Özdemir und Lemke wollen Kräfte bündeln Agrar

Analyse | Berlin · In der großen Koalition lieferten sich Landwirtschafts- und Umweltressort viele Scharmützel. Damit soll nun Schuss sein, versprechen die neuen Minister Cem Özdemir und Steffi Lemke. Die Erwartungen an die beiden Grünen sind entsprechend groß.

 Versprechen eine neue Harmonie: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen.

Versprechen eine neue Harmonie: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Umweltministerin Steffi Lemke von den Grünen.

Foto: dpa/John Macdougall

Es war der Versuch, auf Harmonie umzustellen, wegzukommen vom Gegeneinander in der letzten Bundesregierung. Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sprachen am Dienstag im Vorfeld ihres gemeinsamen Agrarkongresses von einer „strategischen Allianz“, die beide Ressorts jetzt eingehen würden. Man bündele die Kräfte, anstatt sie damit zu verschwenden, „dass wir uns gegenseitig wie in der Vergangenheit blockieren“, so Özdemir. Erst in den nächsten Monaten wird sich jedoch zeigen, ob die neue „Hausfreundschaft“ tatsächlich funktioniert. Wer von den beiden Grünen – Lemke oder Özdemir – vorerst die erste Geige spielen wird, wurde allerdings bereits deutlich.

Die Erwartungen an die Minister sind immens. In diesen Tagen speziell an Özdemir, denn eigentlich sollte in Berlin die traditionelle „Grüne Woche“ stattfinden, die große Leistungsschau rund um die Landwirtschaft. Ein Muss für jeden Agrarminister. Doch wegen Corona wurde die Veranstaltung erneut abgesagt. Nichtsdestotrotz wollen rund 60 Verbände aus dem Agrar- und Umweltbereich am Samstag unter dem Motto „Wir haben es satt“ zumindest mit einem Traktorkorso im Berliner Regierungsviertel für eine Agrarwende demonstrieren. Nachdem das Landwirtschaftsministerium in den letzten 16 Jahren tatenlos beim Höfesterben, bei Tierfabriken und Klimakrise zugesehen habe, sei der Reformstau enorm, hieß es am Dienstag seitens der Organisatoren.

Der neue Minister Özdemir müsse jetzt schleunigst den Umbau von Landwirtschaft und Ernährungssektor anpacken. Es brauche in der Agrarpolitik einen „klaren Kompass und frische Ideen“, sagte etwa Martin Hofstetter von Greenpeace. Ottmar Ilchmann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft ergänzte, die Preisdiktate des Handels gelte es zu stoppen. „Das System immer billiger und mehr hat sehr viele Verlierer erzeugt.“ Die großen Handelsriesen hätte in der Corona-Zeit Rekordumsätze eingefahren, betonte überdies Marita Wiggerthale von Oxfam. „Minister Özdemir muss ihre ausbeuterische Preispolitik verbieten.“ Darüber hinaus hieß es, der Umbau der Tierhaltung müsse genauso dringend angegangen werden. Nur dann sei die Landwirtschaft zukunftsfähig.

Bei den Verbänden schöpft man Hoffnung, dass durch Özdemir und das Zusammenspiel mit Lemke aus dem Umweltressort vieles besser werden wird. Als noch die große Koalition regierte, lieferten sich die damaligen Ministerinnen Julia Klöckner (CDU) und Svenja Schulze (SPD) einen regelrechten Kleinkrieg darum, wieviel Umwelt- und Klimaschutz sein muss, wo die Interessen der Landwirte vorgehen und wo nicht. Sie stritten um den Glyphosateinsatz, über das Vorgehen gegen Lebensmittelverschwendung, den Insektenschutz oder den Umgang mit dem Wolf.

Damals spielte sicherlich eine Rolle, dass beide Ministerinnen unterschiedlichen Parteien angehörten. Lemke und Özdemir sind Grüne, das verbindet. „Auch in der Landwirtschaft wollen wir einen neuen Aufbruch anstoßen“, so Lemke vor dem Agrarkongress. Gerade dieser Sektor könne einen Beitrag zum natürlichen Klimaschutz leisten. „Deswegen werde ich bis Ostern Eckpunkte vorlegen für ein Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz und die notwendige Finanzierung sichern.“

Überdies kündigte die Umweltministerin die Verringerung des Pestizideinsatzes an. Pestizide wirkten auch auf Wildkräuter und Insekten „und diese Wirkungen müssen wir reduzieren, wenn wir die Krise der Biodiversität eindämmen, bekämpfen und stoppen wollen“. Bis Ende 2023 werde man den Unkrautvernichter Glyphosat vom Markt nehmen und den Einsatz von Pestiziden generell umwelt- und naturverträglicher gestalten. Schließlich plädierte Lemke noch für einen anderen Einsatz der Fördergelder und den Ausstieg aus dem bisherigen System der pauschalen Flächenprämie. „Dafür ist die EU-Agrarpolitik der wichtigste Hebel“, sagte die Umweltministerin.

Klare Ansagen. Auch an Özdemir, der ankündigte, man wolle die Wege „gemeinsam gehen“. Die Zeit sei reif, „Landwirtschaft, Natur-, Umwelt- und Klimaschutz endlich unter einen Hut zu bekommen. Das kann kein Haus alleine schaffen“, meinte er. Zudem wolle er noch in diesem Jahr eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg bringen, „damit die Verbraucher auf einen Blick erkennen können, wie das Tier gehalten worden ist und warum manche Produkte halt mehr kosten“.

Doch wird es in den nächsten Monaten so harmonisch zwischen den beiden bleiben? Am Dienstag gab eindeutig Lemke als Hauptorganisatorin des Agrarkongresses den Ton vor. Insider sagen, derzeit spiele der Umwelt- und Klimaschutz im Miteinander der Ministerien augenscheinlich die zentrale Rolle. Es werde aber der Punkt kommen, „an dem Özdemir rote Linien einziehen muss“. Schließlich habe der Minister angekündigt, auch Anwalt der Bauern sein zu wollen. Doch dieser Punkt ist noch nicht erreicht.

(has)
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