Grüne und FDP sondieren und suchen ihre Gemeinsamkeiten Schraube, Mutter, Koalition

Analyse · Grüne und FDP absolvieren ihre zweite Vorsondierung und geben sich danach sehr reserviert über Inhalte oder Fahrplan. Noch ist nicht sicher, wo die gemeinsame Reise hingeht, auch wenn die Ampel blinkt

Blinkt schon die Ampel? Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner nach ihrer zweiten Vorsondierung am Freitag in Berlin

Blinkt schon die Ampel? Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner nach ihrer zweiten Vorsondierung am Freitag in Berlin

Foto: dpa/Michael Kappeler

Von Holger Möhle

Große Tiere oder Affenzirkus? Gleich gegenüber ist der Berliner Zoo mit Nashorn und Aquarium in Schrittweite. Aber drüben auf der anderen Straßenseite soll die Basis für eine stabile Zusammenarbeit gelegt werden, die für vier Jahre gemeinsames Regieren reichen soll. Zehn Grüne und zehn Liberale sitzen seit dem Morgen in einem Gebäude, das sich „The Westlight“ nennt und auf gut Neudeutsch eine Co-Working-Area ist, um über Gemeinsamkeiten und Inhalte zu beraten. Erst in jeweils getrennten Sitzungen, dann gemeinsam in Mannschaftsstärke unter Führung ihrer Vorsitzenden: Annalena Baerbock und Robert Habeck bei den Grünen sowie Christian Lindner bei der FDP.

Übertragen auf den Fußball sind bei jeweils zehn Spielern pro Team beide Mannschaften nicht mehr vollständig: gelb-rote Karte oder rote Karte. Die wollen sich Grüne und FDP bei ihren Gesprächen garantiert nicht abholen. Noch hat dieses Treffen im Stadium der Vorsondierung informellen Charakter, noch ist es ein Abtasten, wozu der Ort dieses zweiten Treffens zwischen Grünen und Liberalen gut passt. In Co-Working-Spaces wird gerne informell zusammengearbeitet: Der eine profitiert vom anderen – und umgekehrt. So könnte es auch zwischen Grünen und FDP sein.

Grünen-Co-Vorsitzende Baerbock spricht denn nach diesem Treffen mit den Unterhändlern der FDP davon, dass es die Notwendigkeit eines „Aufbruchs“ gebe, auch vom Auftrag, bald ein neues Bündnis zu schaffen. Eine mögliche „Dreier-Konstellation“ habe es so in Deutschland noch nicht gegeben. „Das ist auch ein historischer Moment in unserer Gesellschaft, in unserem Land.“ Der kleinste gemeinsame Nenner – kleiner Seitenhieb auf die große Koalition – reiche dazu nicht aus. Auch FDP-Chef Lindner betont, diese Bundestagswahl habe eine „Zäsur“ gebracht. Eine Mehrheit der Deutschen habe sich „gegen den Status Quo“ entschieden. Und sowohl Grüne wie auch FDP seien jene Parteien, „die am stärksten gegen den Status Quo stehen“. Man könnte auch sagen: Operation Aufbruch.

Nur in der Substanz wollen weder Baerbock noch Lindner noch Habeck an diesem Freitag etwas verraten. Vielleicht sind sie sich auch in diesen ersten Co-Working-Stunden noch nicht einig geworden, wie es weiter gehen soll in den nächsten Tagen. Denn auch zum Fahrplan, etwa zu der Frage, ob sie bald beispielsweise parallel in Dreier-Runden mit SPD wie auch mit Union verhandeln wollen, um zu sehen, wie weit man jeweils kommt, oder ob erst Ampel und (eventuell) danach Jamaika abgeklopft wird, wollen sie sich nicht äußern. Vorsicht an der Bahnsteigkante! „Vertrauensvoll“ seien die Gespräche, so viel zumindest sagt Lindner.

Baerbock betont, dass sich Ärgernisse von 2017, als während der Jamaika-Gespräche ganze Textpassagen über den Stand der laufenden Verhandlungen den Weg an die Öffentlichkeit fanden, nicht wiederholen dürften. Wie sie jetzt weitermachen wollen? „Dazu sind wir ein bisschen schmallippig. Dazu sagen wir heute nichts“, so Baerbock. Auch Lindner will das wortreiche Schweigen nicht auflösen. Grüne und Liberale hätten sich „methodische Fragen angeschaut“, aber dazu wolle man sich nicht äußern, zumindest nicht jetzt. Sie wollten „Brücken bauen“, etwa beim Klimaschutz, der wichtig für die Grünen sei, oder bei den Finanzen, die der FDP besonders am Herzen lägen.

Grünen-Co-Vorsitzender Habeck hat natürlich auch seine Rolle. Ob er tatsächlich den Posten eines künftigen Vize-Kanzlers bei Baerbock eingefordert hat (oder dies zwischen beiden längst abgemacht war), ist an diesem Tag nicht Thema. Habeck gibt mehr den Machtmechaniker, wahlweise auch den Heimwerker. Es sei wichtig, richtig in diesen Verhandlungsprozess reinzukommen. Habeck, ganz so, als wäre er Rob(ert), der Baumeister: „Also wenn man die Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade - diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden." Der Grünen-Chef wird dann noch gefragt, wie es denn um die Mutter bestellt sei, die nahezu jede Schraube brauche, auch die grün-gelbe Schraube. Also: Mutter SPD oder Mutter Union? Habeck kontert, er habe eigentlich mehr an eine (selbstbohrende) Spackschraube gedacht, die komme ohne Mutter aus. Schönes Bild. Aber dafür reichen zumindest rechnerisch die Wahlergebnisse von Grünen und FDP allein nicht aus. Sie brauchen eine Mutter.   

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