Interview Ministerpräsidentin Anke Rehlinger „Mir ist jemand lieber, der nicht ständig palavert“

Interview | Berlin · Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) misst die Berliner Ampel-Koalition an ihren Ergebnissen und nicht an den öffentlichen Diskussionen. Zugleich mahnt sie Entscheidungen bei den Themen Flüchtlinge, Planungsbeschleunigung und Kindergrundsicherung an.

Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger will schnellere Planungen. Die Debatte über den Bau von Autobahnen sei eine „Phantomdebatte“, so die SPD-Vizevorsitzende.

Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger will schnellere Planungen. Die Debatte über den Bau von Autobahnen sei eine „Phantomdebatte“, so die SPD-Vizevorsitzende.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Frau Ministerpräsidentin, in der Berliner Ampel-Koalition gibt es einigen Streit. Hat Olaf Scholz den Laden mehr schlecht als recht im Griff?

Rehlinger Abseits öffentlicher Diskussionen, die es hier und da gibt, was zählt, ist das Ergebnis. Und da werden die richtigen Entscheidungen für unser Land getroffen. Das ist Führungsstärke.

Kommuniziert Scholz denn zu wenig, gerade in der Ukraine-Krise?

Rehlinger Entscheidend ist, die Dinge vom Ende her zu betrachten. Das macht Olaf Scholz gerade in der Ukraine-Krise. Hätten wir auf Friedrich Merz gehört, hätten wir ein Gas-Embargo auf den Weg gebracht, lange, bevor unsere Speicher voll gewesen sind. Das hätte einen Infarkt der Industrie zur Folge gehabt. Mir ist jemand lieber, der erst dann kommuniziert, wenn er eine Lösung hat - als jemand, der ständig palavert, ohne eine Lösung zu haben.

Die Kommunen stöhnen über immer mehr Flüchtlinge. Was muss getan werden?

Rehlinger Kommunen, Hilfsorganisationen, zahlreiche Bürgerinnen und Bürger engagieren sich bis an die Grenze des Machbaren. Wir im Saarland haben Container aufgestellt, damit nicht wieder Turnhallen belegt werden müssen. Auch suchen wir mit den Kommunen nach Wegen, zusätzlichen Wohnraum zu mobilisieren. Wir brauchen mehr finanzielle Unterstützung des Bundes. Zum Beispiel für mehr Kitaplätze oder begleitende Maßnahmen in Schulen.

Ist das ihre Erwartung an den Flüchtlingsgipfel von Innenministerin Faeser?

Rehlinger Ja. Darüber hinaus: Das Thema der Bundesimmobilien muss die Regierung jetzt schnell noch mal anpacken. Der Bund muss bei seinem Angebot, eigene Liegenschaften zur Verfügung zu stellen, konkreter werden. Da sind die Möglichkeiten noch nicht ausgereizt.

Kann man in diesen Zeiten eigentlich Bundesinnenministerin sein und zugleich Wahlkampf machen, wie Faeser plant?

Rehlinger Ich halte die Debatte für völlig übertrieben. Denn es ist keine ungewöhnliche Situation, aus einem Amt für ein anderes zu kandidieren. Ich war Wirtschaftsministerin, bevor ich Ministerpräsidentin wurde. Boris Rhein wird auch als amtierender Ministerpräsident ins Rennen gehen. Nancy Faeser ist eine erfahrene Politikerin, sowohl im Land als auch im Bund. Für Hessen ist das gut.

Ein Streit in der Koalition dreht sich um die Planungsbeschleunigung. Müssen auch Autobahnen schneller gebaut werden?

Rehlinger Das ist die völlig falsche Debatte. Wir brauchen schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Für alles, was wir machen. Die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland wird sich daran entscheiden, ob wir in der Lage sind, Wasserstofftransportnetze zügig zu installieren, unsere Stromnetze zu modernisieren und wie schnell wir bei großen Investitionen sowie beim Ausbau der Erneuerbaren Energien vorankommen. Nicht aber an einer Phantomdebatte über Autobahnen.

Die FDP sieht das anders.

Rehlinger Mag sein. Wer aber mehr Klimaschutz und die Mobilitätswende will, für den muss der Ausbau der Schieneninfrastruktur zentral sein. Eine Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 benötigt allergrößte Anstrengungen. Wir brauchen neue Strecken und müssen bestehende ertüchtigen. Beim Fernverkehr muss die Bahn wieder Orte anfahren, von denen sie sich in der Vergangenheit verabschiedet hat. Sonst wird der Umstieg nicht funktionieren. Das Saarland etwa ist einfach nicht ausreichend angebunden, das muss revidiert werden.

Es hakt in der Koalition ebenso bei der Kindergrundsicherung. Wie wichtig ist ihnen das Vorhaben?

Rehlinger Die Kindergrundsicherung muss kommen. Ich erwarte ganz klar Bewegung von der FDP und von Finanzminister Lindner. Die Bürger haben wenig Verständnis dafür, dass wir innerhalb kürzester Zeit – zu Recht - viele Milliarden für Entlastungen auf den Weg bringen. Aber wenn es darum geht, Kinder aus der Armutsfalle zu holen, ist kein Geld mehr da. Das halte ich für nicht vermittelbar und nicht richtig. Wir werden das ändern.

Sie haben mit der Ansiedlung der Chipfabrik des US-Konzerns Wolfspeed einen Erfolg gelandet. Aber standen Sie nicht doch ein wenig im Schatten von Kanzler und Wirtschaftsminister?

Rehlinger Ganz und gar nicht. Ich war sehr froh darüber, dass Olaf Scholz und Robert Habeck zur Ansiedlung angereist sind. Erstens haben sie mitgeholfen. Zweitens zeigt es, beide haben die feste Absicht, Deutschland als Industriestandort und damit auch das Saarland in eine gute Zukunft zu führen. Die Bundesregierung steht eng an unserer Seite, wenn es um den Transformationsprozess geht. Das ist ein wichtiges Signal.

Lassen sich solche Projekte nur noch durch massive staatliche Förderung realisieren?

Rehlinger Wir stehen im Wettbewerb mit anderen. Andere fördern eher noch mehr. Das größere Problem in Europa ist, dass Entscheidungen zu lange dauern. Wir haben der EU eine hochinnovative Industrieansiedlung auf dem Silbertablett serviert, mit Förderung von Bund und Land und brauchen nur noch grünes Licht der Kommission. Die Arbeitsgeschwindigkeit muss sich auf allen Ebenen der Geschwindigkeit der Transformation anpassen.

(has)
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