Neue Reiseregeln ab Dienstag Bei Corona zielt die EU nun auf jeden Einzelnen

Es ist der bislang größte Schwenk, den die EU-Staaten im Kampf gegen Corona seit Ausbruch der Pandemie vollziehen. Sie orientieren sich nicht mehr primär an den regionalen Inzidenzen, sondern daran, wer geimpft, genesen oder getestet ist. Aber Omikron hat gleich ein neues Problem geschaffen.

Zertifikat-Prüfung in einem Restaurant in Bad Homburg.

Zertifikat-Prüfung in einem Restaurant in Bad Homburg.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Freie Fahrt für geimpfte Bürger? Der EU-weit anerkannte Freibrief per Impfzertifikat muss von diesem Dienstag an vor jedem Reiseantritt mit besonderer Sorgfalt überprüft werden. Schien das Ende der Gültigkeit nach der vollständigen Impfung im vergangenen Jahr ganz weit entfernt zu sein, wird es für alle bis Mai doppelt Geimpften bereits knapp: Alle Zertifikate gelten nun nicht mehr zwölf, sondern nur noch neun Monate. Das hatten die Regierungschefs im Dezember im Grundsatz beschlossen und das wurde vergangene Woche vom Allgemeinen Rat umgesetzt. Zeitpunkt: Diesen Dienstag, 1. Februar.

Seit dem letzten Pieks zur vollständigen Impfung müssen nun mindestens 14 Tage und dürfen höchstens 270 Tage vergangen sein. Die Faustformel von neun Monaten gilt also mit der Einschränkung, genauer hinzuschauen. Denn im Einzelfall können das auch nur acht Monate und drei Wochen sein. Wie lange die vielen inzwischen geboosterten Europäer noch über ein gültiges Impfzertifikat verfügen, ist noch nicht entschieden. Aus technischen Gründen ist hier derzeit in den einschlägigen Apps noch ein Ablauf nach zwölf Monaten vorgesehen. Das steht aber unter Vorbehalt. Die Kommission wartet auf aussagekräftige wissenschaftliche Einschätzungen über die zeitlichen Wirkungen der üblichen Booster-Impfstoffe, um auch hier einen neuen Fristablauf scharf zu stellen.

Ungeimpfte dürfen ebenfalls ins europäische Ausland reisen - wenn sie per Antigen- oder PCR-Test nachweisen können, dass sie nicht infiziert sind. Beim Zeitpunkt der Einreise darf der eine aber höchstens 24, der andere höchstens 72 Stunden alt sein. Ausnahmen gelten für Beschäftigte im Verkehrssektor, Patienten, die aus zwingenden medizinischen Gründen reisen müssen, Seeleute, Pendler und Familienbesucher im grenznahen Bereich sowie alle Kinder unter zwölf Jahren. EU-einheitliche Fristen gelten ebenfalls für Genesene. Danach darf laut Genesungszertifikat der Zeitpunkt des ersten positiven Test-Ergebnisses nicht mehr als 180 Tage zurückliegen.

Wer diese Vorgaben nicht erfüllt, kann in den einzelnen Mitgliedsländern mit besonderen Pflichten belegt werden. Dazu gehören weitere Testnachweise und Quarantäne-Auflagen. Ähnliches gilt für Reisende aus Risikogebieten außerhalb der Europäischen Union. Zudem verändern die EU-Länder ständig die innerstaatlichen Auflagen für die Hygienevoraussetzungen in den Bussen, Bahnen und Fußgängerzonen, für Kultur- und Sportveranstaltungen, für Familienfeiern und Restaurantbesuche. Reisenden wird also empfohlen, die aktuellen Vorgaben zu erkunden.

Die neuen EU-Regelungen folgen einer grundsätzlichen Umkehr bei den pandemiebedingten Einschränktungen der Freizügigkeit. Seit Beginn der Pandemie hatten sie ihre Reaktionen an den Herkunftsregionen der Reisenden ausgerichtet und diese in grüne und rote Zonen mit weiteren Modifikationen für Gebiete mit verstärktem Auftreten von Virusvarianten aufgeteilt. Inzwischen ist nach Überzeugung von Kommission und Rat die Impfquote und die Verfügbarkeit einheitlicher Impfzertifikate so groß, dass Reisebeschränkungen allein am Impfstatus des individuellen Reisenden festgemacht werden können. Die Mitgliedsstaaten versprechen sich davon auch einen zusätzlichen Anreiz zum Boostern. In den meisten Mitgliedsländern wird die Auffrischungsimpfung inzwischen nach drei Monaten empfohlen.

Zwei Hintertüren sind in die EU-Verordnung eingebaut: Jeder Staat kann eine Notbremse ziehen, wenn in einzelnen Regionen neue Varianten auftauchen, die besondere Auswirkungen auf die Entwicklung der Infektionslage und die Belastungen des Gesundheitssystems haben. Die Mitgliedsstaaten sind gehalten, 48 Stunden vorher anzuzeigen, wenn sie deswegen aus den gemeinsamen EU-Reiseregeln aussteigen wollen.

Für eine zweite Möglichkeit, die Reisefreiheit für Geimpfte, Genesene und Getestete doch wieder einzuschränken, hat die EU eine Ampel eingeführt, in die verschiedene Zahlen aus jeder Region eingerechnet und nach einer vorgegebenen Formel gewichtet werden. Sie nimmt Abstand von der Fixierung auf die Inzidenzen, weil diese nur einen kleinen Anteil an der Ampelfarbe haben sollen. Obendrein richten sich die Inzidenzwerte nicht an den zurückliegenden sieben, sondern an den vorangegangenen 14-Tage-Meldungen je 100.000 Einwohnern aus. Hinzu kommen die regionale Impfquote der vollständig und der erstmals Geimpften sowie die Testquote. Auf dieser Basis wird die gesamte EU ständig neu eingefärbt in grüne, orange, rote und dunkelrote Regionen. Erst bei Umspringen der Ampel auf Dunkelrot können die Reiseregeln wieder durch nationale Auflagen ersetzt werden. Das aktuelle Problem: Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist ganz Europa dunkelrot gefärbt.

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