Kritische Stimmen nach Erdogans Wahlsieg Cem Özdemir fordert „Zeitenwende“ in deutscher Türkei-Politik

Berlin · Der Wahlsieg Erdogans in der Türkei hat in der deutschen Politik keine Freude ausgelöst: Agrarminister Özdemir fordert, türkische Imame besser zu kontrollieren, um deren Einfluss auf junge Türken zu begrenzen. Außenpolitiker Norbert Röttgen erwartet den weiteren wirtschaftlichen Niedergang der Türkei.

 Duisburg: Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan fahren in einem Autokorso mit türkischen Fahnen.

Duisburg: Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan fahren in einem Autokorso mit türkischen Fahnen.

Foto: dpa/Christoph Reichwein

Der Wahlsieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat neben offiziellen Glückwünsch-Adressen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für Erdogan viele kritische Reaktionen in Deutschland ausgelöst. Der türkisch-stämmige Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) forderte eine „Zeitenwende“ in der deutschen Türkei-Politik. Man dürfe nicht mehr weiter dabei zusehen, wie von der türkischen Religionsbehörde entsandte Imame in Deutschland wirkten und junge Türken dadurch immer nationalistischer und fundamentalistischer würden. Außenpolitiker forderten Erdogan auf, die Blockade des schwedischen Nato-Beitritts endlich aufzugeben.

„Der Kurs der türkischen Regierung hat zuletzt die Gräben zwischen Türkei und Europäischer Union vertieft und Investoren aus dem Westen abgeschreckt, die das Land dringend braucht“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour. „Eine Politik, die weiter auf Ausgrenzung und Polemik setzt, würde diese Lage weiter verschlechtern. Ich hoffe auf mehr Verlässlichkeit in den Beziehungen. Das muss mit dem Ende der Blockade des Beitritts Schwedens in die Nato beginnen“, sagte der Grünen-Politiker. „Das Ergebnis der Wahl in der Türkei zeugt von einer lebendigen Zivilgesellschaft, die sich eine Rückkehr zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wünscht. Hinzu kommen die schwierige wirtschaftliche Lage des Landes und die hohe Inflation, die eine schwere Belastung für die türkische Gesellschaft sind. Vor dem wiedergewählten Präsidenten liegt die Aufgabe, die zunehmende gesellschaftliche Spaltung nicht weiter voranschreiten zu lassen“, sagte er.

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erwartete nach dem Wahlsieg Erdogans einen weiteren wirtschaftlichen Niedergang in der Türkei. „Die ganze Türkei wird den manipulierten Wahlsieg Erdogans mit dem unvermeidlichen weiteren wirtschaftlichen Niedergang teuer bezahlen“, sagte Röttgen. „Dieser dürfte Erdogan zu weiterer Radikalisierung im Innern und zu noch größerer Unberechenbarkeit aus Sicht des Westens in der Außenpolitik verleiten“, sagte er. „Erdogan spaltet die Türkei in zwei praktisch gleich große Teile. Hinter ihm steht die religiös-konservative Landbevölkerung. Die pro-europäisch gesinnte Hälfte des Landes lehnt Erdogan ab. Wir Europäer müssen wissen, dass es diese andere Hälfte gibt und dürfen schon darum die Türkei nicht aufgeben“, so Röttgen.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, kritisierte das Abstimmungsverhalten vieler Türkinnen und Türken in Deutschland, die Erdogan gewählt hatten. „Leider ist das Abstimmungsverhalten der Türkinnen und Türken in Deutschland befremdlich. Die Pluralität und Meinungsvielfalt, die sie in Deutschland genießen, wollen sie für ihre zweite Heimat anscheinend nicht“, sagte Hardt. „Dass am Sonntagabend bei Kundgebungen auch der Gruß der rechtsextremen Grauen Wölfe zu sehen war, muss politisch aufgearbeitet und zum Anlass für eine Überprüfung der rechtlichen Handhabe gegen diese Organisation genutzt werden“, forderte Hardt.

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