Soziale Netzwerke „Viele sehen sich wie kleine Trumps“

Trier · Der Trierer Soziologe Waldemar Vogelgesang erklärt, warum der Ton im Internet rauer geworden ist und warum sich viele Facebook-Nutzer „in einer Kammer“ befinden.

 Symbolbild

Symbolbild

Foto: dpa/Friso Gentsch

Es gibt kaum ein Ereignis, das nicht mit hetzerischen und beleidigenden Kommentaren in sozialen Netzwerken begleitet wird. Sei es der Unfall der saarländischen Ministerpräsidentin auf dem Weg nach Berlin oder der Tod einer 15-Jährigen im pfälzischen Kandel. Warum es im Internet so viel Hass-Kommentare gibt und was das über die Verfasser aussagt, darüber hat unser Redakteur Bernd Wientjes mit dem in Ralingen (Trier-Saarburg) lebenden Soziologen Waldemar Vogelgesang gesprochen.

Herr Vogelgesang, sind Sie bei Facebook angemeldet?

WALDEMAR VOGELGESANG Ich halte mich da zurück. Die Vor- und Nachteile solcher sozialen Netzwerke sind ein wenig aus der Balance geraten. Und zwar eher in Richtung der Nachteile. Die Entwicklungen der jüngsten Zeit stimmen einen doch nachdenklich.

Inwiefern? Was hat sich geändert?

VOGELGESANG Durch die sozialen Medien ist ein neuer Typ der Kommunikation entstanden, der Typ der verrohten Kommunikation. Das hängt damit zusammen, dass das Gegenüber nicht mehr als konkrete, sondern nur noch als virtuelle Person gesehen wird, falls überhaupt noch.

Was hat zu dieser Verrohung geführt?

VOGELGESANG Durch die beleidigenden Kommentare wollen die Verfasser in erster Linie Aufmerksamkeit generieren, sie verwenden soziale Medien als Provokations­instanz. Viele sehen sich wie kleine Trumps. Sie hauen irgendwas raus und erzeugen dadurch eine gewisse Aufmerksamkeit. Diese findet dann in sogenannten Echokammern statt, in denen man sich unter Gleichgesinnten bewegt. Dadurch entsteht bei den Verfassern hetzerischer Kommentare der Eindruck, sie würden eine Mehrheitsmeinung vertreten. Dabei bewegen sich in solchen Echokammern tatsächlich eher Minderheiten, die sich durch ihre Kommentare aber stets selbst bestärken.

Das heißt aber doch, dass wir, die Medien, gar nicht mehr zu diesen Menschen, in – wie Sie sagen – Echokammern durchdringen.

VOGELGESANG Die Massenmedien erzeugen nicht mehr die Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft. Die Öffentlichkeit ist medial in eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten zerfallen. Durch die Funktionsweise von Facebook & Co. kommt es zu einer fatalen Entwicklung: Für die Nutzer werden nur die Kommentare gefiltert und angezeigt, die der eigenen Meinung und Weltsicht entsprechen. Dadurch entsteht eine Art kommunikative Parallelwelt, in der die eigene Meinung zirkuliert.

Spiegeln denn diese Meinungen tatsächlich die Meinungen innerhalb der realen Gesellschaft oder handelt es sich um, sagen wir, virtuelle Meinungen?

VOGELGESANG Alternative Fakten wurde nicht zu Unrecht zum Unwort des Jahres gekürt. Es geht bei diesen Meinungen nicht um den Wahrheitsgehalt und den Wirklichkeitsbezug, sondern um eine bestimmte Sichtweise. Angefangen hat das mit der Auseinandersetzung rund um die fremdenfeindliche Bewegung Pegida und mit dem Vorwurf der Lügenpresse. Diese Art von Hetze, die von der rechten Seite gekommen ist, zielte ja auf ein gesellschaftliches Problem, nämlich das der Zuwanderung und der Integration. Durch diese Kommentare wurde das Problem verschärft und verabsolutiert.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

VOGELGESANG Der Tod der 15-Jährigen im pfälzischen Kandel, die von ihrem afghanischen Ex-Freund erstochen worden ist, ist ein Einzelfall, der aber verallgemeinert wird. Und zwar dahingehend, dass die gesamte Zuwanderung völlig unkontrolliert verlaufe und überwiegend Kriminelle nach Deutschland kämen. Wir wissen aus Statistiken, dass die Zuwanderung von Kriminellen vor allem aus Nordafrika angestiegen ist. Das betrifft aber nicht alle Zuwanderer. Innerhalb der Echokammern wird aber nur die Nachricht kommuniziert, dass alle Zuwanderer kriminell und gefährlich seien. Das zeigt, dass sich die Meinung bei Facebook oft abkoppelt von den tatsächlichen Verhältnissen.

Was hat das Flüchtlingsthema mit der Gesellschaft gemacht? Wie hat sich diese dadurch verändert?

VOGELGESANG Es gab von Anfang an eine Protestbewegung. Neben der Willkommenskultur hat es auch eine kritische Sichtweise gegeben. Diese Kritik ist aber nicht ernst genommen worden. Die warnenden Hinweise kritischer Geister, nicht nur von Rechten, dass bei vielen Flüchtlingen weder die Identität noch die Nationalität bekannt ist, wollte man während des Willkommenshypes nicht wahrnehmen. Die Politik zahlt heute dafür den Preis. In den Echokammern wird die neue, restriktivere Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik gar nicht wahrgenommen. Oder wenn, dann nur mit dem Vorurteil, dass selbst eine auf 200 000 Flüchtlinge pro Jahr begrenzte Zuwanderung immer noch eine Bedrohung darstelle.

Warum ist das so?

VOGELGESANG Eine differenzierte Betrachtung von gesellschaftlichen Phänomenen findet in den Echokammern nicht mehr statt. Dort herrscht die Vorstellung, dass alle, mit denen man kommuniziert, die Welt genauso sehen wie man selbst. Man erkennt aber nicht, dass man nur noch Schatten wahrnimmt, die andere für einen produzieren.

Führt das auch zu dem erkennbaren Autoritätsverlust staatlicher Organisationen und der Parteien?

VOGELGESANG Die erlebte Ohnmacht nicht nur gegenüber der Zuwanderungspolitik führt dazu, dass man Aufmerksamkeit durch Provokation herstellen möchte. Dass sich dahinter auch so was wie Politikverdrossenheit verbergen kann, ist nicht auszuschließen. Vielleicht drücken einige der Kommentare auch den Frust darüber aus, dass es über drei Monate nach der Bundestagswahl noch immer keine neue Regierung gibt. Das, was die politische Elite derzeit vollzieht, ist für viele Wähler nicht mehr nachvollziehbar.

Was raten Sie im Umgang mit  beleidigenden Kommentaren?

VOGELGESANG Wenn die Parallelwelten merken, dass sie sich zu sehr von der Wirklichkeit abkoppeln, erkennen sie vielleicht, dass sie keine Aufmerksamkeit mehr erlangen und nicht mehr provozieren können.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort