Macrons EU-Vorhaben Bekommen die Europäer ein Grundrecht auf Abtreibung?

Straßburg · Ein Staatsmann, der sich als neuer EU-Ratspräsident für seine energischen Vorhaben von Europa feiern lässt und damit zu seiner eigenen Wiederwahl als französischer Präsident tatkräftig beiträgt. So mag es sich Emmanuel Macron für den Mittwoch im Europaparlament ausgemalt haben. Es kam anders.

 Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch in Straßburg.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch in Straßburg.

Foto: AP/Bertrand Guay

Es war ein Katalog mit vielen Seiten, den Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an diesem Mittwoch vor den EU-Parlamentariern aufblätterte, um die Vorhaben für die EU-Vorhaben unter seiner Ratspräsidentschaft in den ersten sechs Monaten 2022 zu präsentieren. Dass er auch in der Ukraine-Krise eine stärkere Mitsprache Europas und ein Stabilitäts- und Sicherheitsystem einforderte, einen stärkeren Akzent auf die Partnerschaft mit dem Nachbarkontinent Afrika legte und zusammen mit Deutschland das Europäische Parlament mit einem Initiativrecht aufwerten will, gehörte zu den erwartbaren Vorhaben. Überraschung bot er, als er nicht nur allgemein die Europäer von den Werten der EU überzeugen wollte, sondern den Rechtsstaat konkreter fasste: Europäer sollen das Grundrecht auf Abtreibung bekommen.

Es gelte, die Werte der Europäer zu stärken, die die Grundlage für „unsere Einheit, unseren Stolz und unsere Stärke“ seien, meinte Macron. Deshalb wolle er sich auch für eine Überarbeitung der Europäischen Grundrechtscharta einsetzen. Deren Garantien kann jeder EU-Bürger vor Gericht einklagen. „Ich möchte, dass wir diese Charta aktualisieren, um expliziter auf den Schutz der Umwelt und die Anerkennung des Rechts auf Abtreibung einzugehen“, erläuterte Macron. Zuvor hatte er bereits unterstrichen, dass jeder Europäer das Recht habe, vor ein unabhängiges Gericht zu treten, und damit die Entschlossenheit der Präsidentschaft deutlich gemacht, die Kommission zu unterstützen, wenn sie nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gegen Polen vorgeht.

Aufhorchen ließ auch sein Eintreten für eine Frauenquote in Unternehmensvorständen und seine Ankündigung, starke Schritte zur Verringerung der Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen zu unternehmen. Er verwies dabei auf die neue Regierung in Deutschland, mit der er hoffe, die Vorgaben für mehr Frauen in wichtigen Positionen beschleunigen zu können.

Daneben sah Macron die zügige Digitalisierung Europas und ein konsequentes Vorgehen gegen Hass im Netz als vorrangige Herausforderungen. Die nächste Stufe stehe ja auch im Parlament unmittelbar bevor. Damit spielte er auf das Digitale-Dienste-Gesetz an, über das die Europa-Parlamentarier an diesem Donnerstag abstimmen. Sie wollen damit Plattform-Betreiber stärker in die Pflicht nehmen und strenger regulieren, was sich Nutzer von Amazon, Google, Facebook und anderen Netz-Giganten an Werbung gefallen lassen müssen.

Die französische Ratspräsidentschaft fällt zusammen mit dem Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich. Deshalb entwickelte sich der Straßburger Plenarsaal beim Auftritt des Wahlkämpfers Macron auch in eine Kampagnen-Arena. Bereits der Fraktionschef der christlich-konservativen EVP-Fraktion, CSU-Vize Manfred Weber, ging Macron frontal an. Das ganze Reden reiche nicht mehr, es müsse nun endlich gehandelt werden. Weber erinnerte an die Artikel-7-Verfahren gegen Polen und Ungarn, nach denen das Parlament die Staats- und Regierungschefs aufforderte, eine schwerwiegende Verletzung der Rechtsstaatlichkeit festzustellen. Der Rat habe dies jedoch „nicht mal auf die Tagesordnung“ gesetzt. „Nichts geschieht“, klagte Weber. Und er verwies süffisant darauf, dass neben Ursula von der Leyen an der Spitze der Kommission und Roberta Metzola an der Spitze des Parlamentes als Ergebnis der Wahlen in Frankreich im April eine Frau auch die Präsidentschaft des Rates übernehmen könne. In Frankreich bekommt es der liberale Kandidat Macron auch mit der republikanischen Kandidatin Valérie Pécresse zu tun.

Ähnlich argumentierte die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratce Garcia Pérez. „Ihre Präsidentschaft wird nicht wegen großer Reden in die Geschichte eingehen“, hielt sie Macron vor. Er müsse vielmehr praktisch dafür sorgen, dass die Richtlinie zur Antidiskriminierung in Brüssel aus der Sackgasse herausgeholt werde. Yannick Jadot von den französischen Grünen warf Macron vor, lediglich „schöne Reden“ zu halten. Tatsächlich „töte“ er das Klima und werde durch „klimapolitisches Nichthandeln“ in die Geschichte eingehen. Die Intervention löste Entrüstung im Parlament aus. Mehrere Rednerinnen verlangten, den Plenarsaal des Europaparlamentes nicht in die französische Nationalversammlung zu verwandeln.

Macron unterstrich in seiner 38-minütigen Erwiderung auf die Vorwürfe des Parlamentes selbst ebenfalls, dass die Debatte über die Vorhaben Europas nicht der Auftakt für den Wahlkampf in Frankreich sein solle. Doch genau so entwickelte sich die Sitzung, in der Macron stärkere Kontrollen an den europäischen Außengrenzen verlangte und seinen Gegnern vorhielt, „viel Unsinn“ gesagt zu haben. Ob ihm die Schützenhilfe von den Nationalkonservativen jedoch Recht war, dürfte eher fraglich sein. Der AfD-Abgeordnete Jörg Meuthen begrüßte den Kurs von Macron jedenfalls „außerordentlich, sich zur modernen Kernenergie zu bekennen“.

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