Merkel in Großbritannien Deutschland macht den Brexit kleiner

Berlin · Es ist nicht irgendein Abschiedsbesuch von Angela Merkel an diesem Freitag bei Premier und Queen in Großbritannien. Parallel ist der Versuch angelaufen, die Briten trotz Brexits noch enger an Deutschland zu binden.

 Angela Merkel 2019 bei einem Empfang von Königin Elizabeth II. im Buckingham Palace.

Angela Merkel 2019 bei einem Empfang von Königin Elizabeth II. im Buckingham Palace.

Foto: dpa/Yui Mok

Für Jill Gallard hätte der Start als neue britische Botschafterin in Berlin sicherlich unter besseren Vorzeichen laufen können als mit der Herausforderung, ausgerechnet in Zeiten der neuen britisch-europäischen Distanz nach dem Brexit die deutsch-britischen Beziehungen mit neuem Leben zu füllen. Doch inzwischen bekommt sie ordentlich Rückenwind. In Deutschland sind auf vielen Ebenen Versuche angelaufen, die Briten gerade unter Brexit-Bedingungen noch enger in eine freundschaftliche Umarmung zu nehmen. Und in Großbritannien treffen diese Zeichen auf lebhafte positive Resonanz, wie sich an diesem Freitag beim Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigen dürfte.

Sie freue sich sehr, dass Merkel zum ersten Mal seit 2015 das Vereinigte Königreich besuche, sagte Gallard unserer Redaktion. Die dazwischenliegenden Reisen galten verschiedenen Gipfeltreffen und nicht einem bilateralen Programm. Premierminister Boris Johnson werde ihr zu Ehren nicht nur einen neuen Preis für britische und deutsche Wissenschaftlerinnen ankündigen. Er habe die Kanzlerin auch eingeladen, vor dem britischen Kabinett zu sprechen - „als erste ausländische Regierungschefin in diesem Jahrhundert“, wie die Botschafterin hervorhob. Johnson und Merkel würden „neue bilaterale Strukturen“ diskutieren. „Ich bin zuversichtlich dass wir auf dieser Grundlage eng mit der nächsten deutschen Regierung zusammenarbeiten werden, um die ,Freundship’ zwischen unseren Ländern zu vertiefen“, erklärte Gallard.

Wenn Armin Laschet diese neue Regierung bilden kann und er für die Koalitionsverhandlungen das Unions-Wahlprogramm hervorholt, dürften die Seiten 19 und 20 von besonderer Bedeutung für alle Freunde deutsch-britischer Beziehungen sein. Denn dort steht nicht nur die übliche Versicherung, dass das Vereinigte Königreich auch nach dem Austritt aus der Europäischen Union „unser enger Partner“ bleibe. Dort geht es auch um neue Projekte. So will die Union eine enge Zusammenarbeit bei der inneren und äußeren Sicherheit und im Bereich der Wissenschaft anstreben. „Wir werden einen Großbritannien-Koordinator der Bundesregierung einsetzen, der die vielfältigen bilateralen Beziehungen bündelt“, kündigen CDU und CSU in ihrem „Regierungsprogramm an. Zudem wollen sie die offiziellen Beziehungen an zwei Stellen konkret ausbauen: Es soll ein Deutsch-Britisches Jugendwerk entstehen sowie ein neues Parlamentarisches Patenschaftsprogramm des Bundestages mit einem Schüler-Austauschjahr in Großbritannien.

Parallel dazu hat Laschets Bundesratsminister Stephan Holthoff-Pförtner eine Entschließung in die Länderkammer eingebracht, um dafür auch Rückhalt bei den anderen Bundesländern zu sammeln. „Die politischen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich sind nicht einfacher geworden, aber sie sind wichtiger denn je“, stellt Holthoff-Pförtner fest. Deshalb ist es nach seiner Überzeugung „entscheidend, dass Deutschland ein klares Signal seiner engen Verbundenheit mit Großbritannien setzt“. Auf allen Ebenen sollen nach seiner Vorstellung diese Beziehungen gestärkt werden. In diesem Prozess verstehe sich NRW als „Antreiber“ so der Minister.

Das kommt nicht von ungefähr. In keinem anderen Bundesland leben so viele britische Bürgerinnen und Bürger wie in NRW, nämlich über 20.000. Und mehr als 1400 britische Unternehmen sind nach Angaben der Landesregierung in NRW aktiv. Am deutsch-britischen Außenhandel sei NRW mit 20 Milliarden Euro beteiligt.

Und es gibt auch eine besondere historische Beziehung. NRW verdankt seine Existenz einer britischen Idee. Unter dem Codenamen „Operation Marriage“ (Operation Hochzeit) führte die britische Militärregierung 1946 den Zusammenschluss von Teilen der ehemaligen preußischen Rheinprovinz mit der Provinz Westfalen herbei. Deswegen versteht NRW die Feiern zum 75. Landesgeburtstag im August auch als Höhepunkt im Jahr der Jubiläumsfeiern unter der Überschrift „75 Jahre Freundship“.

Zunächst dürfte die Feierlaune beim Treffen zwischen Merkel und Johnson auf dessen Landsatz Chequers eher getrübt sein. Denn die Briten sehen die besonderen Einreiseregelungen für Briten in Deutschland sehr kritisch. Wegen der Einstufung Großbritanniens als Virus-Variantengebiet dürfen derzeit nur Deutsche und Briten mit deutschem Wohnsitz nach Deutschland und müssen dort zunächst in Quarantäne.

Wesentlich angenehmer erscheint der folgende Termin Merkels auf Schloss Windsor: Privataudienz bei der Queen. Das sei „eine Ehre, über die die Bundeskanzlerin sich sehr freut“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert im Vorfeld.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort