Neue EU-Pläne Der Landwirt als Klima-Farmer

Brüssel · Bis zur Mitte des Jahrhunderts will die Europäische Union klimaneutral sein. Im Fokus stand dabei bislang vor allem die Einsparung von CO2. Wie daneben Treibhausgas auch wieder aus der Atmosphäre herausgesaugt werden kann, darüber haben in Brüssel die Agrarminister die Beratungen gestartet.

 Humus als CO2-Speicher bleibt durch Zwischenfrüchte wie Büschelschön auf diesem Feld nahe Wörlitz besser erhalten.

Humus als CO2-Speicher bleibt durch Zwischenfrüchte wie Büschelschön auf diesem Feld nahe Wörlitz besser erhalten.

Foto: dpa/Jan Woitas

Die gemeinsame Agrarpolitik gehörte zu den Anfängen europäischen Handelns und sie steht weiterhin im Mittelpunkt des EU-Haushaltes. Dabei ist der Klimaschutz bislang wenig beachtet: Die Tierhaltung ist weltweit verantwortlich für ein Fünftel des CO2-Ausstoßes. Nun will die EU das umdrehen. Auf dem Tisch des Agrarministerrates lag an diesem Montag ein ambitioniertes Programm, mit dem die Produktion von CO2 nicht nur reduziert werden soll, sondern die Landwirtschaft sogar CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir sprach in Brüssel vor der Sitzung mit den EU-Amtskollegen von einer „Riesenchance“.

„Dass die EU-Kommission die nachhaltigen Kohlenstoff-Kreisläufe in den Blick nimmt, ist eine Chance für unsere Landwirte als verlässliche Einkommenssäule und kann zur Bekämpfung der Klimakreise beitragen“, sagte Özdemir unserer Redaktion. Die Vorschläge der Kommission müssten natürlich eingehend geprüft werden - „übrigens auch von den Umweltministerinnen und -ministern“. Denn hier gehe es um „enge thematische Verknüpfungen, die wir gemeinsam denken müssen“, erläuterte der Grünen-Politiker.

Frankreichs Agrarminister Julien Denormandie stellte das Projekt des „Carbon Farming“ am Montag an prominenter Stelle vor, als er die Arbeitsschwerpunkte der französischen Ratspräsidentschaft für die erste Hälfte des Jahres 2022 den Ministerkollegen erläuterte. Die nun gestarteten Beratungen sollen bis Ende des Jahres in einen EU-Rechtsrahmen münden, mit dem eine Zertifizierung der Kohlenstoffspeicherung und CO2-Bindung eingeführt wird. Auf der einen Seite geht es um weniger Treibhausgasemissionen, etwa durch verstärkten Schutz von Moorböden. Auf der anderen Seite um das Entziehen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre, etwa durch Aufforstungen oder den Aufbau von Humus.

Das Programm setzt an dem ganz einfachen Natur-Mechanismus an, wonach jede Pflanze CO2 aufnimmt, ihn in seine Bestandteile aufbricht und den Kohlenstoff in den Blättern und Wurzeln speichert. Verschiedene Kulturen sind besonders gut dazu geeignet, größere Mengen Kohlenstoff im Boden zu speichern. Das EU-Förderprinzip soll darauf beruhen, den Kohlenstoffgehalt des Bodens zu Beginn einer Maßnahme zu ermitteln und ihn mit Vergleichsproben in bestimmten Zeitabständen zu vergleichen. Die Landwirtschaft könnte so Teil eines Zertifikatehandels werden und zusätzliche Einnahmequelle sowohl aus der EU-Förderung als auch dem Handel erschließen.

Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV) verweist zwar darauf, dass die Erzeugung von sicheren und hochwertigen Lebensmitteln die vorrangige Aufgabe der Landwirtschaft sei. „Die Bindung von Kohlenstoff kann aber als zusätzliche Klimaschutzleistung erbracht werden“, sagte er unserer Redaktion. Die Landwirtschaft sei bereit, ihren Beitrag zur CO2-Neitralität zu leisten. „Diese Klima-Dienstleistung muss jedoch zwingend als solche anerkannt und entsprechend honoriert werden“, forderte der DBV-Generalsekretär.

Er verwies zudem darauf, dass eine Beschränkung auf die Agrarpolitik dem Potenzial von Carbon Farming nicht gerecht werde und eine breitflächige Umsetzung ausbremse. „Die Klimaleistung muss durch zusätzliche Mittel beispielsweise aus dem Emissionshandel finanziert werden“, so Krüsken. Nötig sei ein wissenschaftlich abgesicherter und verlässlicher EU-weiter Rahmen, sodass private Anbieter gemeinsam mit der Landwirtschaft die nachhaltige Kohlenstoffbindung vorantreiben könnten.

Die Zeitplanung der EU-Kommission für die Zertifizierung auf diesem Feld umfasst das gesamte Jahr und umfasst neben Folgenabschätzungen auch öffentliche Beteiligungen. Schwerpunktsetzungen in Deutschland werden die Landwirte aber schon vorher aus dem Strategieplan ablesen können, den die Bundesregierung eigentlich schon zur Jahreswende in Brüssel hätte vorlegen sollen. „Wir haben eine neue Regierung, da bitte ich um Verständnis“, sagte Özdemir zur Erklärung bei der Ankunft im Ministerratsgebäude in Brüssel. Er habe der EU-Kommission bereits mitgeteilt, dass er den Plan so bald wie möglich einreichen werde, erklärte Özdemir, ohne sich auf eine Zeitvorgabe festzulegen. „Wir sind dran“, versicherte er.

Bislang haben offenbar erst 19 von 27 EU-Mitgliedern die Vorstellungen für eine Neuverteilung der Agrarmittel vorgelegt. Sie sind Teil eines Kompromisses der Staats- und Regierungschefs vom vergangenen Jahr, wonach die europäische Agrarpolitik neu gestaltet und dabei die umweltfreundlichere Produktion von Lebensmitteln mehr Gewicht erhalten soll. Die Anreize sind spürbar: Deutschen Landwirten steht jährlich insgesamt rund eine Milliarde aus Brüssel zur Verfügung.

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