Wirecard-U-Ausschuss Was wusste die Bundeskanzlerin?

Berlin · Kanzlerin Angela Merkel musste den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen. Es geht um ihr Engagement für die Firma Wirecard bei einer China-Reise im Sommer 2019. Waren Merkel Auffälligkeiten bei Wirecard bewusst?

dpatopbilder - 23.04.2021, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt zum Wirecard-Untersuchungsausschuss. Sie ist als Zeugin geladen, weil sie sich im September 2019 bei einer Reise nach China für Wirecard eingesetzt hat. Der 3. Bundestagsuntersuchungsausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard untersuchen. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

dpatopbilder - 23.04.2021, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt zum Wirecard-Untersuchungsausschuss. Sie ist als Zeugin geladen, weil sie sich im September 2019 bei einer Reise nach China für Wirecard eingesetzt hat. Der 3. Bundestagsuntersuchungsausschuss soll das Verhalten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um den inzwischen insolventen Finanzdienstleister Wirecard untersuchen. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Michael Kappeler

Die Zeugin geht schnellen Schrittes in den Europasaal im Paul-Löbe-Haus. Ihre Tasche steht schon am Platz neben ihrem Namensschild bereit: Dr. Angela Merkel.

Die Bundeskanzlerin ist als Zeugin geladen, weil sie sich im September 2019 bei einer Reise nach China für die Firma Wirecard eingesetzt hatte. Sie hatte bei der Pekinger Führung das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard angesprochen.

Merkel (CDU) verteidigt im Ausschuss ihren Einsatz und betont, die Wirecard AG habe bei der Reise keine Sonderbehandlung bekommen. Es sei aber normal, dass sich die Bundesregierung bis hin zur Kanzlerin bei bilateralen Kontakten für die Interessen der deutschen Wirtschaft einsetze. „Es gab damals allen Presseberichten zum Trotz keinen Anlass, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard auszugehen“, betont die Kanzlerin.

Vor der China-Reise hatte Merkel ein Gespräch mit dem früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) geführt, der als Lobbyist für Wirecard tätig war. Sie könne sich zwar nicht erinnern, dass Guttenberg Wirecard konkret erwähnt habe. Es sei aber richtig, dass sie ihn nach dem Gespräch an ihren Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller verwiesen habe, erklärt Merkel. Warum es den Termin mit zu Guttenberg gegeben habe?

 „Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, Gesprächswünschen ehemaliger Mitglieder meiner Bundesregierung zu entsprechen. Einen inhaltlichen Anlass gab es nicht, jedenfalls aus meiner Sicht nicht.“ Sie fühle sich zwar nicht getäuscht, so weit würde sie nicht gehen. „Aber er war ganz interessensgeleitet da." Und das schätze sie nicht. Auf die Frage, ob die CDU-Politikerin noch Kontakt zu dem CSU-Politiker habe, stockt Merkel kurz, sagt dann kühl: „Er ist momentan erstorben." Merkel antwortet auf die Fragen an diesem Freitag entspannt und konzentriert. In Bedrängnis gerät sie nicht.

Dennoch: Grünen-Obmann Danyal Bayaz ist von alledem nicht sonderlich überzeugt.  Kurz vor Beginn der Sitzung sagte er, Merkel sei zwar  direkt nichts vorzuwerfen, weil sie von ihren Leuten „hereingeritten“ worden sei. Die Kanzlerin habe sich aber nicht mit Ruhm bekleckert.

Linke-Obmann Fabio de Masi  wird scharf. Merkel müsse die Frage beantworten, warum sie beim chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping für Wirecard lobbyiert habe. „Beim mächtigsten Mann Chinas, da lobbyiert man nicht für jede Pommesbude. Man hat auch nicht zehn oder 15 Themen, sondern zwei oder drei.“  Es müsse geklärt werden, warum Merkel das Thema damals so wichtig gewesen sei.

Unabhängig von Wirecard habe die Bundesregierung das Ziel gehabt, dass China seinen Markt öffne, ergänzt Merkel. Deswegen habe sie die Pläne von Wirecard für einen Markteintritt in der Volksrepublik angesprochen - wie auch andere Firmen und nur ganz kurz mit jeweils einem Satz. Wirecard sei aber nicht Teil der Wirtschaftsdelegation gewesen. Die Firma habe daran kein Interesse bekundet. Auch ein angefragter Termin mit dem mittlerweile im Gefängnis sitzenden Ex-Wirecard-Chef Markus Braun sei nicht zustandegekommen - aus Termingründen. Sie sage mehr Termine ab als zu. „Trotzdem ist mein Tag voll“, so Merkel.

Rückblickend stelle sich der Fall natürlich anders dar, sagt die CDU-Politikerin fast entschuldigend. Es gebe aber keinen „hundertprozentigen Schutz gegen kriminelle Energie". Es müsse alles getan werden, damit sich ein solcher Fall nicht wiederhole.

Heftige Kritik an Guttenbergs Verhalten kommt von CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach. „Das beschämt mich“, sagt das Ausschussmitglied. Er könne sich nur für seine Partei entschuldigen, dass Merkel offenbar für dessen Interessen benutzt werden sollte.

Der Grünen-Politiker Bayaz schimpft: „Es sieht ziemlich blöd aus, wenn die Kanzlerin im Ausland für ein Unternehmen wirbt, das tief im kriminellen Sumpf steckt. Das Kanzleramt und ihre Minister haben Merkel schlecht auf ihren China-Besuch vorbereitet. Es fehlte die notwendige Distanz und Sensibilität für Compliance.“

„Die Kanzlerin war sicher nicht bösgläubig, aber es war politisch unvorsichtig, dass sie sich für das Unternehmen in China eingesetzt hat“, resümiert der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Die Abgeordneten gehen davon aus, dass Wirecard dadurch Kritiker beruhigen konnte - und dass der Bilanzskandal ohne den Einsatz der Kanzlerin vielleicht früher aufgedeckt worden wäre.

Wirecard hatte im vergangenen Sommer eingestanden, dass 1,9 Milliarden Euro aus der Bilanz nicht auffindbar sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das inzwischen insolvente Unternehmen seine Bilanzen mindestens seit 2015 fälschte. Durch die Pleite entstand nach Rechnung der Union ein wirtschaftlicher Schaden von rund 22 Milliarden Euro - viele Kleinanleger verloren Geld.

Ursprünglich sollte Merkel die letzte Zeugin des Untersuchungsausschusses sein, der Höhepunkt zum Schluss. Doch die Abgeordneten haben noch weiteren Fragebedarf und sich den früheren Anwalt von Wirecard eingeladen. In der unglaublichen Geschichte des Skandalunternehmens ist Merkel, so der Eindruck am Freitag, nicht der entscheidende Hebel.

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