Sozial-ökologische Marktwirtschaft angepeilt Robert Habeck verpasst der Wirtschaftspolitik einen grünen Anstrich

Berlin · Schafft Minister Robert Habeck den Neustart der deutschen Wirtschaftspolitik? Für frischen Wind im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, den es bereits seit 1967 gibt, hat der scheidende Grünen-Chef jedenfalls schon mal gesorgt: Die Politik solle künftig darauf zielen, Wirtschaftswachstum und CO2-Ausstoß zu entkoppeln.

 Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch bei der Vorstellung seines ersten Jahreswirtschaftsberichts. Die Grafik zeigt, wie Wirtschaftswachstum und CO 2 -Ausstoß seit einigen Jahren auseinander gehen. 

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch bei der Vorstellung seines ersten Jahreswirtschaftsberichts. Die Grafik zeigt, wie Wirtschaftswachstum und CO 2 -Ausstoß seit einigen Jahren auseinander gehen. 

Foto: AP/John MacDougall

Bei der Entkoppelung des Wachstums vom Treibhausgasausstoß habe es in den vergangenen 30 Jahren zwar bereits gute Fortschritte gegeben, aber sie seien noch nicht groß genug, sagte Habeck am Mittwoch bei der Vorstellung seines ersten Jahreswirtschaftsberichts (JWB). Die Bekämpfung des Klimawandels sei eine „Jahrhundertaufgabe“, heißt es in dem Bericht, dessen Entwurf unmittelbar nach Habecks Amtsübernahme grundlegend überarbeitet worden ist.

Die soziale Marktwirtschaft will der neue Minister in eine sozial-ökologische umbauen. „Unsere Wirtschaftsordnung muss die Interessen künftiger Generationen und den Schutz globaler Umweltgüter systematischer und deutlich verlässlicher berücksichtigen“, heißt es im JWB, den das Kabinett am Mittwoch beschloss.

In der sozial-ökologischen Marktwirtschaft gehe es um eine differenzierte Betrachtung von Ressourcenverbrauch und Wachstum, argumentierte Habeck. „Insbesondere gilt es, die Negativeffekte des Wirtschaftens stärker in den Blick zu nehmen und zu adressieren. Wir dürfen kein Wirtschaften mehr fördern, das zu fossilem Energieverbrauch, Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit beiträgt. Umgekehrt ist die Aufgabe, Wachstum von Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen zu entkoppeln.“

Im JWB wird daher erstmalig ein breiter Satz an „Wohlfahrts- und Nachhaltigkeitsindikatoren“ neben dem reinen, wertmäßigen Bruttoinlandsprodukt (BIP) betrachtet – von sozialen Indikatoren über Umwelt- und Klimaschutz, Bildung und Forschung, Demografie bis zu öffentlichen Finanzen und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

Die Transformation hin zur Klimaneutralität werde das Tempo des sich ohnehin schon rasch vollziehenden Strukturwandels der Wirtschaft weiter erhöhen, so der Bericht. „Es werden neue Bereiche, neue Arbeitsplätze, neue Geschäftsfelder entstehen, in anderen drohen Verluste, und sie betreffen auch Identitäten, Tradition, das, worauf Menschen stolz sind.“

 Die Neuausrichtung will der Grüne allerdings nicht so verstehen, dass künftig auf Wachstum verzichtet werden soll, um natürliche Ressourcen zu schonen. Der neue Indikatoren-Mix diene dazu, die Politik klüger aufzustellen – stets mit dem Ziel das Gemeinwohl zu steigern, betonte Habeck. Die Marktwirtschaft werde nicht infrage gestellt. Der „Kapitalismus“ habe „enorme Kraft“, die ohne politische Lenkung „häufig ungezähmt“ sei und zu „Klumpenrisiken“ führe.

Der Minister bekannte sich aber grundsätzlich zum System der Marktwirtschaft. „Wenn wir auf die Idee des Wachstums verzichten, verzichten wir auf Fortschritt, das wollen wir nicht“, sagte Habeck. Es gehe ihm darum besser zu verstehen, wie sich die Wertschöpfung zusammensetze. Anhand der Indikatoren wisse man dann, wo man als Standort besser werden müsse. Einen Bericht, wonach Finanzminister Christian Lindner (FDP) Passagen des gemeinsamebn Regierungsberichts entschärft habe, wies Habeck zurück. Der Bericht sei in großem Einvernehmen entstanden, betonte auch der zuständige Abteilungsleiter im Ministerium, Philipp Steinberg, der ein SPD-Parteibuch hat und den sowohl Alt-Minister Petr Altmaier (CDU) als auch Habeck im Amt behielten.

Konkret rechnet Habeck 2022 mit einem Wachstum von 3,6 Prozent, bisher hatte die Regierung 4,1 Prozent erwartet. Der Aufschwung soll im Frühjahr kommen, wenn der Höhepunkt der Omikron-Welle vorüber ist. Das Vorkrisen-Niveau von 2019 soll die Wirtschaft in diesem Frühjahr wieder erreichen. Die Bundesregierung geht von einem schwachen Start ins neue Jahr aus. Im Jahresverlauf soll sich die Lage aber bessern.

„Die Perspektiven für den Arbeitsmarkt sehen ganz gut aus“, so Habeck. Die Regierung kalkuliert 2022 mit einer Arbeitslosenquote von 5,1 Prozent, 0,6 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte im Schnitt bei 45,3 Millionen Personen liegen – ein Anstieg um weitere 425.000.

 Ein Bremsfaktor könnte allerdings die Inflation sein. Habeck rechnet 2022 mit einer Teuerungsrate von 3,3 Prozent – nach 3,1 Prozent 2021. Preistreibender Faktor bleiben Lieferengpässe etwa bei Halbleitern. Hier sei erst im Jahresverlauf wieder mit einer Entspannung zu rechnen. Bis dahin dürften die Unternehmen die Preise merklich erhöhen. Außerdem werde es bei den Energiepreisen im ersten Halbjahr zu erhöhten Steigerungsraten kommen. Die Ampel-Regierung will daher die EEG-Ökostrom-Umlage, die die Stromverbraucher bezahlen, früher als erst Anfang 2023 senken. Die Koalition dürfte sich in Kürze – abhängig von der Haushaltslage – auf die Senkung im Sommer oder Herbst einigen.

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