Lauterbach unter Druck Der gebeutelte Mahner

Berlin/Brüssel · Der Bundesgesundheitsminister startete mit viel Vorschusslorbeeren ins Amt. Doch in den vergangenen Tagen musste er eine Niederlage nach der anderen einstecken. Wie will Karl Lauterbach das Land jetzt auf den Corona-Herbst vorbereiten?

08.04.2022, Berlin: Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, nimmt an einer Pressekonferenz zur weiteren Entwicklung der Corona-Lage teil. Foto: Carsten Koall/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

08.04.2022, Berlin: Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, nimmt an einer Pressekonferenz zur weiteren Entwicklung der Corona-Lage teil. Foto: Carsten Koall/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Carsten Koall

Karl Lauterbach stand schon immer in der Kritik. Früher für sein professorales Auftreten mit Fliege, dann in der Pandemie bei Impf- und Lockdowngegnern für seine Mahnungen als vermeintliche Corona-Kassandra. Und doch erarbeitete der SPD-Politiker sich zur selben Zeit mit seinen oftmals richtigen Vorhersagen auch Respekt und Anerkennung in der Bevölkerung. So viel, dass es eine regelrechte Kampagne in den sozialen Netzwerken gab, die ihn ins Amt des Bundesgesundheitsministers trug. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Dezember vergangenen Jahres eigentlich keine andere Wahl, als den polarisierenden Mediziner ins Amt zu heben.

Lauterbach startete mit zupackenden Maßnahmen wie einer Impfstoff-Inventur, er drückte aufs Tempo, beeindruckte innerhalb und außerhalb seines Ministeriums mit Fachwissen. Doch nun musste der 59-Jährige innerhalb nur einer Woche eine ganze Reihe an Niederlagen verkraften, die er teils selbst provoziert hatte: Seinen ursprünglichen Plan einer freiwilligen Isolation für Infizierte musste er nach massivem Druck zurücknehmen und einen Fehler eingestehen. Der Krach zwischen seinem Ministerium und den Ländern ist nun groß, die Union kostete seine Kehrtwende genüsslich aus. Nur zwei Tage später scheiterte die von ihm beworbene allgemeine Impfpflicht nach monatelangem Ringen und einer spektakulären Bundestagsdebatte. Und nun scheint Lauterbach auch in Brüssel vom Pech verfolgt.

In der Vorwoche hatte er seine Kollegen im EU-Gesundheitsministerrat noch für seine Idee gewinnen können, eine europaweite Empfehlung für eine vierte Impfung für alle Über-60-Jährigen auszusprechen. Lauterbach argumentierte mit frischen Studienzahlen aus Israel, wonach der Anteil tödlicher Verläufe einer Infektion nach dem zweiten Booster um 80 Prozent zurückgehe. Nach intensiven Vorgesprächen und einem Plädoyer im Ministertreffen bekam er das gewünschte Votum: Die Gesundheitsminister forderten die EU-Kommission auf, „binnen sieben Tagen“ eine einheitliche Haltung der EU-Staaten zur Frage einer solchen Impfempfehlung vorzubereiten. Teil der Entscheidung war, die europäische Medikamentenbehörde EMA und die EU-Gesundheitsbehörde ECDC natürlich vorab mit einzuschalten. Die kamen nun aber einvernehmlich zu der Einschätzung, dass eine solche Empfehlung derzeit nicht ratsam sei. „Für Erwachsene ab 60 Jahren mit einem normalen Immunsystem gibt es zur Zeit keine schlüssigen Beweise, dass der Impfschutz gegen eine schwere Erkrankung abnimmt und dass eine vierte Dosis einen Mehrwert hat“, urteilten die EU-Mediziner.

Lauterbach hatte den Umweg über die EU gewählt, weil auch in Deutschland die Ständige Impfkommission derzeit nur Zweitbooster ab 70 empfiehlt. Die Sorge um die ständig hohen Todeszahlen älterer Infizierter hatten ihn bewogen, schnellstmöglich eine Ausweitung der Empfehlung zu erreichen. Aber auch dieses Unterfangen scheiterte zunächst.

Lauterbach spürt die Serie an Niederlagen mittlerweile auch in den Umfragen. Seine Zufriedenheitswerte sanken im jüngsten ARD-„Deutschlandtrend“ um neun Punkte auf 50 Prozent. Doch der SPD-Politiker ist Gegenwind gewohnt.

Und so gab er sich an diesem Freitag bei einem Auftritt vor Hauptstadtjournalisten betont kämpferisch – und stimmte die Menschen auf einen schwierigen Herbst und Winter ein. „Das, was wir an Lockerungen machen konnten, haben wir verbraucht“, sagte er in Berlin. Für weitere Schritte gebe es „keinen Spielraum“, sagte der Minister und warnte zudem vor einer Infektionswelle im Sommer.

Doch die eigentliche Gefahr für eine Überlastung des Gesundheitssystems sehen Experten erst für den Herbst und Winter voraus. Dann nämlich, wenn die Immunlücke bei zu vielen über 60-Jährigen dazu führt, dass sich schwere Erkrankungen häufen und die Krankenhäuser voll laufen. Doch Lauterbach sieht keine Chance mehr für eine Impfpflicht vor dem Herbst. Und so will er Deutschland mit den aktuellen Regelungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes vorbereiten. Damit werde das Land zudem „im Herbst mit Sicherheit nicht über die Runden kommen“, sagte er – und kündigte den Rückgriff auf bereits bekannte Maßnahmen an. Es werde beispielsweise „mit großer Wahrscheinlichkeit“ nicht ohne die Wiedereinführung einer Maskenpflicht in vielen Bereichen gehen. Deshalb müsse das Gesetz noch einmal geändert werden, sagte Lauterbach. Kritik an der Koalitionspartnerin FDP, deren Fraktion im Parlament nahezu geschlossen gegen die Impfpflicht gestimmt hatte, verkniff Lauterbach sich am Freitag. Sagte aber: Wäre die Impfpflicht beschlossen worden, seien vermutlich „mehr Freiheiten im Infektionsschutzgesetz“ möglich gewesen.

Und für die Osterferien bat er darum, sich vor einer Reise testen zu lassen, damit es nicht zur Unterbrechung dieser Entwicklung komme. Ob er damit noch ausreichend Gehör findet, werden die Wochen nach Ostern zeigen.

(jd/may-/dpa)
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