Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Sicherheitskonferenz Ein Friedenskämpfer mit Kriegsrisiko

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird eigentlich dringend Zuhause gebraucht. Doch er will jede Chance für Frieden nutzen und beeindruckt mit einer leidenschaftlichen Rede die Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz

 Präsident Wolodymyr Selenskyj beeindruckte in München: „Es ist Ihr Gewissen!“ Wenn Deutschland und andere nicht helfen wollten, werde sich die Ukraine alleine schützen.

Präsident Wolodymyr Selenskyj beeindruckte in München: „Es ist Ihr Gewissen!“ Wenn Deutschland und andere nicht helfen wollten, werde sich die Ukraine alleine schützen.

Foto: dpa/Tobias Hase

Er wird Zuhause in Kiew gebraucht. Dringend. Es kann jeden Tag losgehen. Wolodymyr Selenskyj hätte sich auch virtuell nach München zuschalten lassen können. Aber er hat sich dann doch noch ins Flugzeug gesetzt. Er wollte persönlich rüberkommen. Das ist ihm eindrucksvoll gelungen. Sollte sein Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz seinem Land am Ende tatsächlich mehr Sicherheit bringen, hätte sich die Tagesreise gelohnt. Vormittags hin, abends zurück. Als Präsident seines Landes setzt Selenskyj alles ein, einen drohenden militärischen Angriff des großen Nachbarn Russland auf die Ukraine doch noch zu verhindern.

Der Ukrainer sitzt auf der Bühne im Ballsaal des Konferenzhotels „Bayerischer Hof“. Die Russen kommen? Wenn sie nur nach München gekommen wären. Doch der Kreml hat keinen hochrangigen, keinen autorisierten Vertreter geschickt, wie es sich Wolfgang Ischinger in dieser Krise gewünscht hätte, die mit seinem Abschied als Leiter der Sicherheitskonferenz zeitlich zusammenfällt.

Der Westen spricht damit in München gewissermaßen mit sich selbst. Moskau befeuert durch die Abwesenheit eigener Vertreter auch noch den russischen Vorwurf, die Sicherheitskonferenz sei vor allem ein transatlantisches Forum. Selenskyj hat das Podium – ohne russische Gegenrede. Die Teilnehmer im Saal erheben sich zu seiner Begrüßung zum Applaus. Selenskij: „Ich denke, das gilt jetzt nicht mir. Es gilt der Ukraine und unseren Soldatinnen und Soldaten.“ Er wählt für seine Rede nicht das Konferenz-Englisch, sondern ganz bewusst seine Muttersprache: Ukrainisch. Der 44-Jährige spricht sofort einen Widerspruch an. „Die Ukraine sehnt sich nach Frieden, Europa sehnt sich nach Frieden.“ Russland wiederum beteuere, es wolle nicht angreifen. Also: „Irgendjemand lügt hier.“

Der Präsident kommt gerade von der „Trennlinie“ in der Ostukraine zurück, dort also, wo die Grenze zwischen Krieg und Frieden liege. Ein Kindergarten sei unlängst bombardiert worden. Selenskyj sagt: „Die Kinder gehen nicht auf die Nato zu, sie gehen auf ihre Klassenzimmer zu.“ Vielleicht gingen sie zum Mathe-Unterricht. Sie könnten rechnen, etwa, wenn sie die Zahl der Beschüsse von der Seite russischer Separatisten mit der Erwähnung des Wortes „Ukraine“ im diesjährigen Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz verglichen. Da müsse es ja wohl einen Zusammenhang geben.  

Selenskyj will nicht betteln, er will kein Bittsteller sein. 5000 Militärhelme aus Deutschland, ja, okay, „aber es ist Ihr Beitrag für die europäische und für die internationale Sicherheit“. Er sagt ganz klar: „Wir werden unser Land schützen – mit und ohne die Hilfe unserer Partner.“ Der Flughafen sei in Donezk zerstört, nicht der Airport in Frankfurt am Main. „Donezk ist ein Symbol für Menschenrechtsverletzungen geworden.“ Es gebe von dort Berichte über Folter durch russische Separatisten bis hin zum Tod.

Wo ein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland unterschrieben werde, egal. Ob Peking oder Barcelona, er reise für ein solches Abkommen an jeden Ort der Erde. Ob vier, sieben oder hundert Länder an einem solchen Friedensabkommen beteiligt würden, egal. Alle müssten verstehen: „Nicht nur wir brauchen den Frieden. Die Welt braucht Frieden.“ Selenskyj wirbt für ein Treffen auf höchster Ebene der Länder des UN-Sicherheitsrates in der kommenden Woche – unter Beteiligung der EU, von Deutschland und der Türkei. Die Ukraine stehe auf der Seite der Wahrheit, auf der Seite des Völkerrechts. „Es ist ihr Gewissen, ihr Karma, mit dem sie leben müssen“, sagt Selenskyj an jene Zuhörer im Saal, die der Ukraine zwar ihre Unterstützung zusagten, aber sie letztlich doch ihrem Schicksal überlasse. Er weiß angesichts des Truppenaufmarsches und der ohnehin explosiven Lage in der Ostukraine: „Ein Geschoss kann zu einem Krieg führen.“ Er sagt noch: „Wir werden nicht den ersten Schritt machen, wir werden nicht angreifen, aber wir sind bereit, uns zu wehren.“

Ob er Angst habe, wird Selenskyj am Ende noch gefragt? Nein. Er wisse sein Land in guten Händen, auch wenn er für wenige Stunden in München sei. Er habe sein Frühstück in der Ukraine eingenommen. Und er werde sein Abendessen in der Ukraine einnehmen. Dann geht er. In eine vollkommen offene Situation.

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