Frau Hasselfeldt, 2023 war ein Jahr der Krisen und Kriege. Hat sich das beim Spendenaufkommen bemerkbar gemacht?
DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt „Wir werden immer öfter von Katastrophen betroffen sein“
Interview | Berlin · Nach Ansicht der Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Gerda Hasselfeldt, ist vom politischen Willen, für mehr Katstrophenschutz zu sorgen, nicht mehr viel übrig. Hasselfeldt fordert den Ausbau der Freiwilligendienste - und warnt vor weiteren Einsparungen auch bei der internationalen Hilfe.
Hasselfeldt Das Spendenaufkommen war gut. Es lag im Jahr 2023 bei rund 85 Millionen Euro.
Das ist aber deutlich weniger als die 150 Millionen in 2022. Gibt es eine Spendenmüdigkeit?
Hasselfeldt Seinerzeit eskalierte der bewaffnete Konflikt in der Ukraine und es kamen viele Geflüchtete nach Deutschland. Das heißt, immer, wenn eine Krise mit besonders starken Berührungspunkten in der deutschen Bevölkerung aufkommt, steigt das Spendenaufkommen. Dann lässt es nach. Eine Spendenmüdigkeit erkenne ich aber nicht, die Anteilnahme in Deutschland für die Not anderer ist hoch. Das hat sich auch nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien Anfang 2023 gezeigt.
Wofür hat das DRK die Spenden ausgegeben?
Hasselfeldt Der überwiegende Teil des Geldes ist zweckgebunden gespendet und entsprechend auch eingesetzt worden. Im Vordergrund stand dabei die Sofort- und Nothilfe nach den Erdbeben in der Türkei, Syrien und Marokko und den Überschwemmungen in Libyen. Und auch in der Ukraine sind wir natürlich weiterhin tätig. Wichtig ist dabei, dass unsere Hilfe sich immer an den Bedarfen vor Ort orientiert.
Wie klappt die Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen gerade im Nahen Osten?
Hasselfeldt Mit unseren beiden Schwestergesellschaften in Israel und den palästinensischen Gebieten gab es schon vor dem Krieg eine jahrzehntelange gute Zusammenarbeit. Zudem kooperieren wir eng mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Wir helfen nach den Anforderungen der Partner vor Ort. Die humanitäre Situation in Gaza ist katastrophal. Es kommen zu wenige Hilfsgüter in den Gaza-Streifen und es gibt keinen Zugang zu allen Hilfsbedürftigen.
Nun steigt augenscheinlich die Zahl der Krisen. Braucht es mehr Vorsorge mit Hilfsgütern?
Hasselfeldt Ja. Für die weltweite humanitäre Hilfe brauchen wir mehr Verlässlichkeit und Vorsorge. Die Bedarfe steigen nachweisbar. Deswegen verstehe ich nicht, warum die Bundesregierung in diesem Bereich nicht noch mehr die Katastrophenvorsorge vor Ort und lokale Strukturen fördert. Das ist ein Fehler. Damit schaden wir uns auch selbst.
Und wie sieht es national aus?
Hasselfeldt Die Defizite sind eklatant, insbesondere bei der materiellen Ausstattung. Nach der Hochwasser-Katastrophe in und um das Ahrtal war das Bewusstsein der politisch Verantwortlichen für den Bevölkerungsschutz gestiegen. Davon ist jetzt nicht mehr viel übrig. Wir brauchen mehr und bessere Ausstattung für Katastrophenfälle in Deutschland. Es gibt ein Konzept, aber dessen Umsetzung stockt aufgrund sehr begrenzter Haushaltsmittel.
Sie meinen die Einrichtung von Betreuungsmodulen an zehn Standorten in Deutschland.
Hasselfeldt Ganz genau – politischer Konsens ist, zehn mobile Betreuungsmodule für den Einsatz bei zerstörter Infrastruktur zu beschaffen. Bisher gibt es nur eins. Mit einem Modul können jeweils bis zu 5.000 Menschen aufgenommen, betreut und umfassend versorgt werden. Wir reden die Krisen nicht herbei. Aber es ist absehbar, dass wir immer öfter von Katastrophen betroffen sein werden. Womöglich auch gleichzeitig. Deswegen müssen dieser Zusage aus der Politik nun Taten folgen.
Es ist Haushaltskrise. Befürchten Sie weitere Einsparungen?
Hasselfeldt Das DRK ist anerkannte Hilfsorganisation und Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege. Wir bieten viele Beratungen an, die die Menschen dringend benötigen, von Schuldner- über Sucht- bis Migrationsberatungen. Zuletzt hatte der Haushaltsausschuss im Bundestag nach unseren Informationen viele geplante Kürzungen weitgehend zurückgenommen. Wir hoffen, dass es letztlich dabeibleibt. Würde das Geld nicht fließen, würde das Entlassungen und die Streichung von Beratungsangeboten bedeuten. Für soziale Brennpunkte und für die Integration wäre das ein Katastrophe.
Auch in den Freiwilligendiensten waren erhebliche Einsparungen geplant, die jetzt wieder zurückgenommen wurden. Wie schätzen Sie das ein?
Hasselfeldt Es ist völlig indiskutabel, dass auch hier zwischenzeitlich Kürzungen vorgesehen waren. Und das in einer Zeit, in der mancher über einen Pflichtdienst nachdenkt, dessen Einführung rund zwölf Milliarden Euro kostet. Es geht bei den Freiwilligendiensten insgesamt um 328 Millionen Euro. Wir brauchen eine deutliche Erhöhung dieses Ansatzes, um junge Menschen wieder für eine ehrenamtliche, soziale Tätigkeit zu gewinnen.
Das heißt, Sie wollen den Freiwilligendienst attraktiver machen?
Hasselfeldt Ja. Das fängt beim Taschengeld an. Den Dienst kann sich eigentlich nur ein Jugendlicher leisten, der gutverdienende Eltern hat. Das Taschengeld beträgt je nach Einsatzstelle zwischen 150 und knapp 400 Euro. Die Größenordnung des Bafögs wäre eine angemessene Richtschnur. Auch muss die Tätigkeit mehr anerkannt werden. Bei der Zulassung zum Studium, bei der Dauer einer beruflichen Ausbildung oder aber bei der Nutzung von kulturellen Einrichtungen muss es Vorteile geben.
Leidet auch das DRK unter Personalmangel?
Hasselfeldt Ja, der Arbeitskräftemangel trifft viele Einrichtungen des DRK. Deswegen ist der Freiwilligendienst so wichtig. Er ist ein gutes Tor für späteres, ehrenamtliches Engagement und den Einstieg in einen sozialen oder medizinischen Beruf. Allein in der Pflege ist das Defizit immens. Ein riesiges Problem ist zudem, dass es gerade im Beratungsbereich und in der sozialen Arbeit oft nur jährlich geförderte Programme gibt. Solche Jahresverträge etwa in der Schulsozialarbeit sind verantwortungslos und erschweren gute Beschäftigung sowie entsprechend die Suche nach Personal.