SPD-Spitze will Position zu Putin und Nord Stream klären Alte Russland-Liebe rostet nicht?

Analyse | Berlin · In Sachen Russland ist die alte Dame SPD eine multiple Persönlichkeit. Schröders hemmungslose PR-Offensive pro Moskau setzt die Parteiführung zusätzlich unter Druck. Am Montag wollen die Genossen ihre Position klären - ihr wichtigster Mann kommt aber gar nicht.

 So innig wie 2003 ist das Verhältnis schon lange nicht mehr: Der damalige Kanzler Gerhard Schröder gratulierte seinem Generalsekretär Olaf Scholz zum 43. Geburtstag. Nun macht Schröder der SPD in Sachen Russland wieder Scherereien.

So innig wie 2003 ist das Verhältnis schon lange nicht mehr: Der damalige Kanzler Gerhard Schröder gratulierte seinem Generalsekretär Olaf Scholz zum 43. Geburtstag. Nun macht Schröder der SPD in Sachen Russland wieder Scherereien.

Foto: Wolfgang Kumm / dpa

Lars Klingbeil hat ein Problem. Und das heißt Gerhard Schröder. Ausgerechnet der Altkanzler, ohne dessen frühe Förderung der Niedersachse Klingbeil wohl kaum bis zur SPD-Parteispitze aufgestiegen wäre, bringt die Sozialdemokraten in der aktuellen Russland-Ukraine-Krise in die Defensive. Der 43-jährige Klingbeil fing als Jungpolitiker in Schröders Büro in Hannover an, jetzt macht der Putin-Vertraute im hoch dotierten Unruhestand seinem Zögling mit umstrittenen Aussagen zum Ukraine-Konflikt das Leben politisch schwer.

Kiew solle mit dem „Säbelrasseln“ aufhören, dröhnte Schröder im eigenen Podcast - was nicht nur Unionspolitiker wie Norbert Röttgen angesichts von etwa 130.000 russischen Soldaten, die Wladimir Putin an der Grenze zum Nachbarland aufgestellt hat, für Propaganda pur von „Gas-Gerd“ halten. Schröder steht seit Jahren als Energie-Lobbyist auf Putins Payroll – und lenkt mit seinen PR-Auftritten für Moskau zum Verdruss der SPD immer wieder auch den Blick auf eine Partei, deren Verhältnis zu Russland vielschichtig ist.

Taugt der von einigen Genossen selbst jetzt noch eisern verteidigte Brandt-Ansatz vom „Wandel durch Annäherung“ bei einem russischen Präsidenten, der die europäische Nachkriegsordnung womöglich gewaltsam zu seinen Gunsten verändern will? Oder sind es genau diese Brücken, die am Ende den Frieden in Kiew und Europa sichern? Für diesen Montag hat Klingbeil nun SPD-Politiker aus Regierung, Fraktion und Partei zu einer Russland-Konferenz eingeladen, um eine einheitliche Marschroute festzulegen.

Interessant ist, wer nicht dabei ist. Olaf Scholz wird nach Informationen unserer Redaktion an der Klingbeil-Konferenz nicht teilnehmen. Aus Sicht des Kanzlers weiß die SPD-geführte Regierung, was sie tut und braucht dafür keine Abstimmungsrunden: Mit allen diplomatischen Mitteln einen Krieg zu verhindern und als vereinter Westen Putin mit der Androhung harter Wirtschaftssanktionen zur Räson zu bringen. Scholz persönlich hat keinen Draht zu Putin – anders als seine Vorgänger Angela Merkel und Schröder. Nur ein einziges Mal telefonierte der Kanzler seit Amtsantritt mit Putin, am 21. Dezember.

Die umstrittene Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2, die die grüne Außenminister Annalena Baerbock als maximales Druckmittel lieber heute als morgen endgültig kappen würde, titulierte Scholz zunächst als privatwirtschaftliches Projekt ohne geopolitische Bedeutung. Erst beim kürzlichen Besuch von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Berlin korrigierte der Kanzler das. Nord Stream liegt nun mit auf dem Sanktionstisch. Ansonsten überlässt Scholz gefühlt dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron die öffentliche Bühne im Ringen mit Putin. Macron telefonierte am Freitag mit dem Kreml-Herrscher. Scholz wird aber am übernächsten Montag US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Washington treffen. Spätestens dann könnte die Kritik am Kanzler leiser werden, er zeige in der Krise zu wenig Präsenz.

Der frühere Außenminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht für Nord Stream 2 bei einer militärischen Aggression Russlands keine Zukunft. „Nord Stream 2 kann nur kommen, wenn es eine friedliche Lösung des aktuellen Konflikts gibt. Ein militärischer Angriff Russlands auf die Ukraine würde dem Projekt den Todesstoß versetzen“, sagte Gabriel unserer Redaktion. 

So apodiktisch sehen das keineswegs alle in der SPD. In ostdeutschen Kreis- und Landesverbänden herrscht historisch bedingt eine größere emotionale Verbundenheit zu Russland. Ein Umstand, auf den Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) in ihrem Einsatz für die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 neben wirtschaftlichen Gründen gerne verweist. Die Pipeline landet in ihrem Bundesland an, was Jobs und Einnahmen verheißt, Putin genießt in MV viele Sympathien.

Der neue SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vertrat Anfang Januar bei Nord Stream ganz eigene Ansichten. Alles in ihm wehre sich dagegen, dass Konflikte herbeigeredet werden, "um Projekte auf diesem Wege beerdigen zu können, die einem schon immer ein Dorn im Auge waren", sagte er mit Blick auf die Grünen. Aber auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey warnt vor „westlicher Überheblichkeit“ gegenüber Moskau: „Viele Menschen, gerade auch im Ostteil des Landes, aber auch im Westen erwarten zurecht, dass die Gesprächskanäle Deutschlands zu Russland genutzt werden und ein friedlicher und diplomatischer Weg aus dieser Krise gefunden wird.“

Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, musste für Klingbeils Konferenz eine Reise nach Washington kurzfristig absagen. Der versierte Außenpolitiker sorgte für Wirbel, als er im Dezember gegenseitige Drohgebärden kritisierte – also auch aus Kiew. Dass Russland eindeutig der Aggressor sei, darüber herrscht in der Bundesregierung allerdings Einigkeit.

Gabriel rät Scholz und der Bundesregierung, ihr Nein zu Rüstungshilfe für Kiew noch einmal zu prüfen. Dazu sollte eine Debatte „ohne Tabus und Denkverbote“ geführt werden. „Denn natürlich hat die Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung und braucht Defensivwaffen, um sich gegen Angriffe verteidigen zu können.“ Zugleich sei die Zurückhaltung Deutschlands bei Waffenlieferungen in Krisengebiete nicht grundlos. „Am Ende schaffen immer mehr Waffen auch keinen Frieden, sondern befeuern vielleicht den Konflikt. Es bleibt eine schwierige Gewissensentscheidung.“ In Gabriels Zeit als Vizekanzler und Wirtschaftsminister hatte Deutschland 2014 Panzer-Abwehrraketen und Sturmgewehre an kurdische Peschmerga-Kämpfer im Irak geliefert, um den Völkermord an den Jesiden durch IS-Terroristen zu stoppen.

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