf dem Schulhof gesprochen werden. Und es gibt obszöne Bemerkungen, die Pubertierende bei Twitter einstellen. Davon kann jeder einen Snapshot machen, sie ewig erhalten, auch wenn der Teenager sie längst gelöscht hat, sie ihm inzwischen peinlich sind und er nie auf den Gedanken käme, derartiges zu wiederholen. Das ist die eine Seite des Problems, das sich am Wochenende im Netz hochschaukelte, nachdem Sarah-Lee  Heinrich zur Grüne-Jugend-Sprecherin gewählt worden war und sie mit ihrer längst vergessen geglaubten Fäkalsprache von früher konfrontiert wurde. Die Generation Twitter erfasst ihre Kinder. Es erscheint ein neues Phänomen der politischen Auseinandersetzung, das jungen Menschen nicht intensiv genug eingebläut werden kann: Überlegt Euch immer, ob Euer 25-Jähriges Ich wohl auch noch dazu steht.

Im Jahre 15 von Twitter hat die Gesellschaft jedoch bereits in Teilen gelernt, darüber zur Tagesordnung überzugehen. Was 13-, 14-, 15-Jährige „zwitschern“, sagt nur sehr begrenzt etwas über den Gemütszustand einer Person aus, wenn sie erwachsen geworden ist. Die Neigung war groß, im ersten Augenblick auch bei Heinrich (bei Twitter als @xsarahleee unterwegs) den großen Schwamm zu nehmen. Obszönes als Jugendsünde. Man bereut sie, und es ist vergessen.

Doch es kristallisieren sich in diesem Fall drei weitere grundsätzliche Probleme der Gesellschaft heraus. Und dabei geht es um immens schwerere Kaliber. Nämlich um Rassismus, um Diskussionsfähigkeit und um Sagbares. Alle drei sind geeignet, die politische, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung in eine Sackgasse zu führen, die letztlich demokratiegefährdend sein kann.

Da ist die Sache mit dem „Heil“. Als Kommentar der 14jährigen Heinrich zum Hakenkreuz eines anderen Nutzers. „Maximal dumm und unangebracht“, meint die 20jährige Heinrich dazu. Sie sei Teil einer antifaschistischen Jugendorganisation und deshalb spiegele dieser Tweet in keiner Weise ihre Position wieder. Also ebenfalls unter er Rubrik einmaliger Ausrutscher wegzuwischen? Doch da ist dann auch noch das Wort „schwul“ im abwertenden Sinne, das Wort „behindert“ im beleidigenden Sinne, die Verwendung von „Tunte“ für Homosexuelle. Alles Ausrutscher und Ausweis für ein Denken, das jeder junge Mensch mal durchmacht?

Spätestens bei ihrer als 15-Jähriger bekundeten Absicht, „alle weißen Menschen“ mit einem Besen aus Afrika „raus kehren“ zu wollen, verbunden mit der Qualifizierung, in einer „ekligen weißen Mehrheitsgesellschaft“ zu leben, kommt die Frage auf, ob das bei jedem 15-Jährigen als lässliche Jugendsünde qualifiziert werden sollte. Vor allem, wenn dann auch noch zu lesen ist, dass nach ihrer damaligen Überzeugung „Juden und Asiaten keine weißen Menschen“ seien.

Die Entschuldigung fällt bei Heinrich an diesen Stellen differenziert aus. Sie distanziert sich nicht pauschal davon, versucht einiges zu erklären und will etwa das Wort „eklig“ lediglich ersetzen. Und dass sie „Juden und Asiaten“ bescheinigt, „keine weißen Menschen“ zu sein, mag in manchen Kreisen erklärbar sein, die beiden Gruppen von ihrer Kritik an „weißen Menschen“ auszunehmen. Zur Ausgrenzung hat sie damit jedoch beigetragen. Und deshalb fragt sich, wie weit es um den Vorsatz bestellt ist, Antisemitismus und Rassismus keinen Fußbreit Raum in Deutschland zu geben, wenn das bei allen bis 15 Jahren im Nachhinein hingenommen werden soll.

Hoffmann schrieb die Kritik, sogar die an der Verwendung des Wortes Heil, einem „Rechtsaußen/AfD-Shitstorm“ zu, auch eine weitere Welle sei von „Rechten“ veranlasst. Viele Kommentatoren sahen das ähnlich und solidarisierten sich mit ihr. Es gehe den Kritikern, so eine weit verbreitete Erklärung, nur darum, sich an ihr als Schwarzer und als Frau abzuarbeiten, ihr Feindbild gegen eine schwarze, linke Frau mit Hass zum Ausdruck zu bringen. Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock sicherte ihr umgehend „volle Solidarität“ zu. So eine „starke junge Frau“ treffe man nicht oft. Sie schloss mit „gemeinsam widersetzen wir uns Rassismus und Sexismus“.

Darin kommt die Vorstellung zum Ausdruck, dass in der eigenen linken, grünen, antifaschistischen, antirassistischen Blase alle zusammenhalten müssen, wenn einer wegen fragwürdiger Äußerungen kritisiert wird, weil diese gemeinsame Aufstellung per se gut und die Kritiker per se schlecht zu sein haben. Verstärkt wird diese Polarisierung durch die Versuche, Denkverbote aufzurichten. Etwa nach dem Muster, dass es „Rassismus gegen Weiße“ gar nicht gebe. Ähnliche Versuche, eigene ideologische Überzeugungen an die Stelle von wertfreien Beschreibungen zu setzen, richten sich darauf, dass Schwulen generell Kritik an Nicht-Schwulen und Schwulen zustehe, Nicht-Schwulen dagegen nicht. Wenn aber Schwarze generell Weiße pauschal angreifen und unter pauschalen Rassismus-Verdacht stellen dürfen, Weißen jede Kritik daran jedoch untersagt sein soll, ist die Gesellschaft am Ende einer vernünftigen Diskursfähigkeit angekommen.

Es bleibt als Dreh- und Angelpunkt das, was „sagbar“ sein soll. Die alte Überzeugung des Schriftstellers Kurt Tucholsky, wonach Satire „alles“ darf, muss in einer freien Gesellschaft grundsätzliche Geltung behalten und sich auch auf die gesamte Kommunikation beziehen. Doch das „alles“ muss seine Grenzen dort finden, wo es in Volksverhetzung, Beleidigung und Aufstachelung zum Hass und Rassismus übergeht. Diese Grenzen muss eine Gesellschaft gemeinsam finden und einhalten. Wenn eine Gruppe sich selbst davon freistellt und den Anspruch erhebt, die Gegner mit umso engeren Grenzen einzuhegen, hat sie die Grundlagen einer funktionierenden Demokratie erledigt.

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