Streit um Atom- und Gaskraft Industrie hält grüne Kraftwerks-Pläne der EU für unrealistisch

Exklusiv | Berlin · Investitionen in moderne Atom- und Gaskraftwerke sollen nach dem Willen der EU-Kommission künftig als klimafreundlich gelten können. Darüber ist eine heftige Debatte entbrannt. Die Industrie hält Gas als Brückentechnologie für unverzichtbar und die EU-Einstufung für zu ambitioniert. Von den Grünen kommt heftiger Widerspruch, die Grüne Jugend spricht gar von einer „dreckigen Lüge“.

Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke (hier das Gaskraftwerk Gaisburg nahe Stuttgart) als klimafreundlich eingestuft werden.

Nach einem Vorschlag der EU-Kommission sollen Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke (hier das Gaskraftwerk Gaisburg nahe Stuttgart) als klimafreundlich eingestuft werden.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Pläne der EU-Kommission, moderne Atom- und Gaskraftwerke zu fördern, werden zur ersten Belastungsprobe für die Ampelkoalition. Zwar halten alle drei Parteien nichts davon, Atomkraft als förderungswürdig einzustufen. Doch anders als die Grünen sind SPD und FDP für eine Förderung der Gaskraftwerke, unabhängig von der Art des eingesetzten Gases (Erdgas oder Wasserstoff). Die EU-Kommission plant, Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke als nachhaltig einzustufen, so dass sie im Rahmen der staatlichen Klimapolitik, aber auch von privaten Investoren leichter gefördert werden können. Diese Einstufung wird „Taxonomie“ genannt.

Den Grünen gehen die Förderpläne zu weit, dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gehen sie nicht weit genug. „Die Kriterien des Taxonomie-Entwurfes müssen noch deutlich verbessert werden“, sagte Holger Lösch, Vize-Hauptgeschäftsführer des BDI, unserer Redaktion. „Die EU-Kommission will Kriterien anlegen, die sehr unrealistisch sind. Dazu zählt die Bedingung, dass in Kraftwerken ab 2026 mindestens 30 Prozent CO2-freie Brennstoffe, also etwa grüner Wasserstoff, eingesetzt werden müssen. Es ist sehr fraglich, ob bis dahin überhaupt klimaneutraler Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht.“ Zudem sei es äußerst unwahrscheinlich, dass bis dahin die nötige Pipeline-Infrastruktur für den Wasserstoff-Transport zu den Kraftwerksstandorten vorhanden sei. Lösch forderte zudem, dass der Bau von Gaskraftwerken unabhängig von der EU-Taxonomie mit nationalen Instrumenten gefördert werden dürfe. „Nur mit einer gesicherten Stromversorgung und Gas als Brückentechnologie wäre ein früherer Kohleausstieg möglich.“ Die Ampel will den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen.

Das Bundeswirtschaftsministerium geht davon aus, dass in Deutschland bis 2030 allein 15 Gigawatt Kraft-Wärme-Anlagen auf der Basis von Gas zugebaut werden müssen, um die Versorgung bei Strom und Wärme zu sichern. Der Verband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fordert, neue Kraftwerke so zu bauen, dass sie von fossilem Erdgas (blaues Gas) auf klimaneutralen Wasserstoff (grünes Gas) umgestellt werden können. „Um die Versorgungssicherheit sicherzustellen, benötigen wir noch eine Zeit lang Erdgas und dauerhaft Gaskraftwerke für die gesicherte Leistung als Partner der Erneuerbaren Energien“, sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae, die früher selbst bei den Grünen aktiv war. „Langfristig können Gaskraftwerke mit Wasserstoff und damit klimaneutral betrieben werden. Sie müssen also heute bereits so geplant werden, dass sie zukünftig Wasserstoff nutzen können.“ Eine Rückkehr zur Atomkraft lehnt die Energiewirtschaft dagegen ab.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) erwartet, dass Deutschland die EU-Pläne nicht mehr stoppen kann, da eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten sie ablehnen müsste. Dennoch formiert sich auf europäischer Ebene Widerstand. So hat die österreichische Regierung bereits eine Klage gegen die Pläne der EU-Kommission angedroht - und ist damit auf teilweise positives Echo gestoßen. „Als Grüne im Europäischen Parlament unterstützen wir das“, sagte deren Fraktionsvorsitzende Ska Keller zum Klagevorhaben Österreichs. „Atomenergie ist unsicher und die Lagerung des Atommülls weiterhin ungeklärt, deswegen kann hier von Nachhaltigkeit keine Rede sein. Im Europäischen Parlament werden wir diesen Vorschlag ablehnen“, sagte die Grünen-Politikerin unserer Redaktion. Sie hoffe, dass auch die Mitgliedstaaten nicht zustimmen werden.

Drastischer fiel der Widerspruch der Grünen Jugend aus. „Die Erzählung von sauberem Gas ist fürs Klima eine dreckige Lüge“, sagte Bundessprecher Timon Dzienus unserer Redaktion. Ein grünes Label für die „Hochrisikotechnologie Atomkraft“ oder den „Klimakiller Gaskraft“ könne dazu führen, dass dringend benötigtes Geld für die Erneuerbaren Energien fehle. „Wir erwarten von der Bundesregierung ein klares Nein zu den absurden Vorschlägen der EU-Kommission“, sagte Dzienus und appellierte besonders an SPD und FDP. „Auch Olaf Scholz und Christian Lindner sind hier in der Pflicht, diesen Unsinn zu stoppen“, so der Grüne-Jugend-Sprecher.

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