Interview zehn Jahre AfD „Alle sind gefallen wie Bauern im Schach“

Interview | Berlin · Zehn Jahre gibt es jetzt die AfD. Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke, einer der anerkanntesten Rechtsextremismusexperten, erklärt, wie sich die Partei im Laufe der Jahre radikalisieren konnte. Und wo sie in den nächsten zehn Jahren hin will.

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke ist nach Ansicht des Berliner Politikwissenschaftlers Hajo Funke der Mann, der die Ausrichtung der Partei vor allem bestimmt.

Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke ist nach Ansicht des Berliner Politikwissenschaftlers Hajo Funke der Mann, der die Ausrichtung der Partei vor allem bestimmt.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Herr Professor Funke, wie hat sich die AfD in den letzten zehn Jahren verändert?

Funke Die AfD ist von einer wirtschaftsnationalen, gegen die EU gerichteten Partei aus Professoren zu einer rechtsextremen, radikalisierten Vereinigung geworden. Und das von Parteitag zu Parteitag mehr. Das ist nicht untypisch für Deutschland, speziell für Westdeutschland. Auch die NPD war zunächst eher ein Altherrenclub, ähnlich wie die Republikaner.

Wieso ist es zu der Radikalisierung gekommen?

Funke In Deutschland gibt es ein rechtsextremes, auch gewaltbereites Potenzial. Die AfD hat sich vor allem durch die Aufnahme einer großen Zahl von Geflüchteten 2015 diesen ganz rechten Bewegungen zugeordnet. Und das ist geschehen über einen Teil der Partei selbst, dem sogenannten Flügel.

Björn Höcke…

Funke … genau. Organisiert und inszeniert von Björn Höcke. Er hat die Parole ausgegeben, aus der AfD eine fundamentaloppositionelle Bewegungspartei machen zu wollen. Der Druck von ganz rechts, von der Straße wie durch Pegida, hat den Richtungswechsel verstärkt und manifestiert.

Es gab aber auch moderate Führungskräfte. Bernd Lucke, Frauke Petry, Jörg Meuthen, warum sind sie gescheitert?

Funke Sie sind von Höcke getrieben worden – und dann alle gefallen wie die Bauern im Schach. Die Moderaten haben versucht, Kompromisse zu machen. Das war fatal. Denn es gab und gibt in der AfD eine eingebaute Radikalisierung bedient von rechten Formationen, die sich immer gerne beziehen auf die jeweiligen Bewegungen außerhalb. Beginnend bei Pegida bis hin zu den Querdenkern und jetzt den Russlandverstehern. Rechte Positionen haben sich dadurch gefestigt und ausgeweitet.

Lässt sich das Rad wieder zurückdrehen?

Funke Das ist mehrfach versucht worden, aber gescheitert. Ich sehe keine Konstellation in der internen Machtstruktur, in der das zurückgedreht werden kann. In der Geschichte der Bundesrepublik ist das auch keiner anderen Partei gelungen, die rechtsextrem geworden ist.

Warum legt die AfD dennoch in den Umfragen zu?

Funke Da widerspreche ist. Die AfD legt nur im Moment etwas zu, sie war bundesweit schon mal weiter. Anders ist es allerdings in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, da scheint die Partei potenziell machtfähig geworden zu sein.

Woran liegt das?

Funke Das liegt an der strategischen Schwäche aller demokratischen Parteien in diesen Ländern, speziell aber der CDU. Wir beobachten dort, was wir auch beim Verschwinden der Weimarer Republik beobachten konnten – dass Demokraten keine mehrheitsfähigen Optionen mehr haben. So konnte man in Thüringen bereits erleben, wie die AfD die Mehrheitsfähigkeit der Demokraten blockiert hat. Das kann wieder passieren, wenn die CDU ihre Brandmauer zur AfD weiter durchlöchern lässt und ihr Verhältnis zur Linkspartei nicht normalisiert.

Gibt es spezifische Ostaspekte, die der AfD helfen?

Funke Ja. Das ist absolut klar. Das ist kein Ost-Bashing, aber dort hat es Konstellationen gegeben, die der Demokratie nicht guttun. Das beginnt bei der DDR selbst und ihrer Nachwirkungen. Dann die von Westdeutschland politisch, ökonomisch und kulturell dominierte Einigung – die eigentlich eine Form des Anschlusses durch Helmut Kohl gewesen ist. Die Einigungsschwierigkeiten haben eine Explosion der Ressentiments ausgelöst in den unmittelbaren Jahren nach der Wende. Das hat sich als Mentalität bis heute gehalten. Die AfD hat dafür ein Organisationsangebot geliefert.

Reicht es auf Dauer, immer radikaler zu werden, auch in der Sprache?

Funke Für die Macht reicht es nicht. 80 Prozent der Deutschen wollen nicht in die Nähe einer faschistischen Herrschaft kommen. Sie sind für das Grundgesetz, für das Recht auf Menschenwürde. Das ist in den Studien sehr präsent. Innerhalb der verbliebenen Prozent gibt es kleine Teile, die neonationalsozialistisch ausgerichtet sind. Der Erfolg der AfD ist es, diese wenigen Prozente mit rechtspopulistischen Parolen ausgedehnt zu haben. Dabei ist hilfreich, dass es Themen gibt, die von den demokratischen Parteien nicht angemessen bearbeitet werden. Aktuell etwa den weiteren Umgang mit dem Ukraine-Krieg.

Wo steht die AfD in zehn Jahren?

Funke In zehn Jahren könnte es sie genauso geben wie heute. Sie will an die Macht, Höcke will an die Macht. Ich glaube aber nicht, dass dies gelingen wird. Die AfD wird mit ihrer radikalen Ausrichtung bundesweit im Turm von zehn Prozent plus gefangen bleiben.

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