Nach Makron-Sieg Was die Wahlen in Frankreich für die Zukunft der EU bedeuten

Analyse · Die Erleichterung über die Wiederwahl des Europafreundes Macron beherrscht die Wahrnehmung aus EU-Sicht. Die Abwahl der Rechtspopulisten in Slowenien verstärkt diesen Effekt. Doch hinter den Wahlergebnissen verbergen sich fatale Entwicklungen. Die Herausforderungen für die EU wachsen. Der Abgrund bleibt nahe.

 Emmanuel Macron und Olaf Scholz beim Informellen EU-Gipfel Mitte März in Versailles.

Emmanuel Macron und Olaf Scholz beim Informellen EU-Gipfel Mitte März in Versailles.

Foto: AP/Michel Euler

Die politischen Seismografen schlugen am Wochenende heftig aus, als den Anhängern der europäischen Idee dicke Steine vom Herzen fielen: Die Franzosen wollten nicht werden wie die Ungarn. Und die Slowenen auch nicht. Zwei gute Nachrichten auf einmal. Wer die EU am Abgrund gesehen hatte, lehnte sich beruhigt zurück. Die liberal-grüne Bewegung von Robert Golob jagte den rechtspopulistischen Janez Jansa in die Wüste und schickt sich an, wie in Deutschland eine Art Ampel-Regierung als neues osteuropäisches Muster zu bilden. Und die den Franzosen vorgelegte Frage, wer fünf Jahre Präsident sein soll, war mit der Frage verknüpft, ob sie für ein in die EU integriertes Frankreich seien. Sie sagten jedoch nur oberflächlich ja. Und das ist das Problem.

Emmanuel Macron hatte einen bewusst pro-europäischen Wahlkampf geführt. Marine Le Pen ihre Frexit-Pläne von vor fünf Jahren zwar fallengelassen, sie war aber eingetreten für einen gründlichen Umbau der EU, in denen gemeinsame Rechtsgrundsätze nicht mehr gelten, sondern die Nationen sich unter der Floskel von einem „Europa der Vaterländer“ nur noch das rauspicken sollten, was ihnen passt. Nicht von ungefähr hatte sie sich an der Seite von Viktor Orban inszeniert und versucht, dessen Wiederwahl zum Rückenwind für ihren Wahlkampf zu machen.

Natürlich wäre am Montag Heulen und Zähneklappern das alles überragende Geräusch in Brüssel gewesen, wenn Le Pen den amtierenden Präsidenten besiegt hätte. Stattdessen freute man sich im Europaparlament über „Kontinuität und Stabilität in der Europäischen Union“, die nach der Überzeugung von David McAllister, dem CDU-Europa-Abgeordneten und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses mit der Wiederwahl Macrons verbunden seien.

Doch für Lachen und Freudengesänge besteht kein Anlass. Denn Le Pens 41,5 Prozent sind eine schwerere Hypothek für Europa, als es die Zahlen auf den ersten Blick erkennen lassen. Die Europagegnerin hat seit 2017 nicht nur den Abstand zum Europafan Macron halbiert. Sie hat auch in 28 von 101 Departements gewonnen. Noch klarer sagt ein Blick auf das Verhalten aller Franzosen, wie es selbst in einem angeblich verlässlich pro-europäischen Land tatsächlich um die EU-Sympathien bestellt ist. Macron bekam 18,8 Millionen Stimmen von 48,7 Millionen Wahlberechtigten. 62 Prozent aller zur Entscheidung aufgerufenen Franzosen war es egal, was aus Europa wird. Sie stimmten nicht mit, gaben ungültige Zettel ab oder entschieden sich für Le Pen.

Zudem sagten neun von zehn Wählern, die in der Stichwahl vom linkspopulistischen Jean-Luc Mélenchon zu Macron gewechselt waren, sie hätten sich nicht für Macron, sondern nur gegen Le Pen entschieden. Gegen Ende der französischen Ratspräsidentschaft wird erst klar werden, welchen Bewegungsspielraum der wiedergewählte Präsident hat. Setzt sich in den Parlamentswahlen Mélenchon durch und verpasst Macron damit eine Mehrheit für seine Bewegung, war es das auch mit seiner europäischen Dynamik. Dann muss er nämlich jeden Schritt mit einem möglichen Premier Mélenchon in einer Neuauflage der gefürchteten Cohabitation abstimmen.

Europa hat also nicht wirklich gewonnen am Wochenende. Es darf lediglich 60 Monate weiter am Abgrund herumstaksen. Denn sowohl in Paris wie in Ljubljana stützen sich die Sieger vom Sonntag nicht auf gefestigte und damit verlässliche Parteistrukturen, sondern auf Bewegungen, die sie auf sich selbst zugeschnitten haben. Eine Valerie Pecresse aus der einstmals starken gaullistisch-konservativen Mitte der französischen Parteien kam gerade auf 4,8 Prozent im ersten Wahlgang. Ein Macron, der 2027 nicht mehr antreten darf und eine Le Pen, die dann nicht mehr antreten will, hinterlassen viel Leerraum. Dieser wird in den nächsten fünf Jahren gefüllt in dem Bewusstsein, dass sich mehr als 40 Prozent längst mit einer rechtsradikalen Umgestaltung Frankreichs und Europas angefreundet haben und in ihrem Umfeld entsprechende Erwartungshaltungen verbreiten.

Auf der anderen Seite steht eine Mehrheit für Macrons Konzepte nur auf dem Papier des Wahltages. Er wird diejenigen wieder erreichen müssen, die sich zu kurz gekommen fühlen. Angesichts galoppierender Lebensmittel- und Energiepreise dürften in Europa die ideologischen Auseinandersetzungen um mehr oder weniger Vergemeinschaftung jedoch zunehmen, die Erwartungen an die EU wachsen und damit auch der Frust über nicht einlösbare oder nicht eingelöste Versprechen.

Die große Freude bei Le Pens Partnern in Deutschland und Italien über ihr beachtliches Abschneiden zeugt davon, dass das Projekt Europa einer Zangenbewegung ausgesetzt sein wird. Zwar kann der deutsch-französische Motor mit Macron und seinem ersten Gratulanten Olaf Scholz weiter laufen. Doch sie haben es in noch viel stärkerem Maße mit der nationalistischen und der sozialpolitischen Frage zu tun. Alles wird derzeit überdeckt vom Krieg Russlands gegen eine europäische Ukraine. Und auch da tun sich zwischen Paris und Berlin Bruchlinien auf. Deshalb klingt plausibel, was Tara Varma vom Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen in Paris bereits in einer ersten Analyse empfahl: Macron solle mit Scholz „sofort“ nach Kiew reisen, um die Unterstützung Europas für die Ukraine zu demonstrieren.

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