Nach Razzia bei Reichsbürgern Wie sicher ist der Bundestag?

Analyse | Berlin · Die Umsturzpläne aus der Reichsbürgerszene sorgen in der Politik für Entsetzen und wecken Erinnerungen. Der Bundestag will sich nun intensiv mit der Bedrohungslage befassen - es gehe schließlich nicht „um Klamauk oder Spinnerei“.

 Im August 2020 stürmten Corona-Gegner die Reichstagstreppe. Die Razzia in der Reichsbürgerszene weckt in der Politik Erinnerungen.

Im August 2020 stürmten Corona-Gegner die Reichstagstreppe. Die Razzia in der Reichsbürgerszene weckt in der Politik Erinnerungen.

Foto: dpa/Achille Abboud

Der Generalbundesanwalt bestätigte am Mittwoch: Einzelne Mitglieder der Gruppe hätten auch geplant, „gewaltsam in den Bundestag einzudringen“. Im politischen Berlin herrschte Entsetzen und Erleichterung zugleich angesichts der Razzia in der Reichsbürgerszene - an einem Tag, an dem offenbar Pläne für einen Umsturzversuch vereitelt wurden und an dem laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) „in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürger-Milieu“ geblickt worden ist. Erinnerungen wurden wach.

Zum Beispiel an den August 2020, als wildgewordene Corona-Gegner die Freitreppe vor dem Westportal stürmten und versuchten, in den Reichstag einzudringen. Verhindert wurde dies von nur drei Polizisten. Oder an den November desselben Jahres, als über die AfD Gegner des seinerzeit neuen Infektionsschutzgesetzes in den Bundestag gelangen konnten, die dann Abgeordnete wie den damaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bedrängten. Erneut stellte sich am Tag der Razzia auch die Frage: Ist der Bundestag genug gesichert?

Eine der am Mittwoch Festgenommenen ist die frühere AfD-Abgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann. Er sei daher sehr beunruhigt, betonte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Was damals geschehen sei, „scheint hier eine Fortsetzung gefunden zu haben“, so Mützenich. Faeser betonte, die Ermittlungen liefen noch. Man werde nun auch genau hinschauen, „welche Verbindungen es noch gibt“. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte: In der AfD gebe eine ganze Reihe radikaler Kräfte, „die vielleicht einen ganz erheblichen Einfluss haben“. Der Verfassungsschutz müsse nun noch genauer hinschauen, so Herrmann. Nach Informationen unserer Redaktion unterrichtete das Innenministerium auch die Innenpolitiker der Fraktionen über die Lage. Eine Anfrage bei der AfD blieb am Mittwoch unbeantwortet.

Derzeit finden rund um das Parlamentsgebäude Bauarbeiten statt, die laut Bundestagsverwaltung der Vorbereitung geplanter großer Baumaßnahmen dienen. Unter anderem soll ein so genannter „Aha-Graben“ auf dem Platz der Republik vor dem Hauptportal das Gebäude künftig besser sichern. Der Graben soll rund zweieinhalb Meter tief werden. Nach den Worten von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) ist der Bundestag grundsätzlich aber gerüstet gegen Angriffe von außen. Alle Verfassungsorgane mit ihren Repräsentativbauten „sind nach meiner Wahrnehmung für potenzielle Bedrohungslagen gut sensibilisiert“, sagte Kubicki unserer Redaktion. „Die Pläne der Gruppe waren also schon zum Scheitern verurteilt, als sie geschmiedet wurden.“

Kubicki weiter: „Mit Realitäten scheinen diese Menschen sich ohnehin nicht mehr auseinandersetzen zu wollen.“ Es sei allerdings alarmierend, „dass diese Feinde unseres Rechtsstaates auch in den Sicherheitsbehörden oder in der Justiz sitzen oder saßen“. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich demnach auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Die Berichte wiesen auf einen hohen Organisationsgrad der Gruppe hin, sagte Kubicki. „Wer Satellitentelefone anschafft und Schießübungen durchführt, meint es ernst, und das muss uns natürlich Sorge machen.“

Erleichtert zeigte sich Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD): „Die Maßnahmen zeigen, dass unser demokratischer Rechtsstaat aufmerksam und handlungsfähig ist“, sagte sie unserer Redaktion. Sie danke dem Generalbundesanwalt und allen beteiligten Polizeikräften für ihren Einsatz. „Jetzt gilt es, die weiteren Ermittlungen abzuwarten.“ Mit der Razzia sei es aber nicht getan, betonte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. „Die Gewaltfantasien der Reichsbürgerszene darf man nicht als Klamauk oder Spinnerei abtun.“ Die von den Behörden aufgedeckten Terror- und Umsturzpläne zeigten deutlich, Reichsbürger seien „eine Gefahr und sie schrecken auch vor Gewalt nicht zurück“, so Wiese zu unserer Redaktion.

Die Bedrohungslage wird nun auch Thema im Bundestag werden. Es gelte, „die entdeckten Netzwerke weiter auszuleuchten“, erklärte die Parlamentsgeschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic. Die entsprechenden Ausschüsse und Gremien würden sich „in der kommenden Sitzungswoche intensiv mit den Razzien befassen“. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), betonte ebenfalls, das Thema im Ausschuss behandeln zu wollen. Sie kündigte ein konsequentes Vorgehen an: „Wir werden diese braune Suppe austrocknen“, so Strack-Zimmermann zu unserer Redaktion.

(has)
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