Streit bei EU-Videogipfel Grenzkontrollen: Das Vertrauen in Europa ist verwundbar

Berlin · Deutschland ist mit seinen verschärften Grenzkontrollen mit schlechtem Beispiel vorangegangen. Der Grenzstreit belastet das europäische Miteinander - und das ausgerechnet mitten in einer grenzüberschreitenden Krise, in der mehr anstatt weniger Europa gefragt ist.

Es ist so gekommen, wie es zu erwarten war: Der Streit um verschärfte Grenzkontrollen liegt schwer auf Europas Schultern. Eigentlich hatten sich die EU-Mitgliedsländer auf Empfehlungen für ein einheitliches Vorgehen an den Grenzen geeinigt. Doch Deutschland ist vorgeprescht: Gegen insgesamt fünf EU-Staaten hat die Bundesregierung inzwischen rigidere Einreisebeschränkungen verhängt; erst am vergangenen Dienstag wurden die Grenzkontrollen verlängert. Auch andere EU-Ländern haben inzwischen an den Grenzen verschärft. An diesem Donnerstag zog Frankreich nach und beschränkt seinerseits die Einreise aus dem Saarland und aus Rheinland-Pfalz. Das schlechte deutsche Beispiel macht offensichtlich Schule.

Dabei sollten die Erfahrungen aus der ersten Corona-Welle im vergangenen Jahr doch eigentlich genug der Warnung gewesen sein. Mit den erneuten Grenzverschärfungen wurde nicht nur das Chaos bei der Einreise und auf den innereuropäischen Handelswegen sehenden Auges in Kauf genommen. Das deutsche Ausscheren ist vor allem ein Affront gegen die europäischen Partner. Dabei ist es doch gerade Deutschland, das ansonsten die gemeinsame Verantwortung der 27 Mitgliedsstaaten anmahnt – und das wohlgemerkt zurecht. Umso mehr richtet sich die Kritik nun gegen die Bundesregierung. Ausgerechnet in einer grenzüberschreitenden Krise wie dieser Pandemie, die alle Länder schmerzlich trifft, belastet Deutschland das europäische Miteinander. Die Kritiker aus Brüssel behalten mit ihren Beschwerden recht.

Nun trifft die Pandemie zwar alle Länder, aber nicht alle sind derzeit gleich stark betroffen. Die Inzidenzwerte etwa in Tschechien sind immer noch dramatisch hoch und die Sorge vor einer immer schnelleren Verbreitung der Mutationen hierzulande unverändert groß. Dennoch: Haben die Kontrollen im Frühjahr 2020 die Pandemie ausgebremst? Nein, der Beweis ist längst erbracht, dass zwar die Einreise, aber mitnichten das Virus gestoppt werden kann. Hinzu kommt die wissenschaftlich belegte Gewissheit, dass die Virusmutationen sich durchsetzen werden. Deren Verbreitung kann höchstens verlangsamt, aber keineswegs verhindert werden. Zumal es an den Grenzen längst eine ganze Reihe von Ausnahmeregelungen gibt. Mit Blick auf das Infektionsgeschehen sind die Reisebeschränkungen also ein stumpfes Schwert. Der Europäischen Union allerdings versetzen sie einen tiefen Stich. Alle Staaten, die derzeit Einreisestopps verhängen, sollten sich gewahr sein, dass das gegenseitige Vertrauen verwundbar ist.

Nun soll der zweitägige EU-Videogipfel den Grenzstreit beilegen. Man erwarte „eine lebendige Diskussion“, hieß es im Vorfeld aus EU-Kreisen. Die beschönigenden Worte können nicht davon ablenken, dass die Enttäuschung in Brüssel schon jetzt tief sitzt. Mit mehr als lauwarmen Absichtserklärungen zur gemeinsamen Pandemiebewältigung ist bei dem Gipfel wohl kaum zu rechnen. Dabei braucht Europa starke Signale für mehr Zusammenhalt –in einer Pandemie, die sich über alle Grenzen hinwegsetzt, mehr denn je.

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