Landtagswahl Schleswig-Holstein Kaum Rückwind aus Berlin für den hohen Norden

Analyse | Berlin · Die Regierungspolitik der Berliner Ampel-Koalition gereichte SPD und FDP in Schleswig-Holstein nicht zum Vorteil – beide Parteien erlitten der Landtagswahl deutliche Einbußen. Allein die Grünen legen zu und können ihr bestes Ergebnis in der Geschichte des Landes feiern. Die Wahlverlierer regieren trotzig – oder richten den Blick schnell nach Nordrhein-Westfalen.

 08.05.2022, Schleswig-Holstein, Kiel: Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Spitzenkandidat seiner Partei, kommt nach Bekanntgaben der ersten Prognosen zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein zur Wahlparty. Foto: Christian Charisius/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

08.05.2022, Schleswig-Holstein, Kiel: Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein und Spitzenkandidat seiner Partei, kommt nach Bekanntgaben der ersten Prognosen zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein zur Wahlparty. Foto: Christian Charisius/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Christian Charisius

Seit die Ampel-Koalition im Bund das Neun-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr beschlossen hat, stellt Schleswig-Holstein sich auf den großen Ansturm ein. Die Ampel hatte das ab 1. Juni geltende Ticket als Entlastung für drastisch gestiegene Energie- und Spritpreise angedacht. Doch Bewohner auf der Nordsee-Insel Sylt und Pendler im Norden rechnen nicht mit entlastenden Sommermonaten, sondern mit einer Flut von Touristen und überfüllten Zügen. Landesverkehrsminister und FDP-Spitzenkandidat Bernd Buchholz hat bereits zusätzliche Züge für die Marschbahn zwischen Westerland auf Sylt und Elmshorn im Süden bestellt, wie er wenige Tage vor Landtagswahl sagte. Es ist symptomatisch für die Lage der Ampel-Parteien in Schleswig-Holstein, allen voran für SPD und FDP: Die Regierungspolitik im Bund gab ihnen keinen Rückenwind für die Landtagswahl. Allein die Grünen stellen hier eine Ausnahme dar.

Im Vergleich zur zurückliegenden Landtagswahl 2017 konnten die Grünen ihr Ergebnis mit 17 Prozent um immerhin gut vier Prozentpunkte verbessern (alle Ergebnisse laut vorläufiger Wahlprognose) und damit ihr bestes Ergebnis in der Geschichte des Landes erzielen. Die Kanzlerpartei SPD sackte hingegen drastisch ab auf 15,5 Prozent (2017: 27,3) – ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Schleswig-Holstein. Die FDP kam auf nur noch sieben Prozent (2017: 11,5). Als eindeutiger Sieger aber geht die CDU mit 43 Prozent aus der Wahl hervor. Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) zog mit sechs Prozent in den Landtag ein (2017: 3,3). Die AfD verpasste den Einzug hingegen knapp mit 4,9 Prozent (2017: 5,9).

In der Hoffnung, das bundespolitische Gewicht doch noch in Waagschale zu werfen, tourten die Berliner Ampel-Spitzen zum Wahlkampf-Endspurt zahlreich in den Norden. Noch am Freitag stand Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen mit SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller in der Landeshauptstadt Kiel auf der Bühne, auch SPD-Chef Lars Klingbeil war dabei. Für die Grünen-Spitzenkandidatinnen Monika Heinold und Aminata Touré warb der grüne Vizekanzler und frühere Vizeministerpräsident des Landes, Robert Habeck, am Freitag in Neumünster. FDP-Spitzenmann Buchholz bekam am Samstag in Kiel und Lübeck Unterstützung von Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Das prominente Schaulaufen zeigt, welche Bedeutung dieser Landtagswahl in Berlin beigemessen wird. Seit Beginn dieser Legislaturperiode ist es der zweite Stimmungstest für die Ampel-Koalition nach der Saarland-Wahl Ende März. Und es ist der letzte Gradmesser vor der sogenannten „kleinen Bundestagswahl“ im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen in nur einer Woche.

Der alte und mutmaßlich neue Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) stellte sie alle mit seiner großen Popularität in den Schatten. Bereits im Vorfeld der Wahl hatte sich abgezeichnet, dass der Amtsinhaber sich aussuchen können wird, mit wem er künftig regiert. Die Grünen wollten sich eine weitere Regierungsbeteiligung unter CDU-Führung jedenfalls nicht verbauen, auch wenn laut Vorwahl-Umfrage eine Ampel-Koalition rechnerisch möglich gewesen wäre. Einen klaren Wahlsieg von Günther werde man nicht ignorieren, war zu hören.

Vizekanzler Habeck sprach am Wahlabend von einem „sehr sehr starken grünen Ergebnis“. Und indirekt legte er Günther ans Herzen, die Regierungsarbeit im Zweierbündnis mit den Grünen fortzusetzen. Günther werde wissen, „wem er das Ergebnis zu verdanken hat“, sagte Habeck in der ARD. Konservative und moderne Kräfte hätten in Schleswig-Holstein gut zusammengearbeitet, so Habeck mit Blick auf das bisherige Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP. „Das Land entwickelt sich in Richtung Progressivität.“

Aus der FDP waren am Wahlabend hingegen trotzige Töne zu hören. Es bedürfe keines Angebots an die CDU, sagte der FDP-Vizevorsitzende und frühere schleswig-holsteinische Landesparteichef, Wolfgang Kubicki, unserer Redaktion. „CDU und FDP wollten die erfolgreiche Regierung unter Ministerpräsident Daniel Günther fortsetzen, die Grünen wollten das ausdrücklich nicht“, sagte Kubicki mit Blick auf eine mögliche Jamaika-Fortführung. Deshalb hätten die Grünen unter Umständen ihr Wahlziel erreicht – „allerdings anders als gedacht“, so der FDP-Vize. Kubicki gab sich zuversichtlich, dass es am Ende auf Schwarz-Geld hinausläuft.

 08.05.2022, Schleswig-Holstein, Kiel: Thomas Losse-Müller, Spitzenkandidat der SPD, gibt nach der Bekanntgabe der ersten Prognosen zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein ein Statement im Landeshaus. Foto: Markus Scholz/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

08.05.2022, Schleswig-Holstein, Kiel: Thomas Losse-Müller, Spitzenkandidat der SPD, gibt nach der Bekanntgabe der ersten Prognosen zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein ein Statement im Landeshaus. Foto: Markus Scholz/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Markus Scholz

Die SPD wird sich hingegen weiterhin auf Oppositionsarbeit im hohen Norden einstellen müssen. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert räumte am Sonntagabend in der ARD ein, dass es „kein schöner Abend“ sei, um unmittelbar daran anzuschließen: „Jetzt geht der Blick nach vorne nach Nordrhein-Westfalen.“ Anders als in Schleswig-Holstein gebe es dort keinen eindeutigen Favoriten, sondern ein Kopf-an-Kopf-Rennen, sagte Kühnert. Und doch lässt sich nicht verhehlen, dass die SPD in Schleswig-Holstein nicht davon profitieren konnte, dass sie den Bundeskanzler stellt. Rückenwind aus Berlin für den Norden gab es nicht.

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