EU vor Scheitern des Öl-Embargos Kommentar: Energie wird zu Putins Hebel

Meinung · Die Entschlossenheit der EU bei den Sanktionen gegen Putins Angriffskrieg kommt beim Öl immer mehr ins Wanken. Trotz Ausnahmeregeln für Ungarn hat die Union Budapest noch nicht ins Boot geholt. Die Zweifel am Nutzen der Energiesanktionen wachsen. Die Fehler der Vergangenheit holen die EU ein.

“Freundschaft“ - der Name der Öl-Pipeline von Russland ins brandenburgische Schwedt.

“Freundschaft“ - der Name der Öl-Pipeline von Russland ins brandenburgische Schwedt.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Selten hat das Bild vom „Öl ins Feuer gießen“ so gut gepasst wie bei den Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zu Recht fühlt sich die gesamte EU von dem brutalen und mörderischen Bruch aller Regeln durch Putin in der eigenen Friedensordnung angegriffen. Alles zu unterlassen, was den Krieg verlängert, ist deshalb die nächstliegende Reaktion. Deshalb hat die EU bereits fünf Sanktionspakete geschnürt und sowohl Putin als auch sich selbst durch selten erlebte Einigkeit beeindruckt. Beim sechsten droht sich die EU nun zu verheben.
Es kommt schon im Entwurf löchrig daher. Bereits im fünften Paket sollte eigentlich die Abhängigkeit von russischen Kohlelieferungen so schnell wie möglich auf Null gefahren werden. Weil am Ende die Verständigung auf Übergangsfristen bis August stand, fließen noch viele Millionen Euro für Kohle in die russischen Kriegskassen. Beim Öl-Embargo im sechsten Paket ist die Sofort-Wirkung sogar gleich Null. Sechs Monate bis zum Stopp des Rohöls, acht bis zum Embargo auch der Ölprodukte. Ungarn darf noch zwei Jahre länger einkaufen – und täglich fließen dreistellige Millionenbeträge für Energie aus der EU nach Moskau.

Extreme Abhängigkeit: Scheitert das Öl-Embargo der EU gegen Russland?


Vor diesem Hintergrund tun sich vor allem die EU-Mitglieder mit fast vollständiger Abhängigkeit von russischer Energie schwer mit dem Sprung in die Ungewissheit. Anfangs sollte die Verständigung der EU in der vergangenen Woche unter Dach und Fach sein. Noch am Dienstagmorgen sah die Ratspräsidentschaft die Einigung in dieser Woche möglich. Doch die spontane Reise von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Budapest zeigt die reale Gefahr, dass es dieses Mal nicht um die EU-typische Theatralik vor zähen Einigungsrunden geht, sondern die Einigung selbst auf dem Spiel steht. Die EU-Manager sehen zugleich, dass auch drei weitere Staaten größere Ausnahmen vom Ausstieg wollen.
Im Grunde kann sich Putin also ohne wirkliche Geldsorgen auf die Fortsetzung des Krieges konzentrieren. Zwar wird die Lieferung von Kohle und Öl perspektivisch immer kleiner, doch aktuell steigen die Preise, sodass Moskau nicht weniger, sondern mehr Geld für den Krieg von den Europäern geliefert bekommt. Die Verantwortlichen in Brüssel geraten zudem zwischen die Fronten: Die Erwartungen der Ukraine wachsen, zugleich auch die Befürchtungen in den Mitgliedsländern, dass dieses Paket in Russland wenig bewirkt, umso mehr jedoch zu Hause. Mögen mit dem Versiegen des Rohöls aus der „Freundschaft“-Pipeline nach Schwedt zunächst nur regionale Engpässe drohen – das Bitumen für den Straßenbau wird danach in ganz Deutschland knapp.
Schon verlieren in Brüssel die ersten die Nerven und meinen, dann solle das Embargo eben ohne die Ungarn beschlossen werden. Für Putin wäre das die Einladung, die Einigkeit der EU weiter auszutesten. Etwa mit dem Stopp von Gaslieferungen. Mit ihren kolossalen Fehlern der Vergangenheit haben ihm die EU-Staaten selbst das größte Werkzeug in die Hand gelegt, um die Einigkeit der EU auszuhebeln.

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