Menschen Ukrainerin findet Zuflucht bei einer Freundin in Trier – „Ich will nur nach Hause!“

Trier · Olena Karablina aus Kiew hat mit ihrer Tochter bei einer Freundin im Trierer Paulin-Viertel Zuflucht gefunden. Sie kam nach einer Odyssee am vergangenen Sonntag in Trier an.

 Elena Karablina (rechts) hat Zuflucht bei ihrer Trierer Freundin Daria Scholtes gefunden.

Elena Karablina (rechts) hat Zuflucht bei ihrer Trierer Freundin Daria Scholtes gefunden.

Foto: TV/Hans-Peter Linz

Es ist ein ruhiger Vormittag im Trierer Paulinviertel. Es erscheint in diesem gemütlichen Altstadtviertel fast surreal, dass zwei Flugstunden entfernt in der Ukraine russische Truppen eingefallen sind und das Land einnehmen wollen. Viele Frauen mit Kindern flüchten in den Westen. Eine davon ist Olena Karablina mit ihrer achtjährigen Tochter. Sie ist gerade im beschaulichen Trier angekommen, denn ihre Freundin Daria Scholtes, die ebenfalls aus der Ukraine stammt, hatte sofort zugesagt, sie in ihrer Wohnung im Paulinviertel aufzunehmen. Putins Krieg ist plötzlich ganz nah.

Beim Gesprächstermin mit dem TV ist die schlanke 32-Jährige ernst und gefasst. So richtig zur Ruhe ist sie noch nicht gekommen, sagt ihre Freundin, die das Gespräch dolmetscht. Die schrecklichen Erfahrungen der vergangenen Wochen und Tage sitzen tief, ihre achtjährige Tochter klagt über nächtliche Albträume. Dennoch beantwortet Olena Karablina ruhig und bedacht alle Fragen. Es ist ihr wichtig, dass die Welt erfährt was in der Ukraine geschieht, versichert sie.

Schon vor Neujahr sei klar gewesen, dass mit einem russischen Einmarsch zu rechnen sei. „Damals haben wir schon unsere Notrucksäcke gepackt, Lebensmittelvorräte eingelagert. Im Februar haben die Kinder in der Schule bereits Luftschutzübungen gemacht,“ sagt sie.

Dann sei die Lage sehr schnell sehr ernst geworden, als russische Truppen die Grenze überquerten. „Ich habe am 24. Februar um 4 Uhr morgens eine laute Detonation gehört. Das war der Angriff auf den Flughafen von Kiew, der bis in unser Wohnviertel zu hören war. Wir haben unsere Matratzen in das Treppenhaus gebracht, weil es da wegen der stabileren Wände sicherer ist. Viele wollten raus aus Kiew, die Straßen waren überlastet und es gab Riesenstaus an den Tankstellen,“ erzählt sie.

Sie hat sich aber entschieden, noch zu bleiben. Erst am nächsten Tag, nachdem eine Rakete in ein Nachbarhaus eingeschlagen war, machte sich die Kleinfamilie mit dem Auto auf den Weg. „Es war von vornherein klar, dass mein Mann uns nur zur Grenze bringt und dann wieder zurückkehrt, um die Heimat zu verteidigen. Er hatte sich schon auf einer Liste der Armee als Freiwilliger eingetragen,“ erklärt die Buchhalterin, die mit ihrem Mann in diesem Jahr eigentlich eine Eigentumswohnung in Kiew kaufen wollte, wofür sie lange gespart hatten.

Die Fahrt führte sie über Rowno an die polnische Grenze. Auf dem Weg hätten viele verlassene Autos gestanden, denen offenbar der Sprit ausgegangen war. Ständig hörten sie Militärjets im Tiefflug über die Landschaft donnern. Eine Frau, deren Auto durch einen Unfall beschädigt war, nahmen sie kurzerhand mit bis zur Grenze.

 Dort hieß es Abschied von ihrem Mann nehmen, ein schlimmer Moment für Olena Karablina und ihre Tochter, über den sie – verständlicherweise – nicht mehr erzählen will. „Auf der ukrainischen Seite mussten wir in der Nacht vier Stunden warten, bis wir den Ausreisestempel für den Pass erhalten haben. Da war nichts, keine Toiletten, die Kinder saßen in Decken gehüllt auf dem Boden,“ erinnert sie sich.

Dann konnten sie endlich über die Grenze nach Polen gehen. „Da standen viele polnische Helfer, die hielten Schilder empor mit der Personenzahl, die sie mit ihrem Auto fahren konnten. Die sind die ganze Nacht durch hin und her gefahren, um Flüchtlinge von der Grenze in die nächst gelegenen Orte zu bringen,“ erzählt sie. Sie sei von der Hilfsbereitschaft der Polen schlichtweg überwältigt gewesen. „Eine fremde Familie hat uns dort einfach aufgenommen, mit Essen versorgt und und einen Schlafplatz angeboten.“ Am nächsten Tag ging es dann mit dem Flixbus von Krakau aus weiter nach Frankfurt, wo sie ihre Trierer Freundin mit dem Auto abgeholt hat.

Wie sie Kontakt zu ihrem Mann und ihren Freunden hält? Noch funktioniere das Internet in der Ukraine. Daher kann sie über WhatsApp Kontakt halten. Jeden Tag melden sich ihr Mann und ihre Freunde, um zu versichern, dass sie noch am Leben sind, deshalb hat sie auch immer einen aktuellen Überblick über die Lage in Kiew. Manche Nachbarn sind auch daheim geblieben und passen auf ihre Wohnung auf. „Es gibt sogenannte Schläfer (Ukrainer, die für die Russen arbeiten), die markieren Gebäude auf den Dächern als Zielobjekt für Angriffe. Deshalb gehen die Nachbarn jeden Tag aufs Dach, um nach solchen Markierungen zu suchen und diese zu entfernen und der Armee zu melden,“ erklärt sie.

Inzwischen sei fast jede Stunde Luftalarm, die Lage werde immer bedrohlicher. Aber die Menschen in der Ukraine seien willens, für ihre Freiheit zu kämpfen. „Selbst Obdachlose, die sonst etwas Geld mit dem Sammeln von Pfandflaschen verdienen, spenden diese Flaschen jetzt, um daraus Molotow-Cocktails zu machen,“ erzählt sie.

 Vor allem Frauen und Kinder flüchten aus der Ukraine.

Vor allem Frauen und Kinder flüchten aus der Ukraine.

Foto: dpa/Bryan Smith

Wie es jetzt weitergeht, steht noch nicht fest. „Ich bin für jede Hilfe dankbar, aber ich will nicht in Deutschland bleiben. Ich will nur noch nach Hause. Ich hoffe, dass das in ein, zwei Monaten vorbei ist,“ sagt Olena Karablina. Die jetzt gerade beschlossenen Sanktionen findet sie richtig. Aber: „Ich denke, dass Putin nichts mehr im Kopf hat. Es ist schwer einzuschätzen, wie es weitergeht. Ich komme lieber eines Tages wieder freiwillig nach Trier, um einen Moselwein zu trinken, als jetzt hier bleiben zu müssen.“ Zumindest für die Zeit, bis sie wieder in die Ukraine einreisen kann, ist inzwischen gesorgt. Der Rotaryclub Trier übernimmt die Miete einer kleinen Ferienwohnung, die sie in den nächsten Tagen mit ihrer Tochter beziehen kann.

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