Münchner Sicherheitskonferenz im Zeichen des Ukraine-Russland-Konfliktes Auge in Auge mit dem Kreml

Hat Wladimir Putin geblufft, waren die vorsichtigen Signale der Entspannung nur gespielt? Zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz ist die Angst vor einem Krieg in Europa spürbar. Außenministerin Annalena Baerbock: „Das ist keine Ukraine-Krise, es ist eine Russland-Krise.“

 US-Außenminister Antony Blinken spricht auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit Außenministerin Annalena Baerbock.

US-Außenminister Antony Blinken spricht auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit Außenministerin Annalena Baerbock.

Foto: AP/Michael Probst

Was soll das? 5000 Helme. „Vielen Dank“, sagt Vitali Klitschko. Annalena Baerbock ahnt, wie der Bürgermeister von Kiew diesen Dank für die Lieferung aus Deutschland gemeint hat. Die Krise in Donezk und Luhansk ist hier in München gut 2000 Kilometer Luftlinie entfernt. Von Donezk ist es nicht mehr weit nach Russland. Außenministerin Baerbock und US-Amtskollege Antony Blinken sitzen im Ballsaal des Bayerischen Hofs in München, Auftakt zur 58. Sicherheitskonferenz. Und auch sie haben es nicht mehr weit zur Krise . Sie sind thematisch ganz nah und doch weit weg von jener Kontaktlinie, an der im Donbass die Kämpfe wieder an Schärfe zugenommen haben. Vor allem aber hätten sie in dieser Nachmittagsstunde gerne noch einen Amtskollegen neben sich auf der Bühne: Sergej Lawrow, Außenminister der Russischen Föderation. Doch Lawrow, sonst Stammgast in München, hat abgesagt.

Die deutsche Außenministerin und ihr US-Amtskollege kennen zu diesem Zeitpunkt die Berichte über eine zusätzliche russische Truppenmassierung an der ukrainischen Grenze. Sie wissen auch von Szenarien der Geheimdienste, wonach Russland beispielsweise nach einem fingierten Drohnenangriff auf Zivilisten, den Angriff gegen die Ukraine lostreten können. Blinkens Chef, US-Präsident Joe Biden, hat Verbündete in Europa und der Nato – wie schon vor einer Woche – zur Krisenschalte gebeten, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz und der britische Premierminister Boris Johnson, die beide gleichfalls in München erwartet werden. Die Regierung in London rechnet nach einem „Times“-Bericht damit, dass ein russischer Angriff auf die Ukraine unmittelbar bevorstehe. Scholz bezeichnet die Lage als „sehr ernst“ und fügt hinzu: „Wir dürfen niemals naiv sein.“

Baerbock macht in München noch einmal deutlich, dass ein russischer Angriff auf die Ukraine massive Konsequenzen für Russland haben würde: finanziell, politisch, wirtschaftlich. Für sie selbst lägen alle Optionen auf dem Tisch, „auch Nord Stream 2“, sagt die Grünen-Politikerin, die ohnehin keine Anhängerin der umstrittenen Gaspipeline ist. Doch die deutsche Außenministerin reicht auch die Hand. „Wir sind bereit zu einem ernsthaften Dialog über Sicherheit und Frieden in Europa. Das ist in unser aller Interesse.“ Schade nur, dass kein russischer Vertreter von politischem Rang und Amt im Saal ist, mit dem Baerbock und Blinken nun über die Chancen von Frieden reden könnten. Gerade in dieser „extrem bedrohlichen Lage“, wäre es wichtig gewesen, Vertreter Russlands in München zu treffen. Doch die Russische Föderation glänzt beim weltweit größten Treffen seiner Art durch Abwesenheit.

 Aber sie wollen nichts unversucht lassen, einen drohenden Krieg doch noch abzuwenden. Baerbock beruft in München die G7-Außenminister zu einem Treffen ein und betont: „Jeder Schritt in Richtung Frieden ist mühsam. Wir ringen um jeden Millimeter. Aber jeder Millimeter ist besser als keine Bewegung.“ Die deutsche Außenministerin macht in ihrer Rede deutlich, dass Russland mit seinem Truppenaufmarsch „eine absolut inakzeptable Drohung“ ausspreche – gegenüber der Ukraine wie auch „gegenüber uns allen – und unserer Friedensarchitektur in Europa“. Deswegen: „Diese Krise ist deswegen keine Ukraine-Krise. Sie ist eine Russland-Krise.“ Beifall im Saal. Baerbock will Taten nach Russlands Signalen für eine Deeskalation sehen: „Denn die russische Drohung ist weiterhin real.“

 Konferenzleiter Ischinger spürt, dass diese 58. Sicherheitskonferenz „vermutlich das wichtigste Treffen in 14 Jahren“ werden könnte, in denen er die Veranstaltung leitet. Es gehe darum, einen Krieg in Europa zu verhindern. Ischingers Appell: „Also gehen wir an die Arbeit.“ Baerbock ist schon mittendrin. Sie spricht Lawrow wie auch Kreml-Chef Wladimir Putin direkt an, auch wenn beide nicht im Raum sind. Womöglich stehe ein Verhandlungsmarathon bevor – auch mit möglichen Rückschlägen und Fouls.

 Blinken übernimmt den Staffelstab: „Ich mache genau da weiter, wo Annalena aufgehört hat, denn wir haben die gleiche Sichtweise.“ Blinken verweist auf die Entwicklung der vergangenen 48 Stunden und spricht von „falschen Provokationen, die geschaffen werden“. Obwohl Russland sage, dass es Truppen von der Grenze abgezogen habe, sei dies in Wahrheit nicht passiert. Im Gegenteil: Russland habe zusätzlich weitere Truppen an der Grenze zur Ukraine gesammelt. Blinken: „Wir machen uns sehr große Sorgen.“ Und er lobt Baerbock, die weiter Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt. „Annalena hat mit sehr großer moralischer Stärke gesprochen.“ Dies sei mehr wert als Waffen.

 Im Saal ist Vitali Klitschko aufgestanden. Der Bürgermeister von Kiew wendet sich an Baerbock. „Wir sind bereit, zu kämpfen“, sagt der frühere Berufsboxer, der weiß, wie Kämpfen geht. „Wir sind bereit, unsere Familien zu verteidigen, unsere Städte, unsere Menschen. Vielen Dank für die 5000 Helme, aber das ist nicht genug.“ Baerbock sagt zu, sie wolle die ukrainische Wunschliste nun prüfen. Die Ukraine dürfe nicht ausbluten, von innen destabilisiert werden. Deswegen sei finanzielle Unterstützung für die Ukraine mindestens so wichtig wie die Lieferung von Waffen. Klitschko hört, was Baerbock sagt. Zufrieden ist er damit nicht.

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