Bundespolitik Volksfreund-Interview mit Katarina Barley: „Jetzt schmeißt mich nichts mehr um“

Trier · Die Schweicher SPD-Ministerin verrät, warum ihr der Job im Zentrum der Macht gefällt und sie in Berlin Trierer Pralinen verschenkt.

 Gut gelaunt: Ministerin Katarina Barley beim Gespräch in der TV-Redaktionskonferenz.

Gut gelaunt: Ministerin Katarina Barley beim Gespräch in der TV-Redaktionskonferenz.

Foto: Friedemann Vetter

() Keine Limousine, kein Begleitfahrzeug, keine Leibwächter: Zum Besuch in der TV-Redaktionskonferenz fährt die geschäftsführende Bundesfamilien- und -Arbeitsministerin Katarina Barley im Kleinwagen ihres Mitarbeiters vor. Vielleicht ein bewusst gesetztes Zeichen, dass die Schweicher SPD-Politikerin dem Berliner Polit-Trubel jetzt mal für einige Tage entkommen ist. Barley sagt aber auch, dass sie den Job „wahnsinnig gerne“ mache.


Haben Sie Ihrem Parteivorsitzenden heute schon zum 62. Geburtstag gratuliert?

KATARINA BARLEY Ich habe ihn noch nicht angerufen, aber das mache ich noch. Und natürlich habe ich ihm eine Karte geschrieben.

 „Da geht`s lang“: Katarina Barley diskutiert mit den Volksfreund-Redakteuren (von links) Alexander Houben, Katharina de Mos, Bernd Wientjes ...

„Da geht`s lang“: Katarina Barley diskutiert mit den Volksfreund-Redakteuren (von links) Alexander Houben, Katharina de Mos, Bernd Wientjes ...

Foto: Friedemann Vetter

Ist Ihr Job als geschäftsführende Ministerin zweier Ministerien so stressig?

BARLEY Ich mache das wahnsinnig gerne, aber es ist echt hart. Zwei Ministerien sind schon eine Hausnummer.

 ... und TV-Chefredakteur Thomas Roth.

... und TV-Chefredakteur Thomas Roth.

Foto: Friedemann Vetter

Wo sind Sie denn in drei Monaten? Sind Sie dann noch Ministerin?

BARLEY Ich weiß es wirklich nicht. Falls die Regierung weitergeführt wird, gehe ich mal davon aus, dass ich Ministerin bleibe. Wenn nicht, dann werden wir sehen. Ich will derzeit keine Prognose wagen.

Was ist denn das Ziel der SPD?

BARLEY Zu schauen, dass wir möglichst viele unserer Projekte umsetzen können. CDU und CSU wissen nicht, was sie wollen. Von daher ist es schwer vorherzusagen, inwiefern die Union inhaltlich bereit ist, auf unsere Themen einzugehen. Wir haben vier sehr sozialdemokratische Jahre hinter uns. Die Union hat fast alle unsere Forderungen erfüllt, auch wenn nicht alles, was im Koalitionsvertrag steht,  umgesetzt wurde. Jetzt wird  es bei denen schon richtig an die Schmerzgrenze gehen.

Was heißt das konkret?

BARLEY Wir haben gesagt, dass wir keine roten Linien ziehen. Und das fange ich jetzt auch nicht an. Ich kann sagen, was für mich wichtige Punkte sind: Zum einen das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Der Punkt steht im Koalitionsvertrag ja auch drin. Und die Solidarrente, heißt: Wer lange gearbeitet hat, muss mehr bekommen als die Grundsicherung. Darüber hinaus kann ich mir noch andere Sachen vorstellen, etwa das Thema Kinderarmut. Da habe ich schon  vor ein paar Monaten den Vorschlag gemacht, Kindergeld und Kinderzulage zusammenzulegen und aufzustocken.

Was ist mit der Bürgerversicherung?

BARLEY Unsere Linie ist, dass es keine Vorfestlegungen gibt. Wir sind jetzt wirklich in einer schwierigen Lage. Daran ist nicht die SPD schuld, sondern die anderen vier Parteien.

Hat sich die SPD nicht das denkbar schwierigste Verfahren ausgesucht, um zu einer möglichen neuen Regierung zu kommen?

BARLEY Das ist das gleiche Verfahren, wie es sich die Grünen vorgenommen haben. Vor der Bundestagswahl haben alle gesagt, dass große Koalitionen auf Dauer der Demokratie schaden. Und anschließend haben alle gesagt, dass dieser Regierung das Vertrauen entzogen worden ist. Nun haben CDU, CSU, FDP und Grüne zwei Monate gebraucht und die Verhandlungen vor die Wand gefahren. Das kann aber doch nicht heißen, dass wir das jetzt in zwei Wochen geradebiegen können. Und nur zur Erinnerung: Bei der CSU geht vor dem 6. Januar gar nichts. Wir hätten ja auch jetzt schon anfangen können zu sondieren.

Es geht ja aber nicht nur um eine Neuauflage der Groko, sondern auch um neue Modelle wie eine Minderheitsregierung oder eine Kooperationskoalition?

BARLEY Die Argumente, die am Wahlabend gestimmt haben, die stimmen ja immer noch. Jetzt einfach zu sagen, wir gehen in eine große Koalition, das funktioniert nicht. Wenn man als kleiner Partner aus einer großen Koalition kommt, ist man immer  im Dilemma. Sagt man, dass alles wunderbar war, geht das mit der Regierungschefin heim. Betont man, es ist noch viel zu tun, heißt es, man ist Opposition in der eigenen Regierung.

Und wie hat die SPD das Dilemma gelöst?

BARLEY … indem sie gesagt hat, dass es ein tolles Land ist, in dem vieles richtig gut läuft, aber eben manches verbesserungsbedürftig ist. Damit sind wir aber überhaupt nicht durchgedrungen. Ich glaube nicht, dass es der Untergang der SPD wäre, wenn wir erneut in eine große Koalition gingen. Aber wir wollen auch keine österreichischen Verhältnisse, wo die ewigen großen Koalitionen am Ende die Rechten starkgemacht haben. Was ich sagen will: Für die SPD ist es kein einfacher Prozess, jetzt aufzuräumen, was die anderen nicht hinbekommen habe.

War die Absage an eine große Koalition am Wahlabend ein  Fehler?

BARLEY Nein. Die Regierung war klar abgewählt worden, die CDU hat ja noch deutlich mehr Prozentpunkte eingebüßt als wir. Man hätte aber nach den geplatzten Sondierungsgesprächen von Jamaika den Fokus echt mal ein paar Tage auf die anderen gerichtet lassen können bei dem Desaster, was Schwarze, Grüne und Liberale hinterlassen haben. Wir neigen manchmal dazu, zu sagen: alle Pfeile auf uns.

Kann es sein, dass bei den im Januar beginnenden Sondierungsgesprächen die SPD die FDP macht und den Verhandlungsraum verlässt?

BARLEY Nein, wir machen nicht die FDP.  Bei der FDP fehlt mir bis heute jegliche inhaltliche Begründung, warum sie rausgegangen ist. Wir werden die Verhandlungen anders führen. Wir gehen jetzt nicht ins Klein, Klein, sondern klären erst mal die großen Linien. Sollten wir am Ende  zu dem Ergebnis kommen, dass es nicht geht, dann aus inhaltlichen Gründen.

Und mit welchem Spitzenkandidaten ginge die SPD dann ins Rennen?

BARLEY Darüber spekulieren wir jetzt nicht.

Warum sagen Sie nicht, natürlich mit Martin Schulz?

BARLEY Neuwahlen sind nicht das Ziel. Nach so einem Wahlergebnis muss das Ziel aller sein, eine Regierung hinzubekommen. Wir machen unseren Job, und wir machen ihn sehr ernsthaft. Die eigentliche Sondierung wird auch nur eine Woche dauern, dann werden wir sehen.

SPD-Chef Martin Schulz hat auf dem Parteitag über die Vereinigten Staaten von Europa gesprochen, die er bis 2025 realisieren will. Ein Fehler?

BARLEY Ich finde es gut, das Thema Europa offensiv zu setzen. Da kann man auch mal ruhig etwas zuspitzen. Wir haben mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron jemanden, der das Thema nach vorne bringt. Und der findet in Europa nahezu keinen Widerhall. Eigentlich wäre Deutschland der Gegenpart, der darauf antworten müsste. Aber Frau Merkel macht es nicht. Von daher ist es gut, dass von uns das Signal kommt. Nach der Wahl haben übrigens viele gesagt, wir hätten mehr über Europa reden sollen. Ich glaube, dass man das Thema sehr gut kommunizieren kann, gerade auch an jüngere Leute.

Sie reden so, als würden Sie Ihrem Job als SPD-Generalsekretärin noch hinterhertrauern?

BARLEY (lacht) Das sagt Andrea Nahles auch manchmal zu mir. Ich bin ein total wohlwollender, harmoniebedürftiger, friedfertiger Mensch. Als ich Generalsekretärin wurde, war ich zuerst skeptisch, ob das meinem Naturell entspricht. Inzwischen habe ich das für mich richtige Maß an Attacke und inhaltlicher Schärfe gefunden.

Wären Sie denn lieber noch etwas länger Generalsekretärin geblieben?

BARLEY Ganz ehrlich: Rückblickend gesagt ist es echt perfekt so. Ich habe in der Zeit als Generalsekretärin unfassbar viel gelernt. Es war eine tolle Zeit, in der wir viel bewegt haben. Wäre die Erkrankung von Erwin Sellering und damit einhergehend der Wechsel von Familienministerin Manuela Schwesig  nach Mecklenburg-Vorpommern nicht gekommen, wäre ich Generalsekretärin geblieben. Dass später noch das zweite Ministerium dazukommen sollte, wusste ich zum damaligen Zeitpunkt ja noch nicht. Jetzt schmeißt mich jedenfalls nichts mehr um.

Sie sind in Ihrer ersten Legislaturperiode im Bundestag gleich durchgestartet – vom Neuling zur Ministerin. Wie hält man das durch, ohne abzuheben?

BARLEY Ich neige nicht zum Abheben. Es ging schnell, aber es waren Stufen drin. Als Justiziarin in der Fraktion war ich recht schnell im geschäftsführenden Fraktionsvorstand und damit im inneren Zirkel. Das war eine wichtige Zeit. Ich musste nicht vor die Kameras, habe das als lernende Phase empfunden.  Bevor ich Generalsekretärin wurde, habe ich übrigens noch zu Hubertus Heil gesagt, ich wollte nie Generalsekretärin werden.  Als dann der Anruf von Sigmar  Gabriel kam, habe ich echt überlegt. Aber ich bin von Natur aus ziemlich angstfrei. Es war eine spannende Zeit. Aber das ist es jetzt auch.

Im eigenen Interesse müssten Sie doch für eine Fortsetzung der Groko sein …

BARLEY Ich habe ein langes Berufsleben hinter mir und habe immer das, wo ich war, so gut  gemacht, wie ich konnte - alles weitere hat sich daraus ergeben. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen, was danach passiert. Und wenn ich vier Jahre „nur“ ganz normale Abgeordnete wäre, ist das völlig okay. Aber natürlich ist es schön, Ministerin zu sein. Es gibt noch tausend Dinge, die ich anpacken will.

Wie ist die Arbeitsbelastung bei zwei Ministerien, die Sie derzeit führen müssen?

BARLEY Schon enorm, obwohl ich mein ganzes Leben gewohnt war, viel zu arbeiten. Das geht überhaupt nur, weil die Gesetzgebungstätigkeit derzeit nicht im Vordergrund steht. Und es geht natürlich auch auf Kosten von Freizeit und Privatleben.

Vernachlässigt ausgerechnet die Bundesfamilienministerin die eigene Familie?

BARLEY Meine Familie ist einiges gewohnt. Ich bin auch in der Vergangenheit oft gependelt. Der Mann an meiner Seite muss das aushalten. Mein großer Sohn ist zum Studium ausgezogen. Ein schlechtes Gewissen habe ich bei meinem jüngeren Sohn, aber er macht es mir Gott sei Dank leicht. Es geht nur mit einem guten Netzwerk.

Welches Gesetz würden Sie als erstes auf den Weg bringen, wenn Sie Ministerin bleiben?

BARLEY Die Kombination der beiden derzeit von mir geschäftsführend geleiteten Ministerien ist eigentlich ideal, um einiges auf den Weg zu bringen: etwa das Rückkehrrecht Teilzeit in Vollzeit. Auch die Themen Familienarbeitszeit oder die Bekämpfung der Kinderarmut würde ich rasch nach vorne bringen.

Inwiefern profitieren die Bürger der Region Trier von einer Ministerin Katarina Barley?

BARLEY Ich glaube, dass ich der Region Trier viel Aufmerksamkeit verschaffen kann, die wir nicht automatisch haben. Und natürlich ist die Durchschlagskraft größer, wenn man Ministerin ist. Dann kann man ein Thema viel direkter anbringen, ob bei Kollegen, Institutionen oder Unternehmen. Ich kann zwar nicht jedes Problem lösen, habe aber gute Zugänge. Um Werbung für die Region zu machen, ist das Karl-Marx-Jahr gerade ein guter Aufhänger: Im Arbeitsministerium haben meine Mitarbeiter Karl-Marx-Pralinen von einer Trierer Konditorei als Weihnachtspräsent bekommen. Und im Familienministerium habe ich Mosel- und Eifel-Krimis verschenkt.

Im Stern wurden Sie unlängst schon als potenzielle SPD-Kanzlerkandidatin gehandelt. Ehrt Sie das?

BARLEY Es  gehört zum  Auf-dem-Teppich-Bleiben, dass man solchen Spekulationen keine allzu große Bedeutung zumisst. Wenn gesagt wird, sie hat eine andere Art, Politik zu machen, freut mich das. Das war auch mein Ansatz als SPD-Generalsekretärin, Politik zu erklären und Politik fühlbarer zu machen. Das passiert auch in der SPD zu wenig. Wenn es übrigens jemanden gibt, der glaubwürdig  dafür steht, dass Politik sich verändern muss, in der Art, wie sie gemacht und kommuniziert wird, dann ist das Malu Dreyer.

… die designierte SPD-Bundesvorsitzende?! 

BARLEY Martin Schulz ist noch kein Jahr Parteivorsitzender, und es gibt keinen Anlass, über einen Rücktritt oder Ähnliches zu spekulieren.

Rolf Seydewitz

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