Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter über Ampel und Jamaika „Ich halte nichts davon, einzelne Maßnahmen wie das Tempolimit zur Bedingung zu machen“

Interview | Berlin · Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter will das Tempolimit 130 auf Autobahnen in den Gesprächen mit FDP, SPD und Union über eine mögliche Regierungskoalition nicht zur roten Linie seiner Partei machen. Bei der Schuldenbremse widerspricht er SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.

 Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter (51) könnte Verkehrsminister in einer neuen Bundesregierung werden. Der promovierte Biologe gilt aber auch als möglicher neuer Agrarminister.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter (51) könnte Verkehrsminister in einer neuen Bundesregierung werden. Der promovierte Biologe gilt aber auch als möglicher neuer Agrarminister.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Herr Hofreiter, wer sind Ihre besten Freunde in der FDP?

Hofreiter Mit besten Freunden in der Politik ist das so eine Sache. Ich schätze viele Kollegen der FDP nach vier Jahren gemeinsamer Opposition gegen die große Koalition. Da lernt man sich kennen und merkt etwa in der Debatte über eine Reform des Wahlrechts auch, dass man auf einer pragmatischen Ebene gut zusammenarbeiten kann.

Und in der SPD?

Hofreiter Wir Grüne haben traditionell gute Kontakte in die SPD. Deswegen gehe ich davon aus, dass wir auch gute Gespräche über eine Ampel-Koalition haben werden.

Lieber Ampel als Jamaika?

Hofreiter Wir haben ja ein Votum der Wählerinnen und Wähler: die SPD liegt vorne und hat stark zugelegt, die Union hat stark verloren. Dieses Votum nehmen wir natürlich ernst. Hinzu kommt die Frage: Ist die Union mit ihren internen Querelen derzeit überhaupt verhandlungsfähig? Selbstverständlich reden wir aber mit allen demokratischen Parteien.

Die FDP will nun am Sonntag nicht nur mit der SPD, sondern auch mit der Union sprechen. Wie finden Sie das?

Hofreiter Als Erstes haben wir ja miteinander gesprochen, das war ein wichtiges Zeichen. Ansonsten terminiert die FDP ihre Termine, so wie sie das für richtig hält, das ist doch völlig okay. Wir sprechen ja ebenfalls mit beiden.

Unterschreiben die Grünen einen Koalitionsvertrag, in dem ein Tempolimit auf Autobahnen nicht steht?

Hofreiter Schöne Schlagzeile! Ich halte nichts davon, einzelne Maßnahmen zur Bedingung zu machen, das verkompliziert die Verhandlungen und wird unserer Aufgabe nicht gerecht. Es geht jetzt nicht um Spiegelstriche, sondern um einen Aufbruch für Klimaneutralität, Fortschritt und Gerechtigkeit. Selbstverständlich gehen wir mit unseren gesamten Positionen in diese Verhandlungen, dazu gehört auch ein Tempolimit 130 auf Autobahnen.

Der CO2-Preis und damit die Benzinpreise werden in den kommenden Jahren stark steigen. Wie erklärt ein Verkehrsminister Hofreiter das den Bürgern?

Hofreiter Netter Versuch, aber über Posten reden wir ganz zum Schluss. Aber zu ihrer Frage: ohne Anstrengungen werden wir die Klimakrise nicht bewältigen, das ist leider die Dramatik der Situation. Wir müssen dafür sorgen, dass es dabei gerecht zugeht. Das heißt erstens, die Alternativen zum Auto zu stärken, etwa dadurch dass Busse und Bahnen den ländlichen Raum umfassender und in einem vernünftigen Takt bedienen. Aber für viele Menschen wird das Auto gerade auf dem Land unverzichtbar bleiben. Deshalb müssen wir es CO2-frei machen und die Menschen beim Umstieg unterstützen. Wir wollen einen Klimabonus für Menschen mit geringem Einkommen einführen, um ihnen den Umstieg auf ein E-Auto zu ermöglichen.

Die FDP will die Kaufprämien für E-Autos aber abschaffen!

Hofreiter Das werden wir diskutieren. Ich bin mir sicher, auch mit der FDP finden wir gemeinsame Lösungen, damit Klimaschutz auch für Menschen mit niedrigen Einkommen funktioniert.

Die Grünen wollen Investitionen von 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr für Klimaschutz und Digitalisierung. Wenn es jetzt nur 25 Milliarden Euro pro Jahr werden, scheitert dann die Ampel?

Hofreiter Das ist mir zu unernst. Es geht jetzt darum, Lösungen zu finden, die der Realität gerecht werden. Und die Realität der Klimakrise ist dramatisch. Das muss jede Regierung anerkennen. Deshalb sagen wir, es braucht ein Jahrzehnt der Investitionen. Wegen der Klimakrise, aber auch, weil wir neue Netze für Strom und Bahn, schnelles Internet in allen Landesteilen brauchen, marode Brücken und Schulen sanieren müssen.

In der Corona-Krise sind eine halbe Billion Euro neue Schulden angehäuft worden. Das ist für Sie aber kein Grund, jetzt nicht noch mehr Schulden zu machen?

Hofreiter Im Moment kostet es die öffentliche Hand keine Zinsen, wenn sie Kredite aufnimmt. Wenn ich mit dem geliehenen Geld produktive Investitionen tätige, etwa in das Glasfasernetz oder eine funktionierende Infrastruktur, dann habe ich danach mehr öffentliches Vermögen und nicht weniger. So würde auch jeder vernünftige Unternehmer handeln. Umso mehr gilt das im Angesicht der Klimakrise, wo uns unterlassenes Handeln so unendlich teuer zu stehen kommt.

SPD-Chef Walter-Borjans hat eine Reform der Schuldenbremse, wie die Grünen sie wollen, gerade ausgeschlossen, weil es dafür keine Zweidrittelmehrheit gäbe…

Hofreiter Ich sehe die beste Lösung darin, die Schuldenbremse so zu reformieren, indem sie um eine Investitionsregel erweitert wird. Norbert Walter-Borjans kann uns aber gerne einen anderen Vorschlag machen, wie es geht.

Die Vermögensteuer bringen die Grünen auch auf den Tisch?

Hofreiter Wir haben in der Corona-Pandemie gesehen, in welchem schlechten Zustand unser Bildungssystem ist. Unser Vorschlag ist, dass die Vermögensteuer wieder eingeführt wird, damit die Länder mehr Geld für die dringend notwendigen Bildungsinvestitionen zur Verfügung haben. Unser Land muss wieder eine Bildungsrepublik werden. Da sehe ich auch große Gemeinsamkeiten mit der FDP.

Sie haben 2017 Jamaika mit sondiert und gesehen, wie es gescheitert ist. Welche Dinge dürfen sich nicht wiederholen?

Hofreiter Es braucht eine gemeinsame Idee, statt hunderter Spiegelstriche. Und den Willen gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. Wir müssen uns aufeinander einlassen, bereit sein voneinander zu lernen, statt jeweils dem anderen zu erklären, dass er es nicht verstanden hat.

Soll am Ende ein Parteitag oder ein Mitgliederentscheid den Koalitionsvertrag absegnen?

Hofreiter Wir wollen unsere Mitglieder befragen.

Wie sehr hat Robert Habeck Ihre Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock mit dem Anspruch auf das Vizekanzler-Amt düpiert?

Hofreiter Robert und Annalena werden gemeinsam und vertrauensvoll diese Sondierungen und Verhandlungen leiten. Über das Gesamtpaket des Personals der Grünen für die Bundesregierung wird erst am Ende entschieden.

Trotzdem wurde die Meldung, Habeck solle Vizekanzler werden, nicht dementiert. Wie kommt so etwas an die Öffentlichkeit?

Hofreiter Das wüsste ich auch gerne.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort